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# taz.de -- Buch über Antisemitismus im Ostblock: Das Ende der Hoffnung
> „Stalin hat uns das Herz gebrochen“ beschreibt, wie jüdische
> Kommunist_innen nach dem Zweiten Weltkrieg als Spione des Imperialismus
> verfolgt wurden.
Bild: Er wird immer noch verehrt, aber unter Stalin breitete sich der Antisemit…
Ulbricht stirbt und kommt in den Himmel. Petrus fragt ihn am Himmelstor:
„SED-Mitglied gewesen?“ – „Ja.“ – „Du meldest dich auf Wolke 9 be…
Parteigruppenorganisator.“ Auf Wolke 9 sitzt Karl Marx. Ulbricht zu Marx:
„Das wundert mich aber, dass du hier Parteigruppenorganisator bist, ich
dachte, du wärst mindestens im Politbüro.“ Darauf Marx: „Lieber Genosse,
erstens komme ich aus bürgerlichem Hause, zweiten bin ich Jude und drittens
war ich 40 Jahre in der westlichen Emigration.“
Der Witz, den das AutorInnenkollektiv „Stalin hat uns das Herz gebrochen“
ihrem gleichnamigen Buch voranstellen, gibt die entscheidenden Punkte des
Antisemitismus in den Ostblockstaaten wieder: Unter Stalin wurden Jüdinnen
und Juden hier mit dem Bürgertum und dem Finanzkapital identifiziert, kamen
sie nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus der westlichen Emigration zurück,
galten sie als imperialistische Spione.
Beispielhaft für die Verfolgung jüdischer Kommunist_innen ist der
Slansky-Prozess des Jahres 1952 in Prag. Elf der vierzehn Hauptangeklagten,
als deren Schlüsselfigur Rudolf Slansky galt, waren jüdischer Herkunft. In
der Anklageschrift heißt es: „Slansky, Geminder und die übrigen Verschwörer
unterstützten und beschützten […] die unterwühlende Tätigkeit der
Zionisten, dieser verlässlichen Agentur der amerikanischen Imperialisten.“
Infolge des Prozesses fällte das Staatsgericht über 200 Todesurteile,
verurteilte Tausende zu hohen Gefängnisstrafen oder schickte sie ohne
Verurteilung in Arbeitslager, so die AutorInnen.
Die ostdeutschen SED-Funktionär_innen nahmen sich den Prozess zum Vorbild:
Hunderte Kommunist_innen wurden verhaftet, aus der Partei ausgeschlossen
und von ihren Ämtern entlassen. Der Staat setzte die jüdischen Gemeinden
unter Druck, es fanden Hausdurchsuchungen und Entlassungen statt.
Die Autor_innen betten den Antisemitismus analytisch in den
politisch-historischen Kontext ein: Um sich gegen den Nationalismus der
westlichen Staaten abzugrenzen, unterstützten die Sowjetunion und der
Ostblock selbst nationalistische Denkmuster, die den Antisemitismus
stärkten. Sie konnten dabei auf antisemitische Traditionen in Europa
zurückgreifen, die ihre Fortführung im Nationalsozialismus gefunden hatten
und immer noch virulent waren. Antisemitische Vorfälle wurden in der DDR
weder registriert noch geahndet, konnte es sie gemäß der antifaschistischen
Selbstdefinition des Staates doch einfach nicht geben. Diese hielt die
Staatsoberen aber nicht davon ab, sich in ihrer antiisraelische
Außenpolitik antisemitischer Stereotype zu bedienen, die sie als
Antizionismus ausgab.
Den AutorInnen ist es wichtig, die Vielschichtigkeit des Themas zu
erfassen: Sie analysieren die Verbindung zwischen Antisemitismus und
Finanzkapitalismus, die im Ostblock als Abwehr der Bourgeoisie und des
westlichen Imperialismus auftrat. Einen weiteren Schwerpunkt setzen sie in
der Spannung zwischen europäischem und sowjetischem Nationalismus, der die
Diskriminierung der Jüdinnen und Juden verstärkte. Anhand von drei
Biografien machen sie den Glauben an sozialistische Ideale und
unterschiedliche Verfolgungserfahrungen plastisch.
Ihnen ist ein sehr umfassender Überblick über die ideologischen
Verknüpfungen des Antisemitismus im Kontext marxistisch-leninistischer
Staatsdoktrin und ihre Auswirkungen auf das Leben jüdischer Kommunist_innen
gelungen. Das Wissen darum, wie brutal die Hoffnungen jüdischer
Kommunist_innen auf eine Gesellschaft ohne Antisemitismus und Kapitalismus
von den Ostblockstaaten enttäuscht wurden, bleibt als trauriger Nachhall
einer Utopie zurück.
8 Jan 2018
## AUTOREN
Zoe Sona
## TAGS
Antisemitismus
Sowjetunion
Stalin
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Wladimir Putin
Lesestück Recherche und Reportage
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