# taz.de -- Vor der ANC-Wahl in Südafrika: Der endlose Weg zur Freiheit | |
> Südafrikas ANC stimmt über den Präsidenten ab. Für die Bergleute ist die | |
> schwarze Befreiungsbewegung keine Hoffnung mehr. | |
Bild: Feierabend: Ein Arbeiter verlässt eine Mine in der Nähe von Johannesburg | |
Marikana taz | Die Platinmine in Marikana ist ein Paradebeispiel für die | |
wirtschaftlichen Machtverhältnisse in Südafrika. Die Verarbeitungsanlage | |
des Bergwerks, deren Schlot hoch in den blauen Himmel ragt, verfügt über | |
ein eigenes Kraftwerk und exklusive Wasserversorgung. Beides staatlich | |
subventioniert. Gegenüber liegt ein Slum, wo mehrere Tausend Minenarbeiter | |
ihre Hütten errichtet haben. Obwohl hier längst eine Kleinstadt steht, | |
haben es weder Staat noch Unternehmen für notwendig befunden, Strom und | |
Wasser einzuleiten. | |
Die wenigen besseren Häuser stehen ein paar Ecken weiter. Aber auch hier | |
regiert Tristesse. Ziegen rupfen das spärliche Grün zwischen | |
Plastikabfällen und leeren Flaschen. Auf einem handgeschriebenen Schild | |
bietet Dr. Juma, traditioneller Heiler, seine Dienste gegen Unglück jeder | |
Art und schwarze Magie an. Ein paar Männer stoßen unter einem Wellblechdach | |
bunte Kugeln in die Löcher eines Pooltisches. Der Sieger kassiert den | |
Einsatz des Unterlegenen. Offenbar die einzige Unterhaltung an diesem | |
trostlosen Ort, kaum zwei Autostunden nördlich der boomenden | |
Wirtschaftsmetropole Johannesburg. | |
Marikana ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass der Bergbau zwar | |
Vermögen schafft, aber den betroffenen Gemeinden nicht die versprochene | |
Entwicklung bringt. Und wie kaum ein anderer Ort steht Marikana dafür, wie | |
die regierende ehemalige schwarze Befreiungsbewegung (ANC) vom langen Weg | |
zur Freiheit abgekommen ist. | |
Wenige hundert Meter von der Platinmine entfernt liegt ein Felsenhügel als | |
makabrer Ausflugsort. An seinem Fuß haben am 16. August 2012 Polizisten und | |
Soldaten einen wilden Streik für bessere Löhne beendet, indem sie 34 | |
protestierende Minenarbeiter erschossen. „Wir wollen hier einen Gedenkstein | |
errichten“, sagt Bergbau-Gewerkschafter Msindiseni Kwenene. | |
## Bergbaufreundliche Politik | |
Die Zeit der Apartheid, als die schwarze Bevölkerung Südafrikas nur als | |
Arbeitskräfte für die weiße Minderheit geduldet wurde, ist seit fast einem | |
Vierteljahrhundert vorbei. Doch der ANC übernahm vom Apartheidregime die | |
bergbaufreundliche Politik. | |
Inzwischen hat die Partei Nelson Mandelas abgewirtschaftet. | |
Vetternwirtschaft und Korruption haben die einstige Befreiungsbewegung zu | |
einer Bereicherungsanstalt für Politiker gemacht. Eine | |
30-Prozent-Arbeitslosenquote und zunehmendes Versagen des Staates haben | |
unter Präsident Jacob Zuma die Basis des ANC erodieren lassen. In Marikana | |
kam er bei den letzten Wahlen 2014 nur noch auf 37 Prozent, knapp vor der | |
linken Abspaltung EFF (Economic Freedom Fighters). | |
An diesem Wochenende entscheidet der ANC auf einem Parteitag über Zumas | |
Nachfolge. Wer von den über 5.000 ANC-Delegierten zum neuen Parteichef und | |
damit zum Spitzenkandidaten für die Wahl 2019 gekürt wird, wird Südafrika | |
voraussichtlich die folgenden fünf Jahre regieren. Präsident Zuma, der nach | |
zwei Amtszeiten nicht mehr antreten darf, schickt seine Ex-Frau Nkosazana | |
Dlamini-Zuma, 68, als Wunschnachfolgerin ins Rennen. Aussichtsreichster | |
Gegenkandidat ist der 65-jährige Vizepräsident Cyril Ramaphosa. | |
Beide sind ANC-Urgestein. Dlamini-Zuma, seit 1998 von Jacob Zuma | |
geschieden, mehrfache Ministerin und später die erste Frau an der Spitze | |
der Afrikanischen Union, steht für Kontinuität. Ramaphosa war zu | |
Apartheidzeiten Gründer und Anführer der schwarzen Bergarbeitergewerkschaft | |
NUM und dann ANC-Generalsekretär. Als er nicht wie erhofft Mandelas | |
Nachfolge antreten durfte, wechselte er in die Privatwirtschaft und wurde | |
reich. Er steht eher für den Bruch. | |
Das global einflussreiche britische Wirtschaftsmagazin The Economist | |
schreibt: Für Südafrika und für ganz Afrika muss Ramaphosa gewinnen. | |
Phuthuma Manyathi, Funktionär der unabhängigen Gewerkschaft AMCU (Minen- | |
und Bauarbeitergewerkschaftsverband) in Marikana, sieht das anders. | |
