# taz.de -- Europäischer Filmpreis 2017: Europa ist die Lösung | |
> Das Wiedererstarken des Nationalismus war auch Thema auf dem 30. Jubiläum | |
> des Europäischen Filmpreises. Die Filmszene Polens hat es besonders | |
> schwer. | |
Bild: Sie gewann nicht nur etwas, sondern verloste auch etwas: die Schauspieler… | |
BERLIN taz | Mit etwas Glück hätte man mit Julie Delpy frühstücken können! | |
Croissants und Café au lait wahrscheinlich, vielleicht auch ein Glas | |
Champagner. Im Frühstücksraum des „Sofitels“ am Sonntagmorgen, einen Tag, | |
nachdem die französische Schauspielerin und Regisseurin bei den 30. | |
Europäischen Filmpreisen ihren „European Achievement in World Cinema Award“ | |
verliehen bekam. | |
Delpy hatte dieses Frühstück nämlich verlost, mit einer eigens zur | |
Dankesrede ausgepackten Losrolle: „Ich brauche noch 600.000 Dollar für | |
meinen nächsten Film und werde heute Abend auf der Party Lose verkaufen“, | |
sagte sie auf der Bühne, breitbeinig, den namenlosen Preis wie ein | |
Amazonenschwert auf die Hüfte gestemmt – einen Award, den sie „für das | |
Überleben in diesem Business“ bekäme. Dass das schwierig ist mit dem | |
Überleben, wurde nicht erst durch die proaktive und persönliche | |
Funding-Aktion klar. Monetär war für sie zwar auch am Ende der Party, nach | |
dem Losverkauf, die Kuh noch lange nicht vom Eis, aber die Dringlichkeit | |
wurde deutlich: Der europäische Film hatte und hat es nicht leicht. | |
Im 30. Jahr nach Gründung der Europäischen Filmakademie (Efa) ist Europa | |
gewaltig nach rechts gerückt. „Das Monster Nationalismus“, so bezeichnete | |
der Efa-Präsident und Ko-Gründer Wim Wenders die Entwicklung in einer so | |
besorgten wie emotionalen Begrüßungsansprache, „von dem wir dachten, wir | |
hätten es längst beerdigt“. Unter dem Applaus der Gäste im Haus der | |
Berliner Festspiele beschwor er das „europäische Versprechen“, denn: | |
„Europa ist nicht das Problem, sondern die Lösung!“ | |
Und dabei geht es den nationalen FilmemacherInnen noch vergleichsweise gut, | |
im Gegensatz zum Beispiel zum legendären Filmland Polen, in dem das freie | |
Filmemachen immer stärker von staatlicher Zensur geplagt wird, und aus dem | |
das großartige, an der Grenze zum Spielfilm agierende Drama „Komunia“ | |
(Kommunion) von Anna Zamecka stammt, das als bester Dokumentarfilm | |
ausgezeichnet wurde: „Ich wünsche uns allen, dass wir diese Freiheit nicht | |
als gegeben hinnehmen“, sagte die junge Regisseurin in ihrer Dankesrede. | |
Der wunderschöne polnische Film „Ida“, der vor drei Jahren fast sämtliche | |
Auszeichnungen abräumte und in dem das Drama sich – wie in „Komunia“ –… | |
dem Christentum entwickelt, wurde an dem Abend noch öfter als Vergleich | |
hinzugezogen, genau wie „Toni Erdmann“, auf den sich im letzten Jahr die | |
Mitglieder der Akademie ebenfalls fast in jeder wichtigen Rubrik einigten: | |
Was den Geschmack angeht, sind die EuropäerInnen anscheinend tatsächlich | |
erstaunlich oft einer Meinung. | |
In diesem Jahr war es nämlich die schwarze Komödie „The Square“ aus | |
Schweden, die die Preise für den besten Film, die beste Comedy, das beste | |
Drehbuch, den besten Regisseur und den besten Schauspieler mitnehmen | |
konnte. Einerseits berechtigt, andererseits fragt man sich bei einem | |
solchen Mono-Preisregen immer, ob der so üppig beklatschte Film dann nicht | |
auf ein zu hohes und seine Konkurrenz auf ein zu niedriges Podest gehievt | |
wird. Aber so ist es mit der Preisfindung durch eine große Gruppe, die | |
nicht zusammen und nicht zeitgleich entscheidet – Diskussionen können nicht | |
stattfinden. | |
Immerhin hatten sich die europäischen ZuschauerInnen auf Maria Schraders | |
beeindruckendes Kabinettstückchen „Stefan Zweig – Vor der Morgenröte“ | |
geeinigt und damit gezeigt, dass sie einen in sieben Sprachen gedrehten, | |
formal bestechend gradlinigen Film zu goutieren wissen: Er gewann den | |
„People’s Choice Award“. | |
Ansonsten widmete Moderator Thomas Hermanns die Veranstaltung gleich zu | |
Anfang mit einer ulkigen Tanz-und-Touch-Nummer dem Thema des Jahres #MeToo. | |
Schließlich war es die Filmbranche, in der sich Betroffene zuerst geäußert | |
hatten. Aber wie immer imitiert Film natürlich nur das Leben. | |
10 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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