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# taz.de -- Frauenärztin über Abtreibungen: Nicht alles im Leben ist steuerbar
> Das „Werben“ für Abtreibungen ist in Deutschland nicht erlaubt. Dabei ist
> es für Frauen, die ungewollt schwanger sind, schon schwer genug.
Bild: Schwangere Frauen in Konfliktsituationen brauchen Informationen
Ich bin Frauenärztin. Als solche habe ich nicht ausschließlich mit
Krankheiten zu tun; zu mir kommen viele gesunde Frauen, sehr oft mit Fragen
zu Fortpflanzung und Sexualität. Zahlreiche Aspekte unseres Lebens sind
dank des Fortschritts von Wissenschaft und Technik steuerbar geworden; für
Verhütung und Kinderwunsch gilt dies jedoch nur eingeschränkt. Viele Frauen
können es schwer aushalten, wenn die erhoffte Schwangerschaft sich nicht
einstellt oder unglücklich endet. Und manchmal noch schwerer ist es, wenn
die Verhütung versagt hat.
Ich bin auch als Schwangerschaftskonfliktberaterin zugelassen. Das heißt,
ich kann die für Schwangerschaftsabbrüche erforderlichen
Beratungsbescheinigungen ausstellen. Von mir erfahren die Frauen dann auch,
zu wem sie für die Abtreibung gehen können. Selbst informieren können sie
sich nicht; §219a StGB verbietet in Deutschland das „Werben für den Abbruch
der Schwangerschaft“ – darunter fällt auch, dass Ärztinnen und Ärzte
öffentlich darüber informieren, Abbrüche durchzuführen.
Wer nicht selbst Abtreibungen durchführt, hatte bis vor Kurzem entweder
noch nie von §219a gehört oder ihn schon bald wieder vergessen. Was nicht
heißt, dass der Paragraf keine Wirkung hat. Der Gesetzgeber will
verhindern, „dass der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als
etwas Normales dargestellt“ wird. So steht es in der Gesetzesbegründung.
Aber wer behauptet denn, ein Schwangerschaftsabbruch sei etwas „Normales“
oder eine Lappalie? Als Schwangerschaftskonfliktberaterin bin ich zusammen
mit jeder Frau traurig, die ungewollt schwanger ist. Denn ein Abschied ist
es in jedem Fall: von einem potentiellen Kind, von einem möglichen
Lebensweg, oft auch von einem Partner, der nicht unterstützt. Und diese
Trauer wird von jeder Frau in irgendeiner Weise gespürt, gelebt, vielleicht
auch verdrängt.
Damit es so weit gar nicht erst kommt, nehme ich mir in meiner Rolle als
Frauenärztin so viel Zeit wie möglich, über Verhütungsmittel, deren
Anwendung und Risiken zu informieren und mache deutlich, dass ich für
Fragen jederzeit auch telefonisch zur Verfügung stehe. Aber nicht jede
Spirale bleibt richtig liegen, nicht jede Pille wirkt so, wie sie soll,
nicht jedes Kondom hält dicht. Nicht jeder Mann versteht das Wort „Nein“,
und nicht jede Frau ist jederzeit in der Lage, Nein zu sagen. Und auch die
beste Pille danach ist direkt zum Eisprung nicht hundertprozentig sicher.
## Zugang zu Verhütungsmitteln
Schwangerschaftsabbrüche wird es immer geben. Um deren Anzahl aber so
gering wie möglich zu halten, brauchen Männer und Frauen gesicherten Zugang
zu Verhütungsmitteln. In Deutschland bekommen junge Frauen unter 20 Jahren
Antibabypillen auf Kassenrezept. Nur einzelne Bundesländern und Kreise
übernehmen die Kosten für Verhütungsmittel auch für Geringverdiener. Dies
musste teilweise gegen erheblichen Widerstand eben jener Kreise
durchgesetzt werden, die sich in der Abtreibungsdebatte für den Schutz des
ungeborenen Lebens stark machen.
Zwar gibt es zum Teil recht preiswerte Antibabypillen für etwa 60 Euro im
Jahr; aber bei Geringverdienern und Leistungsempfängern reicht das Geld
ohnehin nicht. Spiralen für etwa 160 Euro oder eine Sterilisation für etwa
700 Euro sind damit keinesfalls zu finanzieren.
Mitte Dezember hat der Bundesrat beschlossen, dass die Kosten für
Verhütungsmittel für Frauen mit geringem Einkommen unbürokratisch
übernommen werden sollen. Erforderlich sei eine bundeseinheitliche Lösung,
damit alle Frauen unabhängig vom Wohnort die gleichen Bedingungen haben.
Auch Notfallverhütung wie die Pille danach soll rückwirkend erstattet
werden. Der Beschluss wird nun der Bundesregierung zugeleitet. In
Ärzteblogs finden sich dazu Kommentare wie: „Wer sich ein Handy gönnt, wird
sich wohl auch die Pille leisten können.“
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hatte schon 2009 die
Mitgliedsstaaten aufgefordert, sicherzustellen, dass Frauen und Männer auf
preiswerte, passende und selbst gewählte Verhütungsmethoden zugreifen
können. Auch soll Frauen der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen
weder rechtlich noch faktisch erschwert werden.
