| # taz.de -- Die „Blaue Wende“ in Sachsen: Frauke Petrys Alternative | |
| > Zur ersten Veranstaltung in Meißen kommen gerade mal 50 Interessierte. | |
| > Trotzdem will die ehemalige AfD-Chefin in Sachsen künftig mitregieren. | |
| Bild: Will mit Schwein in die kommende Landtagswahl in 2018: Frauke Petry | |
| Meißen taz | Als erste Frage hätte sich Frauke Petry wohl eine andere | |
| gewünscht. Gerade hat die ehemalige AfD-Chefin die Vorstellung ihres neuen | |
| Projekts, die „Blauen Wende“, beendet, da steht ganz vorne im Saal ein | |
| älterer Mann auf, sagt ein paar einleitende Worte und fragt dann: „Frau | |
| Petry, wann geben Sie Ihr Mandat zurück?“ | |
| Es ist Freitagabend, Petrys „Blaue Wende“ hat im sächsischen Meißen zum | |
| Bürgerforum ins Waldschlösschen geladen. Der Saal im ersten Stock hat am | |
| Boden Parkett, an der Decke einen großen Kronleuchter, ein Kreamikbild des | |
| Meißener Schlosses hängt an der Wand. Nur knapp die Hälfte der gut hundert | |
| Stühle ist besetzt. Petrys engste Mitstreiter sind dabei, Uwe Wurlitzer und | |
| Kirsten Muster, die mit Petry und zwei weiteren Abgeordneten gemeinsam die | |
| sächsische Landtagsfraktion der AfD verlassen haben. Ein paar AfD-Anhänger | |
| sind gekommen, aber auch Leute, die früher mit der Partei sympathisiert und | |
| sich inzwischen abgewendet haben, einzelne sind extra aus Berlin und | |
| Brandenburg angereist. Vorn steht Petry in hellblauer Bluse und | |
| dunkelblauem Jackett, hinten im Saal trägt ihr Mann Marcus Pretzell, der | |
| ehemalige AfD-Landeschef in Nordrhein-Westfalen, jetzt ihr Baby herum. | |
| Gemeinsam mit Pretzell hat Petry kurz nach der Bundestagswahl die AfD | |
| verlassen, auch, weil ihnen die Partei nach eigenen Angaben zu weit nach | |
| rechts gerückt ist. Ihre Mandate wollen die Eheleute behalten. Jeder von | |
| ihnen hat zwei: Pretzell im Europaparlament und im Düsseldorfer Landtag, | |
| Petry im Dresdener Landtag – und seit Ende September auch im Bundestag. Das | |
| ist formal zulässig, ausfüllen aber lassen sich zwei Mandate von einer | |
| Person nicht. | |
| „Ich werde mein Mandat nicht zurückgeben“, sagt Petry im Waldschlösschen, | |
| „weil ich in meinem Wahlkreis direkt gewählt worden bin.“ Sie werde sich | |
| dort für das Programm engagieren, mit dem sie angetreten sei. Einige | |
| applaudieren engagiert. Petry sagt: „Weitere Fragen?“ | |
| Es ist die erste Veranstaltung der „Blauen Wende“ in Sachsen, eine gab es | |
| bereits vor einer Woche in Frankfurt am Main. Wie Bernd Lucke, der | |
| ehemalige AfD-Chef, der 2015 ebenfalls wegen eines Rechtsrucks kombiniert | |
| mit persönlichem Machtverlust [1][die AfD verließ], will Petry mit einer | |
| neuen Partei ihr Glück versuchen. Bei Lucke hat das ins Nichts geführt. | |
| ## Alle Karten auf Sachsen | |
| Petry setzt vor allem auf Sachsen, wo sie bis vor wenigen Wochen Landes- | |
| und Fraktionschefin war und wo die Lage der CDU besonders desolat ist. Bei | |
| der Bundestagswahl hat die AfD hier mit 27 Prozent der Stimmen die | |
| Christdemokraten von Platz 1 verdrängt. [2][CDU-Ministerpräsident Stanislaw | |
| Tillich tritt ab], sein Nachfolger wird ausgerechnet Michael Kretschmer, | |
| der sein Direktmandat an einen No-Name der AfD verlor. | |
| In gut anderthalb Jahren wollen Petry und ihre Mitstreiter zur Landtagswahl | |
