| # taz.de -- Die Wahrheit: Franzicke unter Franzacken | |
| > Französische Woche der Wahrheit: Immer essen müssen die vom hohen Wert | |
| > der Nahrung ergriffenen Franzosen. Gäste sollen mitschlemmen. | |
| Meinen achtzehnten Geburtstag feierte ich in Paris mit meinem Freund. Wir | |
| waren knapp bei Kasse und ernährten uns hauptsächlich von Käsetoasts und | |
| trockenem Baguette, während ich mit gierigen Augen die Restaurants | |
| betrachtete, weil ich ahnte, dass einem in Frankreich eigentlich ein | |
| anderes Leben zusteht, und so trennten wir uns bald darauf. | |
| Mein nächster Aufenthalt in Paris zwanzig Jahre später begann mit einem | |
| selbstmörderisch veranlagten Taxifahrer. Jemand ohne Suizidabsichten würde | |
| sich in der Hauptstadt ohnehin nicht ans Steuer setzen. Immerhin lernte ich | |
| einige Beleidigungen in der Landessprache. Danach gab es endlich ein gutes, | |
| deftiges Abendessen in einem authentischen Bistro, das mich sofort zur | |
| Franzosenfreundin machte; dann ging es auch schon ins Theater, wo ich wenig | |
| verstand, aber spontan alles liebte. Kultur und l’amour, mehr kann man als | |
| deutsche Kartoffel unter den geborenen Lebenskünstlern nicht verlangen. | |
| Darauf hatte ich Jahrzehnte gewartet! Nach der eher kurzen Aufführung | |
| bestand der Regisseur darauf, uns weitgereiste Ehrengäste zum Essen | |
| einzuladen, es sei ein toller Koch im Kulturzentrum zu Gast. | |
| Mein Magen erklärte mir, er habe mit Ente und Rübchenpüree von vor zwei | |
| Stunden noch genug zu tun, aber ich antwortete ihm, es könne sich ja zu | |
| dieser späten Stunde höchstens um ein paar Vorspeisen handeln. So war es | |
| auch: Köstlicher Schinken, eingelegtes Gemüse, Kleinigkeiten. Der Regisseur | |
| fragte, wie es schmeckte, und zwar mehrfach, bis ich nickte und lächelte | |
| und alles aufaß. Gott in Frankreich dankte ich für meine gute Konstitution. | |
| Dann kamen die Nudeln. Der Regisseur, ein Mann mit Kontrollzwang, achtete | |
| darauf, dass ich meinen Teller leerte. Ich bat meinen Magen, nicht | |
| aufzugeben, es sei gleich überstanden. | |
| Das war es auch, aber nur bis zum Hauptgang. Köstlich, nicht wahr? Sie | |
| müssen mehr Fleisch essen, der Koch ist berühmt dafür. Hier ist noch | |
| Trüffel. Ohne Gemüse geht es nicht. Bitte nehmen Sie zwei Brote. Schmeckt | |
| es Ihnen nicht? | |
| Mein Magen brüllte sein j’accuse!, der gute alte Banause. Das konnte ich | |
| nicht durchgehen lassen, da habe ich ihm auch noch das Dessert reingewürgt. | |
| Nachts wälzte ich mich schwitzend in der düsteren Schachtelwelt eines | |
| Pariser Hotelzimmers. In meinen Träumen tanzte der Regisseur mit dem Koch | |
| den letzten Tango auf meiner Bauchdecke, unter der direkt der Sturm auf die | |
| Bastille nachgespielt wurde. Ich erwachte als wimmerndes Wrack. | |
| Croissant und Milchkaffee am Morgen ließ ich ausnahmsweise an mir | |
| vorbeiziehen. Leider war ich schon mittags in die Maison de la Truffe | |
| eingeladen. Ohne viel Ei und Fett schmecken Trüffel gar nicht, das weiß in | |
| Frankreich jedes enfant. Der TGV nach Hause baute wegen meines Übergewichts | |
| so viel Verspätung auf, dass mein Magen sich noch heute in Paris befindet. | |
| Falls Sie Regisseur oder Koch sind, sprechen Sie ihn bitte auf gar keinen | |
| Fall an. | |
| 11 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Fischer | |
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