# taz.de -- Justiz in Polen: Sexualstraftäter am Pranger | |
> Seit dem 1. Januar sind alle Daten von Verurteilten online abrufbar. Der | |
> Minister begründet diese Maßnahme mit dem Schutz von Opfern. | |
Bild: Resozialisierung nein danke! Polens Justizminister Zbigniew Ziobro | |
WARSCHAU taz | Ist der neu eingezogene Nachbar ein Krimineller? Ein | |
Vergewaltiger oder gar Pädophiler? Ab dem 1. Januar kann in Polen jeder mit | |
ein paar Klicks im Internet prüfen, ob einer der knapp 800 in einem | |
„Sexualtäter-Register“ erfassten Straftäter in der Nähe wohnt oder ob ein | |
Bekannter darunter ist. | |
„Wir stellen das Recht zum Schutz unserer Kinder über die Anonymität der | |
Verbrecher“, erklärte dazu Zbigniew Ziobro, Polens Generalstaatsanwalt und | |
Justizminister. | |
Die online zugängliche Liste ist zweigeteilt: die Liste derer, die Kinder | |
unter 15 Jahren sexuell missbraucht oder eine Frau besonders brutal | |
vergewaltigt haben, ist ohne Einschränkung für jeden zugänglich – mit Foto, | |
vollem Namen, Geburtsdatum, Adresse, Informationen über die Tat, das Urteil | |
und den Haftverlauf. | |
Eine zweite Liste mit über 2.600 Namen können nur die Polizei, die | |
Geheimdienste sowie Schulen, Kindergärten sowie alle Institutionen | |
einsehen, die mit Kinderbetreuung zu tun haben. Beide Listen sollten | |
ständig aktualisiert werden. | |
## Verlust der Anonymität | |
„Der Staat hat die Pflicht, das Kind zu schützen, nicht den Pädophilen“, | |
sagt Ziobro. „Ein Straftäter, der Kindern etwas antut, muss sich über die | |
harten Konsequenzen seiner Tat im Klaren sein, die lange Haftstrafe sowie | |
den Verlust seiner Anonymität.“ | |
Aus diesem Grund werde die von der nationalpopulistischen „Recht und | |
Gerechtigkeit“ (PiS) geführte Regierung das Strafrecht weiter verschärfen. | |
„Nach Verlassen des Gefängnisses soll ein solcher Straftäter unter | |
dauernder Kontrolle bleiben. Alle sollen wissen, dass er ihr Nachbar ist“, | |
kündigt der Justizminister an. | |
Laut Polnischer Presseagentur sagte er kein Wort zu Opferschutz und | |
Prävention, zur Resozialisierung oder den Bedingungen, die ein Streichen | |
des Namens aus dem Sexualtäter-Register ermöglichen. Über den Eintrag | |
entscheidet das Gericht bei der Urteilsverkündung. | |
Vorbild für die Register sind die USA, deren Justizministerium seit Juli | |
2005 die „National Sex Offender Public Registry Website“ mit allen | |
persönlichen Daten und Details der Verurteilung von Sexualstraftätern aus | |
48 Bundesstaaten online stellte. Allerdings nahm der Bundesstaat Maine | |
seine Datenbank aus dem Netz, nachdem zwei darin registrierte | |
Sexualstraftäter erschossen worden waren. | |
## Großes Interesse | |
In Polen stößt die Seite auf sehr großes Interesse. Innerhalb von zwei | |
Tagen nach Freischaltung der beiden Register hatten bereits über eine | |
Million Menschen die Datei geöffnet und zumeist fünf Mal geklickt, um | |
Zugang zu weiteren Informationen zu erhalten. | |
Was sie für Folgen für den Zusammenhalt der polnischen Gesellschaft haben | |
wird, ist noch nicht abzusehen. Nach Angaben des Justizministeriums soll | |
das Register verhindern, dass der Pädophile oder Vergewaltiger zum | |
Wiederholungstäter wird, kaum dass er das Gefängnis verlassen hat. | |
Allerdings, so warnen Experten, könnte das öffentliche Anprangern einer | |
Person, die ihre Strafe verbüßt hat, auch kontraproduktiv wirken. Wer immer | |
wieder öffentlich als Pädophiler gebrandmarkt wird, von Wohnort zu Wohnort | |
fliehen muss und kaum eine Arbeit findet, könnte eher rückfällig werden als | |
ein Täter nach erfolgreicher Resozialisierung. | |
Problematisch ist weiterhin, dass den Menschen mit den Registern ein | |
falsches Sicherheitsgefühl vermittelt wird. Die eigentliche Gefahr lauert | |
in 90 Prozent aller Fälle im eigenen Familienumkreis. Dies ist auch in | |
Polen so. Es sind meist Väter, Ehemänner, Onkel, Priester und Freunde der | |
Familie, die ihre Opfer lange vor der Tat kennen. | |
3 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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