| antreten – und nach eigener Vorstellung gleich in die Regierung einziehen. | |
| Für eine „konservative und liberale Politik“, wie sie die „Blaue Wende�… | |
| die „Blaue Partei“ wolle, seien noch weit größere Teile der Bevölkerung … | |
| gewinnen als bei der Bundestagswahl für die AfD, glaubt Petry. Ihre | |
| Hoffnung: „Wir sind jetzt ansprechbar für Menschen, die vorher nie mit uns | |
| geredet hätten.“ Vorher, das soll heißen: als der Makel der rechtslastigen | |
| AfD ihr noch anhaftete. Dabei war sie es zum Beispiel, die Kontakte der AfD | |
| mit dem rechtsextremen Front National aus Frankreich anbahnte und [3][sich | |
| stolz mit deren Chefin fotografieren ließ]. | |
| Um kurz nach sieben, zu Beginn des Abends, steht Pretzell vorn im Saal des | |
| Waldschlösschens, er soll die Struktur der „Blauen Wende“ erklären. Die | |
| „Blaue Partei“ soll demnach nur das notwendige Vehikel für Wahlen sein. | |
| Zentral sei zunächst das Bürgerforum, wo politische Probleme diskutiert und | |
| Lösungen gefunden werden sollen. Diese Fähigkeit hätten Parteien verloren, | |
| auch könnten sie Wähler nicht mehr an sich binden. In Parteien entstehen, | |
| so sieht es Pretzell, quasi zwangsläufig Abhängigkeiten und persönliche | |
| Netzwerke, wichtige Entscheidungen werden in kleinen Zirkeln ausgekungelt | |
| und alles ausgebremst, was den Konsens stört. „Wenn Sie politische Debatten | |
| führen wollen, dann sollten Sie sich dafür zuletzt eine Partei aussuchen“, | |
| sagt Pretzell. Der allerdings steht selbst in dem Ruf, in NRW kräftig | |
| gekungelt zu haben. | |
| So sei die Idee entstanden, fährt Pretzell fort, „die Partei auf ein | |
| Minimum zu begrenzen und ein Bürgerforum vorzuschalten“. Das habe einen | |
| weiteren Vorteil: Es wirke wie „eine Firewall vor der Partei“. Mit Hilfe | |
| des Bürgerforums sollen also all die Querulanten, die | |
| Verschwörungstheoretiker und Glücksritter aus der Partei gehalten werden. | |
| „Es sind ja nicht die rechten Tendenzen, die eine junge Partei kaputt | |
| machen“, sagt Pretzell. „Es sind die Irren. Und von denen gibt es viele.“ | |
| Der Applaus für Pretzell ist mäßig. „Wir wollen die Fähigen finden und | |
| vernetzen, um mit uns an politischen Zielen zu arbeiten“, sagt auch Petry | |
| später. „Viele von denen wollen nicht in eine Partei eintreten.“ | |
| ## Wie AfD, nur weichgespült | |
| Die politischen Positionen, die Frontfrau Petry dann vorstellt, entsprechen | |
| in vielen Punkten jenen der AfD. Der Unterschied: Sie werden weichgespült | |
| präsentiert. „Mit der AfD wird niemand koalieren“, sagt die ehemalige | |
| Parteichefin ganz offen. „Wir müssen das Programm so formulieren, dass es | |
| für mehr Bürger zustimmungsfähig ist.“ Das könne man an keinem Punkt | |
| deutlicher sehen als an der Diskussion über den Islam. „Wir können nicht | |
| sagen, dass alle Muslime in Deutschland mit dem Grundgesetz nicht | |
| kompatibel sind“, sagt Petry im Waldschlösschen. Das aber sei bei den | |
| Leuten angekommen. „Wir müssen sagen: Die Mehrheit derjenigen, die diese | |
| Religion lebt, hat in der Tat mit dem Grundgesetz ein Problem. Wir sollten | |
| ihnen aber nicht die Fähigkeit absprechen, sich Grundgesetz-kompatibel zu | |
| verhalten.“ Ihre Formulierung verhindere, dass man viele verliere, die die | |