## Seelische Not
Denn solche restriktiven Versuche machen die Sache nicht besser, sondern
schlimmer. Mangelnde Informationen oder das Verbot von Abtreibungen haben
diese noch nie verhindert, sondern allenfalls zu größerer seelischer Not
oder gar zu illegalen Abtreibungen geführt. Als ich in den 1970er Jahren in
der Gynäkologie arbeitete, erzählte der Oberarzt noch sehr eindrücklich,
wie zu seiner Zeit als Assistenzarzt sehr häufig Frauen mit schlimmen
Folgen nach Abtreibungsversuchen behandelt werden mussten. Damals waren
Abtreibungen bei Strafe verboten. „Man schaute unter die Bettdecken; wo es
am meisten blutete, musste zuerst operiert werden.“ Andere Frauen fuhren
damals nach Holland oder nach Jugoslawien. In Schüler- und Studentengruppen
gab es in den 1960ern auch handgeschriebene Zettel mit illegalen Adressen.
Seit 1995 ist ein Schwangerschaftsabbruch „rechtswidrig, aber straffrei“,
wenn er in den ersten zwölf Wochen nach Empfängnis stattfindet, die Frau
sich in einer anerkannten Beratungsstelle hat beraten und dann eine
Bedenkfrist von drei Tagen hat verstreichen lassen. Nach der Einführung
dieser Regelung besuchten Abtreibungsgegner die Beratungsstellen und
versuchten, etwas zu finden, wogegen sie Strafanzeige erstatten können. In
den letzten Jahren haben sie den §219a als Hebel für ihre Kampagnen
gewählt.
Wegen dieses Paragrafen wurde im November 2017 die Allgemeinmedizinerin
Kristina Hänel [1][zu 6.000 Euro Geldstrafe verurteilt], weil sie auf ihrer
Webseite Informationen zu dem Thema zur Verfügung stellt. Abtreibungsgegner
hatten sie wiederholt angezeigt, wie auch andere Ärztinnen und Ärzte. Aber
sie hatte dem Druck nicht nachgeben wollen und das Stichwort
Schwangerschaftsabbruch nicht von ihrer Webseite genommen. Kristina Hänel
hat vor etwa 30 Jahren begonnen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen,
weil es in der Umgebung sonst niemand tat. Sie hat den Eingriff noch von
holländischen Ärzten gelernt.
Schwangere Frauen in Konfliktsituationen brauchen Informationen. Dabei geht
es neben psychosozialen und juristischen Fragen vor allem um medizinische.
Wo, wie, welche Methoden, welche Risiken? Kosten? Informationen zu diversen
Aspekten gibt es auf Webseiten von Pro Familia, Frauenärzte im Netz oder
den gesetzlichen Krankenkassen.
Nur: An welchen Arzt, welche Ärztin, welche Klinik die Frau sich im Notfall
wenden kann, ist durch googlen nicht herauszufinden. Stattdessen wird sie
auf einer Seite von Abtreibungsgegnern landen, wo unter Bildern von
zerstückelten Embryonen Blut auf eine deutschlandweite Liste von Ärztinnen
und Ärzten sowie Kliniken fließt und Abtreibungen mit dem Holocaust
gleichgesetzt werden. „Abtreibungsgegner überschwemmen uns Ärztinnen und
Ärzte mit widerwärtigen Hasskampagnen“, sagt eine andere von einer Anzeige
betroffene Ärztin. Auch für die ungewollt Schwangeren ist das unzumutbar.
In Folge der Petition von Kristina Hänel hat es eine bemerkenswerte, fast
möchte man sagen: beispiellose Entwicklung gegeben: Mehr als 150 Ärztinnen
und Ärzte haben einen Solidaritätsaufruf unterschrieben.
Mehr als 150.000 Menschen haben die Petition mit der Forderung
unterschrieben, dass die Information von Ärzt*innen über
Schwangerschaftsabbruch nicht strafbar sein dürfe. In Bundestag und
Bundesrat sind Initiativen zur Gesetzesänderung gestartet worden. Der
Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, hat dem Deutschen
Ärzteblatt gesagt: „Aus meiner Sicht haben Frauen in Notlagen ein Recht
darauf zu erfahren, welche Ärztin, welcher Arzt ihnen helfen kann.“
Ärzte, die Frauen in Konfliktsituationen Informationen zur Verfügung
stellen, dürfen nicht kriminalisiert werden. Durch solche Maßnahmen wird
ohnehin keine einzige Abtreibung verhindert. Wer das erreichen möchte,
sollte seine Energie einsetzen, um ungewollte Schwangerschaften so weit als
möglich zu vermeiden.
6 Jan 2018
## LINKS
[1] /Geldstrafe-wegen-Abtreibungswerbung/!5466133
## AUTOREN
Sabine Riese
## TAGS
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Lesestück Interview
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Kristina Hänel
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