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# taz.de -- Migration im Volkstheater: „Gutes Theater ist uneitel“
> In „Plattdüütsch för Anfängers“ macht der zukünftige
> Ohnsorg-Theater-Spielleiter Murat Yeginer Migration auf dem platten Land
> zum Thema.
Bild: Das Ohnsorg-Theater verändert sich: Szene aus dem Stück „Plattdüüts…
taz: Murat Yeginer, in „Plattdüütsch för Anfängers“ geht es ums Thema
Migration auf dem platten Land. Wie zeitgemäß und politisch kann
Volkstheater sein?
Murat Yeginer: Volkstheater im klassischen Sinne, bei den Griechen, bei
Shakespeare oder auch bei Molière, hat ja immer eine politische Komponente
gehabt. Natürlich muss Volkstheater unterhaltsam sein, aber es darf
aktuelle Themen nicht beiseite legen. Wir als Theater leben ja von den
Themen, mit denen wir als Menschen leben. Im Ohnsorg-Theater war das
übrigens früher auch nicht wesentlich anders. Gerade bei Heidi Kabel und
Henry Vahl wurde ja immer wieder auf die Probleme der kleinen Leute wie
Arbeitslosigkeit hingewiesen.
Also knüpft das Stück an die Klassiker des Hauses an?
Ja, in einer zeitgemäßen Form. Und es bringt alle Elemente mit, vielleicht
selbst zum Ohnsorg-Klassiker zu werden. Es geht um die Liebe zur Scholle,
zur Heimat, zur eigenen Sprache. Wir durchleuchten die Sicht der
Bevölkerung des kleinen Dörfchens Niederhörn. Wie geht so ein Dorf damit
um, wenn vier Flüchtlinge kommen, wie empfinden die Leute das Fremde? Wenn
ich es schaffe, dass man dabei merkt, dass jeder dieser Ankömmlinge eine
Geschichte und eine Persönlichkeit hat und liebenswert ist, dann habe ich
schon viel erreicht.
Im Stück gibt den Geflüchteten ausgerechnet der kauzige Bauer Uwe
Deutschunterricht, der sich als letzter „echter Plattdeutscher“ versteht.
Er macht es, um wieder in seine Wohnung zu kommen, die zwangsversteigert
wurde. Und in dieser Wohnung lernen sie sich kennen und nach und nach wird
eine Buddy-Story daraus: Sie mögen sich und er bringt ihnen Deutsch bei.
Aber kurz vor der Prüfung merken die anderen: Er hat ihnen kein Hoch-,
sondern Plattdeutsch beigebracht. Das schnacken sie dann alle perfekt,
verstehen aber kein Wort Hochdeutsch und fallen bei der Prüfung durch. Aber
dann bemerkt Uwe, dass Plattdeutsch auch eine Amtssprache ist und rettet
alle.
Man darf sich also darauf verlassen, im Ohnsorg auch mit Ihnen als
Spielleiter Plattdeutsch zu bekommen?
So ein Alleinstellungsmerkmal darf man natürlich nicht hergeben. Der
Abonnent bekommt weiterhin Plattdeutsch, aber eben nicht nur
Mainstream-Unterhaltung. Da müssen wir diesen Spagat zwischen
Erwartungshaltung und Anspruch hinkriegen.
Aber die klassischen Bauern- und Fischerschwänke wird es nicht mehr geben?
Ich mag es eigentlich nicht, mit solchen Begrifflichkeiten um mich zu
schmeißen. Bauerntheater ist für mich nichts Negatives, ebensowenig wie
Volkstheater oder zeitgenössisches Regietheater. Ich mag es nicht, mich
festnageln zu lassen. Im Grunde gibt es nur gutes und schlechtes Theater.
Wie geht gutes Theater?
Gutes Theater ist uneitel. Viel Gutes am Theater geht kaputt, wenn man
eitel ist und zeigen möchte, wie toll man ist. Ich mag den direkten Ton,
das Gerade, das aus dem Bauch Herauskommende. Ob er weiterdenkt oder nicht,
überlasse ich dem Zuschauer. Ich muss nicht zeigen, wie intelligent ich bin
und sagen: Kinners, habt ihr diesen Wink verstanden? Ich haue nicht dreimal
mit dem Zaunpfahl drauf. Dem Zuschauer diesen Raum zu überlassen, das
verstehe ich unter uneitel.
Also: Veränderung ja, aber behutsam?
Ich will nicht auf Teufel komm raus jemanden vor den Kopf stoßen oder
unbedingt das Rad neu erfinden.Natürlich haben wir ein paar Ideen, aber wir
wollen das Publikum nicht bevormunden. Ideen werden also auch aus den
Erfahrungen dieser Spielzeit entsehen. Wir müssen ausprobieren, wie weit
wir gehen können und was ankommt. Gehen wir vielleicht hier wieder einen
halben Schritt zurück und woanders einen halben nach vorn?
Was wäre denn so ein halber Schritt zurück?
Das Ohnsorg-Theater hatte zum Beispiel immer eigene Autoren, die aus der
Gegend kamen, die von der Scholle und der Heimat erzählt haben, da kam der
Bürgermeister vor und der Pastor und der Dorfpolizist. Mittelfristig wollen
wir auch wieder Hausautoren aufbauen, die eigens fürs Ohnsorg schreiben.
Die Gratwanderung ist also, die Tradition des Hauses ernst zu nehmen, es
aber auch für die Zukunft zu erhalten.
Es geht darum, das Ohnsorg-Theater für die nächsten 20 Jahre so zu
positionieren, dass wir diesen Spielort erhalten können. Und dabei können
wir als Privattheater nicht sagen, wir warten mal die nächsten fünf Jahre
ab, weil es sich rechnen muss. Wir müssen Wege finden, wie wir gemeinsam
mit den Zuschauern glücklich alt werden können und dann beim Zurückblicken
merken: Da gibt es auch Jüngere, die Lust haben, ins Ohnsorg zu gehen.
6 Jan 2018
## AUTOREN
Robert Matthies
## TAGS
Migration
Plattdeutsch
Zeichentrick
Heimat
Theater
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