# taz.de -- Heike-Melba Fendel über #metoo: „Mehr wilde Fiktionen statt Hash… | |
> Choreografierte Empörungskultur: Die Schriftstellerin und | |
> Schauspielagentin Heike-Melba Fendel kritisiert die #metoo-Kampagne | |
Bild: Heike-Melba Fendel glaubt nicht, dass öffentliches Anklagen das intim zu… | |
taz am wochenende: Nachdem Dutzende Frauen den Hollywoodproduzenten Harvey | |
Weinstein des sexuellen Missbrauchs angeklagt und in der Folge Unzählige | |
unter dem Hashtag #metoo von ihren Sexismuserfahrungen berichtet hatten, | |
entwickelte sich eine zentrale Debatte des Jahres über sexuelle Übergriffe | |
und frauenfeindliche Machtstrukturen. Was hat aus Ihrer Sicht bisher | |
gefehlt, Frau Fendel? | |
Heike-Melba Fendel: Das ist weniger eine Debatte denn ein reines | |
Wirkungsphänomen, eine Steilvorlage für Emotionen. Das Urteil ist von | |
vornherein gefällt. Es gibt keine divergierenden Standpunkte, die man | |
herausarbeiten und dann im Idealfall zusammenführen könnte. Es gibt den | |
Herrenwitzverteidiger, der nicht mehr weiß, wie er jetzt flirten soll, aber | |
das ist keine echte Positionierung. Selbst ich denke ständig, dass ich | |
voranschicken muss, dass ich natürlich gegen jede Form von Missbrauch bin, | |
wenn ich eine Position einnehme, die nicht dem Reiz-Reaktions-Schema | |
entspricht. Als stünde das in Zweifel. Es fehlt der Wille zur | |
Differenzierung. Die Bereitschaft, anderen zuzuhören, sobald die nicht in | |
die Empörungsfolklore einstimmen. | |
Wer über Sexismus reden will, muss über Sex reden, sagen Sie. Was heißt | |
das? | |
Man kann keine Täter-Opfer-Schemata aufmachen im Kontext von Sexismus und | |
sexualisierter Gewalt, ohne sich mit dem zu befassen, was der Ausübung von | |
Sexualität vorgelagert ist: Begehren. | |
Im Sinne von „Ich fühle mich zu einem anderen sexuell hingezogen“. | |
Anspruch dieser sich als aufklärerisch ausweisenden Kampagne ist ja, dass | |
Sexualität anders, also auf Augenhöhe zwischen den Beteiligten verhandelt | |
wird. Aber weder erwähnt noch eben verhandelt wird weibliches Begehren und | |
wie es sich in die Gemengelage wechselseitiger Erwartungen einfügt. Die bei | |
#metoo sprechende Frau ist nur Gegenstand eines in falsche Handlung | |
überführten Begehrens der Männer. | |
Worüber müssen wir reden? | |
Es geht, denke ich, nicht um das „auch“ von #metoo, es geht um das „ich�… | |
Die Frage also, was Opfer-Täter-Bilder für die eigenen Beziehungen | |
bedeuten. Letztlich reden wir über einen intimen Raum, in dem zwei Leute – | |
oder auch mehr – ihre intimen Dinge verhandeln. Da beginnt alles, und da | |
landet es auch wieder, nachdem es seine medialen Schleifen gedreht hat. | |
Dass öffentliches Anklagen das intim zu Verhandelnde bereichert, da habe | |
ich meine Zweifel. | |
Warum? | |
Parallel zur und im toten Winkel der #metoo-Kampagne sehen wir zum Beispiel | |
eine Generation von Jugendlichen in täglicher Konfrontation mit Pornos | |
jedweden X-Ratings und krassen Dating-Apps. Wenn eine junge Frau mit 14, 15 | |
jetzt zum ersten Mal mit einem Jungen schläft, dann ist sie mit dieser | |
Konditionierung ihres Partners, wie auch der eigenen, in viel | |
existenziellerem Maß konfrontiert als mit dem aufklärerischen Radius von | |
#metoo. Das ist alles andere als Whataboutism, es muss zusammengedacht | |
werden. | |
Was bedeutet das? | |
Sie müssen sich als Frau in jedem Alter fragen: Wie kann ich in Aushandlung | |
mit dem Mann Sexualität jenseits normierter Rollenbilder und Zuweisungen | |
leben? Intimität ist etwas so Fragiles wie Wildes, das ist immer schwierig. | |
