# taz.de -- Für und Wider von Aktionskunst: Ist das überhaupt noch Kunst? | |
> Ob vor Björn Höckes Wohnhaus oder am Standort des Waffenherstellers | |
> Heckler und Koch – Aktionskunst ist „in“. Vielen geht sie jedoch zu wei… | |
Bild: Dieser Weihnachtsmann lässt nahe des „Heckler und Koch“-Werks schie�… | |
BERLIN/OBERNDORF taz | Politische Aktionskunst steht gerade gut im Kurs. | |
Das Berliner Künstlerkollektiv „Rocco und seine Brüder“ setzte kürzlich … | |
Verbrechern der Wehrmacht ein Denkmal, indem es „Stolpersteine“ ins | |
Straßenpflaster vor der Berliner AfD-Zentrale einarbeitete – ein Gag auf | |
Kosten von AfD-Bundessprecher Alexander Gauland. Der hatte bei einer Rede | |
das „Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei | |
Weltkriegen“, eingefordert. | |
Die Ironie hat sich nun nicht jedem vermittelt. Passanten fanden, das müsse | |
„sofort weg“, es sei ja ganz offensichtlich Neonazipropaganda. „Rocco und | |
seine Brüder“ hatten auch noch einen falschen AfD-Stand aufgebaut: Der war | |
allerdings menschenleer. Rocco legt wert auf Anonymität – die meisten | |
seiner Aktionen, wie etwa ein voll eingerichtetes Zimmer in einem | |
U-Bahn-Seitenschacht der Berliner Verkehrsbetriebe voriges Jahr, sind nicht | |
ganz legal. | |
Roccos aktueller Coup fand aber nicht in der Hauptstadt statt, die Gruppe | |
mietete sich einen Planwagen, lud allerlei Deko und Spielzeug ein und fuhr | |
damit weit in die Provinz, nach Oberndorf am Neckar. Ein Ort, der als Sitz | |
der Firma Heckler und Koch (HK) bekannt ist. HK stellt Schusswaffen her und | |
liefert sie an deutsche Polizeipräsidien und die Bundeswehr, aber auch ins | |
Ausland. Wegen illegaler Waffengeschäfte mit Mexiko läuft ein Prozess gegen | |
das Unternehmen. Inzwischen gehen die Geschäfte innerhalb der EU allerdings | |
so gut, dass HK sich kürzlich selbst Handelssperren auferlegt hat. Sogar | |
einen Opferfonds gibt es. Das ändere nichts daran, dass ein | |
13.000-Seelen-Ort von den Jobs und Gewerbesteuern aus Waffengeschäften | |
lebt, fanden Rocco und Geschwister. | |
An einem Wochenende im Dezember ist Weihnachtsmarkt in Oberndorf, | |
veranstaltet vom Handels- und Gewerbeverein. Das perfekte Setting für einen | |
Schabernack der Hauptstadtkunst-Guerilla. Eine Schießbude wird aufgebaut. | |
Mit Heckler-und-Koch-Logo, Glücksrad, knallenden Spielzeugwaffen und | |
Handgranatenzielwurf auf ohnehin schon völlig zerschossene Pappfassaden. | |
Von der Planendecke hängen hübsche Gewinne: Babystrampler und T-Shirts mit | |
aufgedruckten Schusswunden, Spritzpistolen, HK-Geschenktüten mit Lebkuchen | |
in Zielscheibenform oder Sturmgewehrkeksen. Rocco ist die kuriose | |
Schießbudenfigur in roten Socken und Badelatschen: Als Nikolaus mit dunkler | |
Brille und umgehängten Patronengurten fordert er die großen und kleinen | |
Besucher zum Schießen auf. Und siehe da: Viele Oberndorfer Bürger nehmen | |
gerne einmal eine Spielzeuggranate zur Hand und geben Pappruinen im | |
Aleppo-Style den letzten Rest. | |
## In Thüringen kam das nicht lustig rüber | |
„Nicht schlecht! Einfach mal die ganze Stadt umgemäht! Thank you for | |
shooting!“, ruft Rocco einem Halbwüchsigen mit Brille zu. Sein Gesicht ist | |
hinter Bart und Brille nicht erkennbar. | |
Die Weihnachtsfrau Hera dagegen zeigt sich ganz gerne. Und je lauter der | |
Jubel über die liebevoll gebastelten und gebackenen Gewinne, desto größer | |
das Bedürfnis der Künstler, die Gewinner nicht einfach so mit ihrer Beute | |
abziehen zu lassen. Drei jungen Frauen erklärt Hera den Zusammenhang | |
zwischen Waffenexporten, Krieg in Syrien und Migration. „Ich find’s auch | |
echt nicht gut,“ sagt eine von ihnen. „Kann ich jetzt schießen?“ Die | |
Mädchen kichern. Ömer ist bald mit der Schule fertig, er gewinnt ein | |
T-Shirt, hatte aber eigentlich auf ein Praktikum bei Heckler und Koch | |
gehofft. Eine völlig neue Erfahrung für die Künstler: Sie müssen Sinn und | |
Zweck ihrer Kunst erklären. Ist das denn überhaupt noch Kunst? | |
Schauplatzwechsel: Das Dorf Bornhagen in Thüringen. Hier wohnt Björn Höcke. | |
