# taz.de -- Aktivist über Proteste gegen Schwarz-Blau: „Man muss sich dagege… | |
> Während die rechtskonservative bis extrem rechte Regierung in der Wiener | |
> Hofburg vereidigt wurde, protestierten draußen Tausende dagegen. | |
Bild: In Wien demonstrierten am Montag Tausende gegen die neue Regierung aus Ö… | |
taz: Am Montag vereidigte der österreichische Bundespräsident Alexander Van | |
der Bellen die neue Regierung aus FPÖ und ÖVP. Wieso demonstrieren so viele | |
Menschen gegen eine Regierung, die von knapp 60% der Bevölkerung gewählt | |
wurde? | |
Laurin Lorenz: Prinzipiell muss man sagen, dass der Nationalrat und keine | |
Regierung gewählt wurde. Und hier gibt es ja grundsätzlich verschiedene | |
Konstellationen für eine Regierungsbildung. Außerdem ist es so, dass die | |
Demokratie immer wieder an ihre Grenzen stößt. Das passiert gerade in | |
Polen, auch in Ungarn. Hier hebeln demokratisch gewählte Regierungen die | |
demokratische Form aus. Als wahrer Demokrat muss man sich dagegen wehren. | |
In Österreich gilt es zudem, sich kategorisch gegen eine | |
Regierungsbeteiligung der FPÖ zu wehren. Die FPÖ ist eine Partei, die aus | |
dem sogenannten „Verband der Unabhängigen“ hervorgegangen ist. Der „VdU�… | |
war nach dem Zweiten Weltkrieg ein politisches Sammelbecken von ehemaligen | |
Mitgliedern der NSDAP in Österreich. Viele Politiker der FPÖ stammen aus | |
dem deutschnationalen Burschenschaftermilieu. In dieser Partei gibt es | |
Leute, die sich bis heute nicht von neonazistischem Gedankengut | |
distanzieren. Der Vizekanzler Heinz Christian Strache war als Jugendlicher | |
in Neonazikreisen unterwegs und Norbert Hofer, der neue Minister für | |
Verkehr und Infrastruktur, findet, dass der 8. Mai kein Tag der Freude sein | |
soll. Heute propagiert die FPÖ immer noch die „deutsche Sprach- und | |
Kulturgemeinschaft“. | |
Tausende demonstrierten dagegen? Wer war alles dabei? | |
Es gab verschiedene Demonstrationszüge, neun insgesamt, die sich alle | |
inhaltlich unterscheiden und jeweils eigene Akzente auf der Straße setzen | |
wollten. Dabei waren unter anderem die Plattformen „Radikale Linke“ und | |
„Offensive gegen Rechts“, aber auch RadfahrerInnen der „critical mass“,… | |
Bündnis von Kunst- und Kulturschaffenden, eine Initiative namens „20.000 | |
Frauen“ sowie ein Bündnis von Schülerinnen und Schülern. | |
Von verschiedenen Startpunkten bewegten sie sich alle zum Heldenplatz, | |
jenem Platz vor der Wiener Hofburg, wo die Angelobung stattfand. Die | |
Demonstrationen begannen früh zwischen 8 und 9 Uhr. Für diese Uhrzeit waren | |
an diesem Arbeitstag neben SchülerInnen und Studierenden erstaunlich viele | |
ältere Personen dabei. Also insgesamt eine heterogene Mischung aus Leuten: | |
von Autonomen bis zu zivilgesellschaftlichen Organisationen. | |
Wie haben Sie sich konkret an den Demonstrationen beteiligt? | |
Es war sehr schwierig, im Vorfeld Proteste gegen die Angelobung zu | |
organisieren. Erst 48 Stunden vor der Vereidigung wurde bekannt, wann diese | |
stattfinden würde. Für diesen Tag habe ich mit FreundInnen und Bekannten | |
einen Raum organisiert, an dem sich Menschen nach den Demonstrationen | |
zurückziehen, warm essen, sich austauschen können. Das haben wir in den | |
Räumlichkeiten der Universität Wien gemacht. | |
Was wir uns dabei gedacht haben war, dass der Widerstand gegen die | |
schwarz-blaue Regierung kontinuierlich sein und eine breitere | |