Aber wenn sie ideologisiert wird, verschließen wir den Möglichkeitsraum | |
zwischen uns und unseren Partner oder auch nur Geschlechtspartnern. | |
Sexuelle Gewalt hat überhaupt nichts mit Sex zu tun, ist die Gegenposition. | |
Sie ist Gewalt, um zu unterwerfen. Das ist das Modell Hollywoodmogul. | |
Die Verknüpfung von Macht und Sexualität zuungunsten der Frauen ist kein | |
hollywoodspezifisches Verbrechen. Und etliche Spielarten von Sex haben nun | |
einmal durchaus mit Unterwerfung und Gewalt zu tun. Dazu hat auch und | |
gerade Hollywood viele Bilder produziert. Von deren Auswirkungen sind nicht | |
nur die Protagonisten vor Ort geprägt, sondern wir alle. | |
Ihre Talkshow-Mitdiskutantin Verona Pooth war entsetzt, weil Sie dafür | |
plädieren, den des Mißbrauchs bezichtigten Schauspieler Kevin Spacey nicht | |
einfach aus einem Film herauszuschneiden. | |
Warum schauen wir uns Filme an, warum lesen wir Bücher? Wir wollen | |
Identitäts- und Narrationsangebote bekommen, die nicht unsere eigenen sind | |
oder sein können. Und ein Kollektiv von Künstlern und Handwerkern | |
ermöglicht uns im Kino eine solche Bereicherung. Allerdings nur bei Wahrung | |
des Sicherheitsabstands zur eigenen Realität. Wenn man das nicht braucht | |
oder haben will, sieht man es eins zu eins und behandelt Spacey wie einen | |
Nachbarn, der den Hund vergiftet hat. | |
Der emanzipatorische Fortschrittsbegriff als künstlerische Zensur? | |
Sagen wir so: Man kann unsere Zeit auf mehr Arten erzählen als auf die | |
eine, nach der aufgeklärte Frauen aufgeklärten Männern begegnen und | |
aufgeklärte Kunst- und Kulturprodukte produzieren. Oder dass aufgeklärte | |
Frauen unaufgeklärten Männern das aufzuoktroyieren versuchen, wie man | |
früher sagte. Ich glaube, dass wir schauen müssen: Anhand welcher Punkte | |
wird unsere Zeit erzählbar? Sicher eher nicht dort, wo eine Internetmoral | |
zum Handlungsdiktum wird. | |
In einem Essay mit dem Titel „Schlimm, aber sexy“ haben Sie beschrieben, | |
warum Medien das Thema so lieben: weil man neben Aufklärung und Entlarvung | |
von Machtstrukturen damit auch Geilheit bedient. | |
Klar: Schöne junge Frauen, die angefasst wurden. Schlimm, aber sexy. Ich | |
habe in der Agentur im Oktober jeden Tag fünf bis zehn Anrufe bekommen, von | |
Journalisten, die unbedingt Namen von missbrauchten Frauen aus Deutschland | |
wollten, aber so krass dringend, dass es wirklich unangenehm wurde. | |
Was haben Sie Ihren Klientinnen geraten? | |
Ich habe allen gesagt, nichts zu sagen. | |
Warum nicht? | |
Als Agentin stellen Sie immer die Frage: Wer hat was davon, wenn eine | |
prominente Frau sagt, was ihr passiert ist? Hat sie selbst was davon? Nein. | |
Glauben Sie, es sorgt für gesellschaftlichen Fortschritt, wenn etwa Bild | |
eine Titelgeschichte bekommt mit einer sehr prominenten Frau, der etwas | |
Schreckliches widerfahren ist? Davon profitieren nur die Medien, die damit | |
Bildwelten in den Köpfen entstehen lassen, die mit dem aufgeladen sind, was | |
Sie geil nennen und ich sexy. | |
Die Frauen aus Hollywood, die gegen Weinstein aufgestanden sind, wurden als | |
„Person of the year“ ausgezeichnet. | |
Ja, von wegen mutige Celebrities. Ich weiß nicht, wie mutig es ist, Teil | |
eines vollkommen akzeptierten „Auch“-Kollektivs zu sein. Es ist doch das | |
Prinzip aus „Des Kaisers neuen Kleidern“. Mutig ist der oder die Erste. | |
Dann bricht der Damm. Dann beginnt der Mainstream. Stars sind | |
hochkommerzielle Einheiten, und das Image von Stars ist so volatil wie das | |