Ramaphosa hat seine Anteile im Vorstand des Platinförderers Lonmin, der die | |
Mine von Marikana betreibt, erst vor Kurzem abgestoßen. Er soll, davon sind | |
hier viele überzeugt, das Blutbad von 2012 mitverantwortet haben. Manche | |
meinen, Ramaphosa habe persönlich den Schießbefehl gegeben. | |
Obwohl schon mehr als fünf Jahre vergangen sind, ist für Südafrikas größtes | |
Massaker seit Ende der Apartheid noch kein Polizist zur Rechenschaft | |
gezogen worden. Aber über 250 Bergarbeiter stehen wegen Mord vor Gericht, | |
denn nach einem Gesetz aus der Apartheidzeit haften alle Teilnehmer einer | |
Demonstration, wenn dabei jemand zu Tode kommt. | |
Der 38-jährige Loyiso Mtsheketshe ist nur auf Kaution frei und muss im | |
Februar wieder vor Gericht erscheinen: „Man wirft mir vor, den Streik | |
angeführt und damit den Mord an meinen Kameraden verschuldet zu haben.“ | |
Auch Joseph Mathunjwa, den Gründer und Vorsitzenden der Gewerkschaft AMCU, | |
wollte man gerichtlich belangen, obwohl er wiederholt zur Deeskalation | |
aufgerufen und die Streikenden gewarnt hatte, dass die Polizei auf | |
Blutvergießen aus sei. „Alles hat darauf hingedeutet, auch wenn niemand das | |
offen ausgesprochen hat“, erinnert er sich. Das Auftreten der berittenen | |
Polizei und das vorherige Errichten eines Verhaus aus Nato-Draht, der den | |
Demonstranten den Fluchtweg absperrte, seien ausreichende Hinweise gewesen. | |
## Das Korruptionsproblem | |
Die meisten Bergarbeiter in Marikana gehörten ursprünglich zur ANC-treuen | |
Gewerkschaft NUN, die den Streik von 2012 nicht unterstützte, weil sie sich | |
der Bergwerksführung gegenüber zu niedrigen Löhnen verpflichtet hatte. Als | |
der Streik begann, ließen die Gewerkschaftsbosse selbst schießen und | |
töteten zwei Kameraden. Kein Wunder, dass die meisten Minenarbeiter von | |
„ihrer“ Regierung enttäuscht sind und fast alle der AMCU beitraten, die mit | |
vier Monaten Streik die Lohnerhöhung schrittweise durchgesetzt hat und sich | |
auch um die Hinterbliebenen der Getöteten kümmert. | |
Entsprechend skeptisch zeigt man sich auch angesichts der | |
Richtungsentscheidung im ANC. Einzig ein echter Systemwandel, sagt | |
AMCU-Vorsitzender Joseph Mathunjwa, könne mit der Korruption aufräumen. Und | |
dafür sieht er im ANC derzeit keine Anzeichen. | |
Arbeiter Moses meint, der Unterschied zwischen den beiden ANC-Kandidaten | |
sei gering. „Aber Ramaphosa kommt bei den Weißen besser an.“ | |
AMCU-Vorsitzender Joseph Mathunjwa, eine charismatische Persönlichkeit, hat | |
den Economist auch gelesen und sagt: „Es ist klar, wo das herkommt. Die | |
wollen den afrikanischen Kontinent weitere hundert Jahre ausplündern und | |
brauchen dafür ein schwarzes Gesicht.“ | |
Präsident Jacob Zuma ist so offen korrupt, dass seine eigene Partei ihn | |
schon wiederholt fast abgesetzt hätte. Ein früherer Finanzminister schätzt | |
die Plünderung der Staatskassen auf 150 bis 200 Milliarden Rand (bis zu 15 | |
Mrd. Euro), das sind 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Aber, wie | |
Mathunjwa sagt: „Wenn Ramaphosa gegen die Korruption antreten will, warum | |
hat er dann so lange als Vizepräsident unter Zuma gedient und will jetzt | |
dessen Platz einnehmen?“ | |
Von seiner Ex-Frau allerdings würde Zuma erwarten, dass sie ihn vor der | |
Justiz beschützt, wo nicht weniger als 783 Klagen wegen Korruption gegen | |
ihn anhängig sind. Seine Verstrickungen mit den indischen Gupta-Brüdern, | |
gegen die das FBI und britische Behörden wegen Verdacht der Geldwäsche | |
ermitteln, sind notorisch. Angeblich können die Guptas in Südafrika | |
missliebige Minister ab- und einsetzen und Regierungsmitgliedern | |
Anweisungen erteilen. | |
Aber die Bergleute in Marikana wissen, dass Südafrikas Regierungen immer | |
schon nach der Pfeife der Konzerne tanzten. Und pünktlich zum | |
Parteitagsbeginn wird Marikanas Minenbetreiber Lonmin nach 100 Jahren | |
Unternehmensgeschichte voraussichtlich von der Konkurrenz geschluckt. Die | |
Goldfirma Sibanye-Stillwater hat ein Übernahmeangebot gemacht. Ihr Leiter | |
Neal Froneman, ein weißer Ingenieur, hat bei Lonmin Massenentlassungen | |
angekündigt. | |
16 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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