| # taz.de -- Die Wahrheit: Magic Schrottwichteln | |
| > Früher waren Weihnachtsfeiern besser. Da konnte man den Schnickschnack, | |
| > der sich angesammelt hatte, unter die betrunkenen Leute bringen. | |
| Leider bewege ich mich seit Jahren nur noch in wohlerzogenen ländlichen | |
| Kreisen, in denen Vereinskameraden bei Weihnachtsfeiern allenfalls noch in | |
| Sachen Kalorien und Dummgeschwätz über die Stränge schlagen. Nicht mal | |
| getrunken wird noch satisfaktionsfähig, nur immerzu gegessen. Befeuert von | |
| dem unerklärlichen Drang, sich vor dem Jahreswechsel bei Kerzenschein | |
| gemeinsam vollzustopfen, blockieren im Dezember wahnsinnige | |
| Bürogemeinschaften mit Weihnachtsmannmützen meine Lieblingslokale. Klar, ab | |
| Heiligabend gibt es ja nichts mehr, da muss man vorher noch einmal richtig | |
| hinlangen. | |
| Nach dem Espresso drückt Chef Großkotz dann den Teilnehmern Päckchen in die | |
| Hand, aus denen sie mit gut verhohlenem Entzücken eParfümfläschchen | |
| wickeln. Na toll. Und das soll der Team-Höhepunkt des Jahres sein, obwohl | |
| man sich doch ohnehin andauernd sieht, aber eben nicht über Dresdner | |
| Stollengebirgen mit Filetspitzenstapeln in Meeren von Bayerischer Creme. | |
| Nicht mal Schrottwichteln gibt es in meinen Kreisen noch, dabei spare ich | |
| seit Jahren darauf. Mit Notenschlüsseln verzierte Buchstützen, Gipsengel, | |
| überhaupt Designunfälle aller Art warten bei mir auf die Umverteilung. Mein | |
| erstes Schrottgewichtel fand kurz vor dem Abitur statt, und ich beschenkte | |
| einen Schulkameraden, der eine üppig wallende blonde Mähne trug, mit einer | |
| absurd kitschigen strassbesetzten goldenen Haarspange. Meine Mutter, | |
| lyrisch viel begabter als ich und außerdem literarisch bewandert, dichtete | |
| dazu Heines „Loreley“ auf ihn um. | |
| Vielleicht sollte ich erwähnen, dass der Bedachte über zwei Meter groß war | |
| und ist, was die Wirkung von Spange und Gedicht frappant erhöhte. Ob er | |
| später wegen dieser Sache Meeresbiologe wurde? Und ob ich wohl zur Buße in | |
| jenem Chor gelandet bin, der tatsächlich ab und zu Heines „Loreley“ zum | |
| besten gibt, inklusive Geschunkel? | |
| War das damals etwa „The Magic Schrottwichteln“? Leider weiß ich von jenem | |
| legendären Abend sonst nur noch, dass eine stinkende alte Fechtermaske den | |
| Besitzer wechselte und dass ambitioniertes Trinken damals unter | |
| Gymnasiasten noch als würdige Abendgestaltung betrachtet wurde. | |
| Was ich selbst erhielt, habe ich verdrängt. Es war bestimmt etwas Kleines, | |
| Garstiges, was mich seitdem durch mein Leben fernsteuert. Wahrscheinlich | |
| hat es rosafarbene mundgeblasene Flügel, ist mit Notenschlüsseln und | |
| Strohblumen verziert, rezitiert lebensweise Aphorismen, kann auch als | |
| Keksschale dienen und lauert mir im Dunkeln unter der Treppe auf. Dort | |
| bewirft es mich mit Spinnweben und Depressionen. | |
| Falls ich nächstes Jahr ein Schrottwichteln ansetzen sollte und es dabei | |
| versehentlich weggebe, wird ein Blitz einschlagen, der mein Haus in einen | |
| Partykeller der Achtziger verwandelt, woraufhin ich mit dem ganzen Quatsch | |
| wieder von vorn anfangen muss. Frohes Fest! | |
| 13 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Fischer | |
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