[1][Aktivisten des „Zentrums für politische Schönheit“ haben ihm eine | |
Miniatur des Holocaust-Mahnmals direkt vor die Tür gesetzt] – als Antwort | |
auf Höckes Dresdener Rede, in der er das Original in Berlin Mitte als | |
„Denkmal der Schande“ bezeichnete. Dazu haben die Aktivisten auch noch eine | |
Geschichte erfunden, in der sie Höcke beschatten: „Eine der aufwändigsten | |
Langzeitbeobachtungen des Rechtsradikalismus in Deutschland“ – lustig ins | |
Bild gesetzt wie ein Stasi-Lehrfilm. In Thüringen kam das nicht lustig | |
rüber. „Das gleicht den Zersetzungsmethoden der DDR-Staatssicherheit“, | |
meinte Landtagspräsident Christian Carius von der CDU. Nun war die | |
„Langzeitbeobachtung“ aber nur Fiktion. Es besteht Klärungsbedarf, und das | |
ZPS erklärt sich auch. In einem sehr hübsch konfektionierten Video à la | |
„Sendung mit der Maus“. Wer die Kunst nicht kapiert , der kriegt eben | |
Nachhilfe. | |
Die beiden Aktionen der Berliner Künstlergruppen haben vieles gemeinsam. | |
Aktivistinnen und Künstler feilen wochenlang und akribisch an der Umsetzung | |
einer Idee. Sie haben gebacken, gebastelt oder Pappmaché angerührt. Die | |
einen haben ein Grundstück gemietet. Die anderen einen Weihnachtsmarktstand | |
gebucht. Beide haben sich hinter die Frontlinie geschlichen. Das braucht in | |
jedem Fall Mut. | |
Das ZPS war vor Ort mit aufgebrachten Bornhagenern konfrontiert. In Videos | |
ist zu sehen, wie AfD-Anhänger Aktivisten beschimpfen. Ein Gespräch findet | |
nicht statt. Wäre es von vornherein aussichtslos gewesen? Warum ist die | |
Trophäe der Aktion am Ende ein gezieltes Aneinandervorbeireden – | |
festgehalten im Video? | |
## Routingemäßig den Finger in die Wunde legen | |
Für die linksurbane, digitalvernetzte Gemeinde ist die Szene ein Witz. | |
Allerdings ein ziemlich billiger. Ist es nicht wahrscheinlich, dass selbst | |
ein Björn Höcke in seiner Nachbarschaft Freunde hat? Und was ist zu | |
erwarten, wenn man sich mit einer Provokation dahin begibt, wo | |
größtmögliche Abneigung zu erwarten ist? | |
Das Zentrum für politische Schönheit sieht sich selbst als „Sturmtruppe zur | |
Errichtung moralischer Schönheit, politischer Poesie und menschlicher | |
Großgesinntheit.“ Sicher, schon das Wort „Sturmtruppe“ macht klar, dass … | |
ZPS sich von diesem hochtrabenden Leitsatz sofort wieder „ein Stück weit“ | |
distanziert. Der allwissende Profispötter argumentiert aus dem Hinterhalt. | |
Er legt routinemäßig den Finger in die Wunde. Aber wie geht’s dann weiter? | |
Auch Rocco und seine Geschwister haben sich in Feindesland begeben. Aber | |
die Knallbude auf der Schwäbischen Alb wurde ein Publikumserfolg – | |
überraschend auch für die Macher. Die hatten erwartet, sie würden nach | |
wenigen Minuten vertrieben. Dass sie bei all dem Spaß am Ballern dann doch | |
gern noch etwas Interpretationshilfe beigeben wollten, ist ein respektables | |
Anliegen. Auch wenn ein paar mehr gestellte Fragen schöner gewesen wären | |
als der massive Erklärüberhang. Aber Berliner und Oberndorfer standen sich | |
gegenüber, ins Gespräch vertieft. | |
Man hat sich kennengelernt und gemeinsam am Glücksrad gedreht. Rocco und | |
seine Brüder und Schwestern haben sich wenigstens für ein paar Stunden | |
(an)greifbar gemacht. Was nützt dagegen ein Stelenwäldchen vor Björn Höckes | |
Haus, zerschnittene Autoreifen und formvollendete Videoproduktionen, wenn | |
sich am Ende doch nur wieder alle in ihrer jeweiligen Weltwahrnehmung | |
bestätigt sehen? | |
Der Erfolg von politischer Aktionskunst muss sich nicht um jeden Preis | |
daran messen, wie viele Menschen man in Rage gebracht oder um wie viel | |
tiefer man die Kluft zwischen dem politisch Schönen und dem politisch | |
Hässlichen gemacht hat. Vielleicht ist ja auch die spontane und probeweise | |
Verständigung ein Wert an sich. Die ist nur leider medial nicht so gut | |
verwertbar. | |
21 Dec 2017 | |
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## AUTOREN | |
Grit Eggerichs | |
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