# taz.de -- Doku „Freedom: George Michael“: Letzte Weihnacht | |
> Vor einem Jahr starb George Michael. Sein Vermächtnis: ein Film über | |
> George Michael. Und der besteht vor allem aus: Lob für George Michael. | |
Bild: Egal, wie nervtötend man „Last Christmas“ findet – George Michael … | |
David Bowie, Glenn Frey, Merle Haggard, Prince, Leonard Cohen, Sharon Jones | |
… die Liste der [1][2016 verstorbenen Größen der Popmusik] jagt einem noch | |
immer Schauer über den Rücken. Das tat sie schon, bevor es am ersten | |
Weihnachtsfeiertag, ausgerechnet, [2][auch noch George Michael erwischte]. | |
Dass man, obwohl man ja auch jedes Jahr wieder vor dem Fernseher sitzt und | |
„Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ guckt, „Last Christmas“ immer sch… | |
furchtbar nervtötend fand und daran auch das Erdmöbel-Cover („Weihnachten�… | |
nichts ändern konnte: geschenkt. Die persönliche Enttäuschung muss außen | |
vor bleiben – George Michael war ein ganz Großer. | |
„In 1988 he was the biggest pop star in the world!“, sagt Nile Rodgers in | |
dem Film “Freedom: George Michael“, den Arte zu Michaels erstem Todestag | |
zeigt. 1988 – MTV Europe stand noch in den Startlöchern, die wöchentliche | |
Portion Musikvideos (mehr ging seinerzeit nicht im deutschen Fernsehen) | |
musste sich ein damals Heranwachsender bei „Formel Eins“ abholen. Und wer | |
immer es damals angekündigt hatte, ob Stefanie Tücking oder Kai Böcking, | |
sie oder er hatte große Erwartungen geweckt: Bei all dem Gewese darum würde | |
„I Want Your Sex“ wirklich wahnsinnig skandalös werden. Wurde es nicht. Von | |
dem Text hat man damals nicht viel verstanden und das Video hat auch nicht | |
mehr nackte Haut gezeigt als der Vorspann von „Miami Vice“. (Soviel zu der | |
persönlichen Enttäuschung.) | |
George Michael war also ein ganz Großer, und weil niemand das besser wissen | |
konnte als er selbst, hat er die Huldigung gleich selbst organisiert. Das | |
ist der vorrangige Eindruck, den „Freedom“ hinterlässt. Und da kann man | |
jetzt natürlich sagen, wie sollte es auch anders sein, das | |
Aufschneiderische, die Pose, so war George Michael eben, und man muss sich | |
halt ein bisschen Mühe geben, den Menschen dahinter zu sehen. | |
Okay. Bis zu seinem Tod hat George Michael also an einem Dokumentarfilm | |
über George Michael gearbeitet. So ist es sein Vermächtnis geworden und | |
verdient Respekt. Um Respekt sei es ihm von Anfang an gegangen, sagt George | |
Michael da auch mal aus dem Off. Der Film ist selbstredend voll von | |
Archivaufnahmen und Ausschnitten aus Musikvideos. Die einzigen mit George | |
Michael (oder doch einem Double?) neu gedrehten Bilder zeigen ihn von | |
hinten, wie er in einem großzügigen, aber sparsam möblierten, | |
offensichtlich englischen Domizil sein Skript in eine Schreibmaschine | |
(Olivetti Lettera DL) tippt – 1988, das Jahr in dem George Michael mehr | |
Tonträger verkaufte als jeder andere, war noch vor der digitalen | |
Revolution. | |
## Eine clevere Strategie | |
Er musste sich das vorher auch aufschreiben; die Zahl an Prominenten, die | |
er auflaufen lässt, damit sie einander mit George-Michael-Lobhudeleien | |
überbieten, ist wirklich beeindruckend. Und Tony Bennett, Mary J. Blige, | |
Ricky Gervais, Cindy Crawford, Linda Evangelista, Jean Paul Gaultier, Liam | |
Gallagher, James Corden, Tatjana Patitz und Christy Turlington machen aus | |
ihren Herzen keine Mördergrube, ihre Bewunderung ist grenzen- und | |
vorbehaltlos. | |
Jetzt, heute. Denn es ist schon eine ungemein clevere Strategie, die „Cool | |
Britannia“-Ikone Tracey Emin erst einmal sagen zu lassen, dass es ihr | |
unmöglich gewesen sei, Fan einer Boyband zu sein, und die auch heute noch | |
für ihre gelegentliche Gewaltbereitschaft berüchtigte Naomi Campbell, dass | |
sie damals Eier auf Wham!-Fans geworfen habe – weil sie doch | |
Culture-Club-Fan gewesen sei. Nur so lässt sich nämlich George Michaels | |
Entscheidung, mit Wham! und Andrew Ridgeley Schluss zu machen und seiner | |
wahren Berufung zum Solokünstler zu folgen, der gebotene Respekt zollen. | |
Wie gesagt, das war alles noch vor der digitalen Revolution, und das ist | |
wohl auch der Grund dafür, dass prominent neben den Promis platziert immer | |
ein Plattenspieler steht (Michell Engineering Gyro SE mit Tonabnehmer | |
Ortofon 2M Red – einige der Promis haben aber offenbar auf den guten alten | |
1200er oder 1210er bestanden). Die Lobhudeleien: Stevie Wonder fühlt sich | |
durch George Michael an seine eigene Kindheit erinnert, für Mark Ronson ist | |
„Freedom! ’90“ die Mona Lisa der Popmusik und Elton John findet das Video | |
dazu (mit gleich fünf Supermodels – also quasi allen außer Claudia | |
Schiffer) genial und revolutionär. Und so weiter und so fort. | |
Den Menschen dahinter gibt George Michael zu erkennen, wenn er von seiner | |
großen Liebe, dem Brasilianer Anselmo Feleppa erzählt. Davon, wie er sich, | |
Jahre vor seinem Outing, keine vier Monate nach Feleppas (positivem) | |
HIV-Test, beim Tribute Concert für den gerade an Aids gestorbenen Freddie | |
Mercury die Seele aus dem Leib gesungen hat, wissend, für sich behalten | |
müssend, dass Anselmo Feleppa den gleichen Tod sterben würde. | |
Und das Beste an dem Film mit den vielen Wortbeiträgen? Dass „Last | |
Christmas“ einfach stillschweigend übergangen wird. | |
22 Dec 2017 | |
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## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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