gesellschaftliche Basis bekommen muss. Deshalb haben wir in diesem Raum | |
Workshops organisiert, bei denen wir Interessierten bereits existierende | |
politische Gruppen und zivilgesellschaftliche Organisationen vorgestellt | |
haben. Damit auch Leute, die nicht politisch organisiert sind, eine Idee | |
davon bekommen können, wie sie sich nachhaltig gegen die Zumutungen der | |
neuen Regierung engagieren können. | |
Es ging Ihnen also darum, den Protest über diesen Tag hinauszutragen? | |
Ja, das ist das Problem, vor dem wir stehen. Auch bei der ersten | |
schwarz-blauen Regierung vor 17 Jahren gab es Proteste auf der Straße. Aber | |
irgendwann gehen dafür die Kräfte aus. Wichtig ist, dass jetzt Leute | |
erreicht werden, die aktiv werden wollen. Es gibt in Österreich viele | |
Initiativen, die gute Arbeit gegen das regressive gesellschaftliche Klima | |
machen. | |
Was sind das für Initiativen? | |
Es gibt Initiativen, die etwa Unterstützungsstrukturen für Geflüchtete | |
anbieten, auch solche, die klar gegen die massive Abschiebepolitik in | |
Österreich agieren. Oder Initiativen, die Geflüchtete dabei unterstützen | |
einen Schulabschluss zu machen. Auch Lobbygruppen, die sich für persönliche | |
Freiheitsrechte der Einzelnen engagieren. Einige haben wir im Anschluss der | |
Demonstrationen vorgestellt. Und es gab durchaus einige Interessierte, | |
denen wir Kontakte vermitteln konnten. Auch wenn vieles sehr spontan und | |
improvisiert war, die Resonanz war positiv. Es geht aber noch besser. Wie | |
kann politischer Aktivismus über den Eventcharakter einer Demonstration | |
hinaus aussehen? Wir wollen weiter an diesem Konzept arbeiten. | |
Bedeutet die neue Regierung einen Wendepunkt in der Geschichte Österreichs? | |
Ja und nein. Wir haben in den letzten fünf bis zehn Jahren gesehen, dass | |
sich ÖVP und SPÖ ideologisch an die FPÖ angepasst haben. Teilweise hat die | |
vorangegangene Regierung Forderungen der FPÖ umgesetzt, ohne dass die FPÖ | |
dafür in der Regierung sein musste. Seit ein paar Jahren gibt es einen | |
brisanten Rechtsruck in Österreich. Die neue Regierung bedeutet also vor | |
allem eine Zuspitzung dieser Verschiebung nach rechts. Es ist aber auch ein | |
Bruch, weil jetzt in hohen Positionen der Republik Personen sitzen, denen | |
ein klares demokratisches Bekenntnis fehlt. Sowohl das Innenministerium, | |
als auch das Verteidigungsministerium ist in den Händen der FPÖ. Nachdem | |
1934 Militär und Polizei auf ArbeiterInnen schoss, die gegen den Faschismus | |
revoltierten, war man um eine Aufteilung dieser Ressorts bemüht. Dass alle | |
bewaffneten Kräfte in der Hand einer rechtsextremen Partei sind, das gab es | |
noch nie. Die Repression gegenüber den Schwächsten und Andersdenkenden wird | |
vehement zunehmen. | |
Was bedeutet die Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ konkret für das | |
gesellschaftliche Klima in Österreich? | |
Der Neid und Hass gegenüber „den Anderen“, der Diskurs des | |
„Nach-unten-tretens“ wird stärker werden. Das, was von extrem Rechten am | |
Stammtisch diskutiert wurde, hat nun Eingang in ein Regierungsprogramm | |
gefunden. Das heißt konkret, dass das Grundrecht auf Asyl massiv | |
eingeschränkt wird: Geflüchtete dürfen nicht mehr privat unterkommen, sie | |
müssen bei ihrer Ankunft ihr Bargeld abgeben, weil die Regierung damit die | |
Verfahrenskosten begleichen will. Ihre Handydaten sollen ausgelesen werden. | |
Man will nicht, dass sich die Menschen integrieren. Weil man vielleicht | |