von Aktien. Wenn die falschen Gerüchte entstehen, kann die Nachfrage extrem | |
beeinträchtigt werden. Und zwar durch zu früh geäußerte Solidarität ebenso | |
wie durch Unterlassen der Solidarität. Es geht um das Timing. An der Frage, | |
wann man mit einem Thema nach außen geht, hängt sehr viel Geld. | |
An manchen Stars hängen viele Arbeitsplätze von normalen Menschen. | |
Auch. Das ist doch so was von klar, dass in Hollywood niemals jemand | |
einfach so sagt, was er oder sie denkt. Wenn man Kevin Spacey aus „Alles | |
Geld dieser Welt“ rausschneidet aus der Überlegung heraus, dass er dem | |
Einspielergebnis schadet, fragen sich seine prominenten Kollegen sehr | |
genau: Okay, ist jetzt der Moment für Solidarität? | |
Was nehmen wir nach 2018 mit? | |
Wir brauchen wildere Fiktionen statt weiterer Hashtags. Um unsere | |
Möglichkeitsräume neu zu definieren. Mit Empörung und Hashtags können Sie | |
nur Eindeutigkeit ausstellen, aber nicht auf eine Zukunft hinwirken, die | |
auf eine andere Art lebenswert wäre als eine klickorientierte und sich dem | |
Kapitalismus unterwerfende Logik des Begehrens und dessen Ideologisierung. | |
Sie können fragen: Was habe ich aus meiner Lust gemacht, warum habe ich es | |
gemacht, wer war der andere, was hat der gemacht? Da hilft keine | |
vorgefertigte Empörungschoreografie. | |
Frau Fendel, Sie sind eine Liberale, während die anderen die wehrlosen | |
Menschen durch Strukturen schützen wollen. Das ist Ihnen klar, oder? | |
Ich würde das auf keinen Fall mit einem Begriff der politischen Liberalität | |
verknüpfen. | |
Schon klar. Ganz ruhig. | |
Ich möchte eher über Strukturen des Möglichen nachdenken. Sie müssen mit | |
dem Begreifen anfangen und nicht mit dem Ablehnen. Wer sich nicht zum | |
Verstehen bereit erklärt, der kann auch kein Urteil fällen. | |
22 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Schwerpunkt #metoo | |
Sexualität | |
sexistisch | |
Lesestück Interview | |
wochentaz | |
taz FUTURZWEI | |
Kretschmann | |
Schwerpunkt #metoo | |
Promis | |
Sexismus | |
Alice Schwarzer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Künstleragentin über Attraktivität: „Schönheit formt sich im Blick“ | |
Als Chefin einer Künstleragentur kennt sich Heike-Melba Fendel bestens aus | |
mit Looks. Ein Gespräch über Schönheit, Makellosigkeit – und Selbstzweifel. | |
Aus taz FUTURZWEI: Liebe in Zeiten der Cholerik | |
Was darf man noch, was muss man jetzt? Die #MeToo-Verunsicherung bietet die | |
Chance auf einen Frau-Mann-Dialog auf Augenhöhe. | |
Kolumne Die eine Frage: Das Kretschmann-Trittin-Schisma | |
Das meistbenutzte Wort von Emmanuel Macron ist en même temps, auf deutsch: | |
gleichzeitig. Wird dieser Begriff 2018 prägen? | |
Sozialdemokraten in Norwegen: Arbeiterpartei in der #metoo-Krise | |
Die Partei steckt schon seit der Wahl im vergangenen Herbst in der Krise. | |
Jetzt muss ihr Vize wohl wegen Belästigungsvorwürfen gehen. | |
Society-Expertin über Promis und #metoo: „Das ist wie eine Initialzündung“ | |
Immer wieder werden Stars zur Projektionsfläche für den Umgang mit | |
Diskriminierung und sexueller Gewalt. Society-Expertin Vanessa Blumhagen | |
erklärt, warum. | |
Sexismus im Bundestag: „Sie dürfen alles anfassen“ | |
Kompliment oder Belästigung? In einem WDR-Video zeigen männliche | |
Bundestagsabgeordnete, dass #Metoo nicht viel bewirkt hat. | |
Die Wahrheit: Die Bundestugendministerin | |
Endlich: Alice Schwarzer will der #MeToo-Bewegung ein deutsches Gesicht | |
geben. Es wurde aber auch Zeit, dass die Unermüdliche in Amt und Würden | |
gerät. |