# taz.de -- Demo für Abtreibungsrecht in Polen: Grenzenlose Wut | |
> In Warschau gehen hunderte Frauen auf die Straße. Sie protestieren gegen | |
> eine Verschärfung des ohnehin schon rigiden Abtreibungsrechts. | |
Bild: Demonstration gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts am Mittwoch … | |
WARSCHAU taz | „Gebt Euer Mandat zurück!“, skandieren hunderte | |
Demonstrantinnen vor der Warschauer Parteizentrale der | |
liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) und stampfen mit den Füßen. Sie | |
sind wütend über die Opposition, die eigentlich ihr Bürgerbegehren für eine | |
Liberalisierung des rigiden Abtreibungsrechts in Polen unterstützen sollte. | |
Doch sie stampfen auch, weil es eiskalt ist. Der Wind treibt dicke weiße | |
Schneeflocken durch die ulica Wiejska, in der auch Polens Parlament steht. | |
Wie Tränen läuft den Frauen der langsam tauende Schnee über die Gesichter. | |
Von den Parteileuten kommt niemand aus dem Haus. Enttäuscht zieht der Zug | |
weiter. | |
Noch im Sommer 2016 hatten 100.000 Polinnen mit landesweiten Protesten die | |
weitere Verschärfung des Abtreibungsgesetzes verhindern können. Den | |
„schwarzen Märschen“ schlossen sich fast alle Oppositionsparteien an. | |
Auf den Kundgebungen des „Nationalen Frauenstreiks“ unterstützten | |
Abgeordnete der parlamentarischen Opposition, allen voran die beiden | |
konservativen Parteien PO und Nowoczesna (Moderne), und Politiker der | |
ausserparlamentarischen linken Opposition Razem (Gemeinsam) und der Grünen | |
die Forderungen nach sexueller Selbstbestimmung der Frauen, der | |
rezeptfreien „Pille danach“ und mehr Sexualaufklärung in den Schulen. | |
## Ab in den Papierkorb | |
Doch als am Mittwoch letzter Woche die Abgeordneten über zwei | |
konkurrierende Bürgerbegehren abstimmen sollten: „Rettet die Frauen“ und | |
„Stoppt die Abtreibung“, versagte die Opposition vollständig. Es ging in | |
der ersten Lesung nur darum, ob die Gesetzesinitiativen aus der | |
Zivilgesellschaft an die zuständigen Parlamentsausschüsse weitergeleitet | |
werden oder gleich im Papierkorb landen. | |
Kurz vor der Abstimmung forderte noch Polens römisch-katholische Kirche die | |
Volksvertreter auf, für das totale Abtreibungsverbot zu stimmen. Und dann | |
passierte das Unvorstellbare: 39 Oppositionelle stimmten nicht ab. | |
Für das Projekt „Stoppt die Abtreibung“ stimmten alle Abgeordneten der | |
nationalpopulistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), sowie | |
drei der PO und zehn der Bauernpartei PSL. Das bedeutete das Ende für das | |
„Rettet die Frauen“-Projekt. | |
„Ich bin entsetzt, wenn ich mir ansehe, zu was für einem Monstrum sich | |
meine Kirche und mein eigenes Vaterland entwickeln“, sagt die | |
Architekturstudentin Slawka und wischt sich den nassen Schnee aus dem | |
Gesicht. „Hat Jesus Christus nicht die Liebe zur Grundlage unserer Religion | |
erklärt?“ | |
## Eigene Familie | |
Janek, ihr 26 jähriger Freund, umarmt sie: „Wir halten in jedem Fall | |
zusammen, wenn es sein muss gegen alle Bischöfe, Priester und Politiker.“ | |
Die beiden möchten bald eine Familie gründen. Slawka würde auch ein | |
behindertes Kind aufziehen. „Aber wenn irgendetwas total schief laufen | |
sollte und unser Wunschkind mit einem offenen Rückgrat auf die Welt zu | |
kommen droht, möchte ich die Wahl haben.“ | |
Janek nickt. „Jesus sagt: ‚Lasset die Kinder zu mir kommen‘. Aber unsere | |
Bischöfe sagen: ‚Lasset die Frauen sterben!‘ „ Die beiden haben Polens | |
katholischer Kirche schon lange den Rücken gekehrt. „Vielleicht kehren wir | |
eines Tages zurück“, sagt Slawka. „Aber solange die Bischöfe eine solche | |
Frauenverachtung an den Tag legen, sicher nicht.“ | |
Der Trend unter Polens Katholiken geht in diese Richtung. Nicht einmal | |
jeder zweite Gläubige geht noch regelmäßig in den Gottesdienst. Aktuelle | |
Umfragen zeigen auch, dass die Mehrheit der Polen eine Liberalisierung des | |
rigiden Abtreibungsgesetzes in Polen wünscht oder aber zumindest die | |
Beibehaltung des aktuellen Gesetzes. | |
Dieses ist eines der strengsten in ganz Europa und erlaubt einen Abbruch | |
der Schwangerschaft nur, wenn der Fötus schwerst geschädigt ist, Gefahr für | |
das Leben der Mutter droht oder die Schwangerschaft Folge von Inzest oder | |
einer Vergewaltigung ist. Rund 42 Prozent der Befragten halten inzwischen | |
auch eine „schwierige Situation der Frau“ für einen Grund die | |
Schwangerschaft zu unterbrechen. | |
## Feige und heuchlerisch | |
„Nie hätte ich gedacht, dass uns die Oppositionellen im Parlament so im | |
Stich lassen würden“, empört sich die 60jährige Waleria. „Feige und | |
heuchlerisch ist das, was sie da im Abgeordnetenhaus aufgeführt haben! Die | |
kann man nicht mehr wählen!“ | |
Langsam nähert sich der Demonstrationszug der Parteizentrale der Moderne | |
auf Warschau schönster Flaniermeile, der Nowy Świat (Neue Welt). | |
„Realistisch gesehen hat das ‚Rettet die Frauen‘-Projekt bei den aktuellen | |
Mehrheitsverhältnissen im Parlament ohnehin keine Chance verabschiedet zu | |
werden. Aber es hätte zumindest eine inhaltliche Debatte stattgefunden.“ | |
Auf dem Weg zur letzten Parteizentrale verwandelt sich der Schnee in | |
Eisregen. Waleria winkt und verschwindet Richtung Metro. „Viel Erfolg bei | |
der PiS!“ Auch Slawka und Janek suchen das Weite. Sie wollen ins Kino | |
gehen. Und so stehen am Ende vor dem hässlichen Kasten der Regierungspartei | |
PiS an der Nowogrodzka-Straße nur noch ein paar Dutzend Demonstrantinnen. | |
Doch klein kriegen lassen sie sich nicht: „Wie kommen wieder!“ rufen sie. | |
18 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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