gemerkt hat, dass das zu Widerstand führt. | |
Außerdem erfährt der Sozialstaat einen herben Rückschlag: die Arbeitszeiten | |
sollen flexibilisiert werden und auf Betriebsebene ausgehandelt werden. Es | |
ist die Rede von einem Zwöfstundentag. Ganz zu schweigen von | |
Studiengebühren, die eingeführt werden sollen, einer | |
HochschülerInnenschaft, die sie „entpolitiseren“ wollen oder neuen | |
Überwachungsgesetzen. | |
Gibt es eine Perspektive für erfolgreichen zivilgesellschaftlichen | |
Widerstand? | |
Man darf nicht zu viel erwarten. Es wird nicht so sein wie 2000, als es | |
schon einmal eine schwarz-blaue Regierung und große Proteste dagegen gab. | |
Die internationale Situation ist eine andere. Damals gab es Sanktionen | |
gegen Österreich und internationale Empörung. Heute sehen wir: Ganz Europa | |
ist nach rechts gerückt. | |
Was jetzt wichtig ist: Man muss versuchen, wieder mehr mit Menschen ins | |
Gespräch zu kommen, sie zu aktivieren. Es geht darum, Debatten zu | |
politisieren, auf einer persönlichen Ebene. Auf einer gesellschaftlichen | |
Ebene ist das gerade schwer zu machen. Da gibt es in Österreich eine stark | |
rechtsgerichtete Presselandschaft. Parlamentarisch ist ein kritischer | |
Diskurs kaum möglich, da es quasi keine Oppositionspartei gibt, die den | |
Namen verdient hätte: Die SPÖ war jahrelang in der Regierung, sie muss sich | |
als Oppositionspartei neu definieren. Die Grünen sind aus dem Parlament | |
geflogen. Die NEOS haben in wirtschaftlichen und sozialen Fragen viele | |
Überschneidungen mit der neuen Regierung. | |
Wie fühlen Sie sich nach diesem Tag? | |
Ich glaube, es ist gut, dass der Tag der Angelobung endlich vorbei ist. Es | |
ist wichtig, dass man jetzt wieder politisch langfristig denkt, also weiter | |
als nur auf diesen Tag hin. Prinzipiell bin ich aber verängstigt und | |
ratlos. | |
19 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
## TAGS | |
Österreich | |
FPÖ | |
Sebastian Kurz | |
ÖVP | |
Heinz-Christian Strache | |
FPÖ | |
Österreich | |
Österreich | |
Präsidentschaftswahlen Österreich | |
Wahl Österreich | |
ÖVP | |
taz.gazete | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Politiker und Intellektuelle fordern: FPÖ-Minister boykottieren | |
Europäische Minister sollten die rechtspopulistische FPÖ nicht empfangen, | |
heißt es in einem Appell. Die EU-Präsidentschaft Österreichs solle | |
boykottiert werden. | |
Österreichs neue Regierung: Ohne Erfahrung eingestellt | |
Die Opposition fühlen sich von der Regierung verhöhnt. Sie kritisiert, dass | |
unerfahrene Politiker auf höchsten Ämtern „zwischengeparkt“ werden. | |
FPÖ-Einfluss auf Österreichs Medien: „Optimale“ Objektivität | |
Mit dem Regierungswechsel befürchten viele, dass der ORF auf Linie gebracht | |
werden soll. Eine Moderatorin kündigte bereits – wegen FPÖ-Hetze. | |
Grüner Politiker über Wahl in Österreich: „Bei der FPÖ herrscht kein Chao… | |
In Wien könnten bald die harten Nationalisten mit am Ruder sein. Dabei geht | |
es um einen verschworenen Kreis von vier bis fünf Männern. | |
Wahl in Österreich: ÖVP stärkste Partei | |
Bei der Parlamentswahl in Österreich gewinnt die konservative ÖVP. Die SPÖ | |
verliert, liegt aber knapp vor der rechtspopulistischen FPÖ. | |
Koalitionskrise in Österreich: Die sieben Gebote des Sebastian Kurz | |
Der Außenminister will nur dann den Vorsitz der ÖVP übernehmen, wenn er | |
dafür mit umfassenden Vollmachten ausgestattet wird. |