# taz.de -- ARD-Film über Erich Kästner: Eskapismus und Trotz | |
> Seine Bücher wurden verbrannt, er blieb trotzdem: „Kästner und der kleine | |
> Dienstag“ zeigt das Leben Erich Kästners unter den Nazis. | |
Bild: Erich Kästner (Florian David Fitz, re.) mit seinem Freund Erich Ohser (H… | |
Es ist das Jahr 1929, die Goldenen Zwanziger sind noch nicht ganz vorbei, | |
und Erich Kästner genießt das Leben. Noch. Der ARD-Film „Kästner und der | |
kleine Dienstag“ präsentiert ihn als liebenswerten Aufschneider. Es dauert | |
allerdings nur eine halbe Fernseh-Stunde – in Wirklichkeit natürlich Jahre | |
– da wird sein „Fabian“ gemeinsam mit Heinrich Manns „Das öffentliche | |
Leben“ aus dem Schaufenster genommen, um Platz zu schaffen für Adolf | |
Hitlers „Mein Kampf“. Wir wissen ja, was folgen wird. | |
Erich Kästner ist ein über seinen Tod hinaus berühmter Schriftsteller, der | |
kleine Dienstag eine Figur aus seinem berühmten Roman „Emil und die | |
Detektive“. Und dieser Kästner (Florian David Fitz) scheint ein Schalk zu | |
sein. „Stellen Sie sich vor, ich bin Vater geworden“, sagt er zu der | |
Verkäuferin im Buchladen. „Es ist ein Junge. Und er heißt Emil. Und der | |
liegt hier bei Ihnen rum.“ Die Buchhändlerin versteht ihn nicht sofort. | |
„Kinder brauchen Licht und Luft. Sonst können sie nicht wachsen.“ Die | |
Buchhändlerin nimmt sogleich eilfertig Heinrich Manns „Sieben Jahre“ aus | |
dem Schaufenster und schafft Platz für „Emil und die Detektive“. | |
Wir sehen den großen Karikaturisten Erich Ohser (Hans Löw), der im Film | |
Kästners bester Kumpel ist, wie er meint, mit seinen unpolitischen „Vater | |
und Sohn“-Bildergeschichten und dem Pseudonym e.o.plauen durch die | |
Nazi-Zeit zu kommen. Ohser erhängte sich 1944, in der Nacht bevor Roland | |
Freisler den Prozess vor dem Volksgerichtshof über ihn eröffnen konnte. | |
Mit dem kleinen Dienstag verhält es sich nun so, dass der Film-Kästner in | |
dem – zu Anfang des Films – kleinen Hans Löhr (Nico Ramon Kleemann) seinen | |
größten Fan hat, den er nur ein bisschen protegiert, damit der die Rolle | |
des kleinen Dienstag in der ersten Verfilmung (1931) von „Emil und die | |
Detektive“ bekommt. | |
## Der Moralist ist immer dabei | |
Hans Löhr, der Kästners Werk verinnerlicht hat, fällt die Aufgabe zu, | |
Kästner stets mit der hohen Moral seiner eigenen Geschichten zu | |
konfrontieren: „‚An allem Unfug, der passiert, sind nicht nur die schuld, | |
die ihn tun, sondern auch diejenigen, die ihn nicht verhindern.‘ – Wer hat | |
das nochmal geschrieben? ‚Fliegendes Klassenzimmer‘, Kapitel sieben.“ | |
Das eigentliche Thema des Films ist nämlich, wie Erich Kästner – am Ende | |
erfolgreicher als Ohser – durch die Nazizeit kam. Seine Bücher wurden | |
verbrannt, er hatte Berufsverbot. Warum ist er nicht emigriert? „20 % | |
Trotz, 20 % Feigheit, 20 % Faulheit, 10 % Dummheit und 5 % Heldenmut. Und | |
100 %, weil es meiner alten Mutter in Dresden das Herz brechen würde.“ | |
Dieser schon mathematisch fragwürdigen Formel folgt auch der Film. Die 5 | |
Prozent Heldenmut beweist der Film-Kästner, als er seinen inzwischen | |
herangewachsenen Dienstag (Jascha Baum) davor bewahrt, als Fahnenflüchtiger | |
verhaftet zu werden. | |
In welche Kategorie fallen nun Kästners unter Pseudonym (Berufsverbot) | |
geschriebene „Schundbücher für die Ufa“ (Ohser)? „Münchhausen“, zum | |
Beispiel, der zwar kein antisemitisches Machwerk wie „Jud Süß“ war. Mit | |
seinem prächtigen Eskapismus erwies der Film der Nazi-Propaganda aber | |
möglicherweise den wertvolleren Dienst (wie man vergangene Woche auf Arte | |
in Rüdiger Suchsland „Hitlers Hollywood – Das deutsche Kino im Zeitalter | |
der Propaganda zwischen 1933 und 1944“ lernen konnte). | |
## Schiefgelaufen | |
Kästner-Biografen mögen sich mit den Details befassen – im Großen und | |
Ganzen scheint der Film (Regie: Wolfgang Murnberger; Buch: Dorothee Schön) | |
die bekannten Tatsachen nicht zu verzerren. Er will es sich nicht zu | |
einfach machen. | |
Und doch: Folgt da nicht ein bisschen zu lässig auf den die Bombe reitenden | |
Hans Albers der Fliegeralarm und steht Kästner bald darauf vor seinem | |
ausgebombten Haus? Der Schrecken der Bombenangriffe erschließt sich so | |
nicht und die Ostfront wird selbst dann nicht erfahrbar, wenn der Zuschauer | |
Hans Löhr in einer Szene auf das Schlachtfeld folgt. | |
Irgendetwas muss da gründlich schiefgelaufen sein, wenn einen das Grauen | |
erst ganz am Ende, beim Lesen der Bildtafel vor dem Abspann, packt: „Bis | |
auf zwei Ausnahmen hat keiner der Kinderdarsteller von ‚Emil und die | |
Detektive‘ den Krieg überlebt.“ | |
21 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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