| Kritik am Islam eigentlich teilen. | |
| Es geht Petry und ihren Mitstreitern also weniger um eine Abgrenzung von | |
| den Inhalten der AfD, als um eine andere Rhetorik. Und: Man will sich von | |
| den Rechtsaußen der Partei die eigenen Machtoptionen nicht verbauen lassen. | |
| Ein Problem ihrer alten Partei sei, sagt Petry nach der Veranstaltung im | |
| Gespräch mit der taz, „dass Leute wie Björn Höcke oder Jens Maier nicht aus | |
| der Partei gewiesen wurden, obwohl sie praktische Politik am Parteiprogramm | |
| vorbei gemacht haben. Am Wahlkampfstand ging es dann um die Rechtfertigung | |
| dessen, was Herr Höcke oder Herr Maier wieder losgelassen haben und nicht | |
| um unsere Politik. Wir wurden von diesen Personen letztlich politisch | |
| vergewaltigt. Ich bin nicht mehr bereit, das zu decken.“ | |
| An einem Punkt aber setzt Petry sich auch inhaltlich von ihrer Ex-Partei | |
| ab. „Die AfD ist wirtschaftspolitisch auf dem Weg nach links und ansonsten | |
| eine nationale Partei, man kann das sozialpatriotisch nennen“, sagt Petry. | |
| Dafür stehe sie nicht. | |
| ## Spiel auf Zeit | |
| Aus dem Publikum im Meißener Waldschlösschen kommt viel Zustimmung, doch es | |
| gibt auch Zweifel an den Erfolgsaussichten des Projekts. „Bis zur nächsten | |
| Wahl ist relativ wenig Zeit“, sagt ein Mann, der aus Berlin angereist ist. | |
| Ob man das überhaupt schaffen könne? Im Sommer 2019 wird in Sachsen | |
| gewählt. | |
| Uwe Wurlitzer, der ehemalige Geschäftsführer der sächsischen AfD und ein | |
| treuer Mitstreiter Petrys, versucht jetzt Zuversicht zu verbreiten. Vor der | |
| letzten Landtagswahl sei die Ausgangslage schlechter gewesen. Damals hätte | |
| man weniger Zeit und keine Erfahrung gehabt, man habe Fehler gemacht. Jetzt | |
| hätten sich in Sachsen bereits 300 Leute für die blaue Wende registriert, | |
| mehr als damals bei der AfD. „Hinzu komm fünf Landtagsabgeordnete, die sich | |
| voll einbringen werden und die Gehör im Landtag haben.“ | |
| Damals aber, könnte man entgegen, gab es auch noch keine AfD, die im | |
| Landtag mit neun Abgeordneten noch immer eine Fraktion bildet, während die | |
| Blauen es gerade zu einer Gruppe mit weit weniger Rechten geschafft haben. | |
| Ohnehin sind Petry bundesweit bislang weit weniger Abgeordnete gefolgt, als | |
| sie wohl gehofft hatte. Die sächsische AfD ist nach ihrem Abgang zwar | |
| personell geschwächt, der Landesverband wird derzeit von einem Notvorstand | |
| geführt, doch strukturell ist die AfD in Sachsen gut verankert. Und viele | |
| Anhänger nehmen Petry ihren Abgang übel. | |
| Im Waldschlösschen sitzen zwei Männer und eine Frau in der letzten Reihe, | |
| sie verfolgen den ganzen Abend ohne eine Gefühlsregung. Doch gegen Ende | |
| meldet sich die Frau. Sie habe den ganzen Wahlkampf über das Plakat von | |
| Petry mit ihrem Baby an ihrem Gartenzaun gehabt, sagt sie, weil sie die AfD | |
| unterstütze. Doch jetzt sei sie sehr enttäuscht. „Die Schicksalsfrage ist | |
| doch: Werden wir die Invasion überleben?“ sagt sie und meint wohl den | |
| Einreise der Flüchtlinge damit. „Das letzte was wir brauchen, ist noch mehr | |
| Spaltung.“ Das dürften viele in der AfD ähnlich sehen. | |
| 18 Nov 2017 | |
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