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# taz.de -- Filmdrama über Organspende: Nie wieder erwachen
> Katell Quillévérés Spielfilm „Die Lebenden reparieren“ führt mit der
> Thematik Organspende an die Grenze zum Tod – und liebt alles, was lebt.
Bild: Simon (Gabin Verdet) und Thomas (Tahar Rahim) im Operationssaal
Die Bewegung aufnehmen, das heißt einfach: leben. Hinaus am ganz frühen
Morgen, durch die leeren Straßen der Stadt, es ist Le Havre, mit dem Rad,
mit dem Skateboard, allein, dann zu zweit, dann zu dritt, mit dem Auto ans
Meer. Hinein ins Wasser, warten, die Bewegung wird kommen. Die Bewegung der
Welle, auf der und vor allem unter deren Krone man surft.
Drei Jungs am Anfang ihres Erwachsenenlebens, die Kamera geht mit hinein
und hinaus aufs Wasser, schwimmt, taumelt, stellt sich der Gischt und nimmt
einem mit Szenen aus dem Hohlraum zwischen Wasser und Wasser in der
rollenden brechenden Welle, in dem man für Sekunden an der Grenze der
Elemente entlanggleiten kann, den Atem.
Ein Autounfall auf dem Weg nach Hause zurück führt einen der drei, Simon
Limbres, von diesem intensivsten Erleben an eine andere Grenze, die Grenze
zwischen Leben und Tod. Er liegt im Koma, die Ärzte haben nach dem Hirnscan
nicht mehr die leiseste Hoffnung: Simon wird nie wieder erwachen. Marianne
(Emmanuelle Seigner), seine Mutter, ereilt im Schlaf der Anruf, nach dem
nichts mehr sein wird, wie es war.
Mit Mühe und Tränen und äußerstem Willen hält sie das bisschen zusammen,
was von der eigenen Existenz für diese Stunden und Tage verbleibt. Simons
Vater, von dem sie getrennt lebt, ist ihr eine Stütze, wie sie ihm, der
herbeieilt, eine Stütze sein kann. So können zwei, die verzweifeln und
wanken, einander für ein bisschen Trost wenigstens halten.
Es ist eine Entscheidung zu treffen, erklärt Thomas (Tahar Rahim), der
junge Arzt, der vonseiten des Krankenhauses für diese Entscheidung
zuständig ist: Kann Simon, noch ist er beatmeter Körper, andere retten,
indem man mit seinen Organen Lebende, oder besser: Sterbende, repariert?
Die Eltern fliehen vor dieser Entscheidung, der Vater schweißt was, es
fliegen Funken wie Tränen, eine Übersprungshandlung.
In einem zarten Flashback durch Wellen und Tränen hindurch sehen wir, als
erinnerte Marianne sich, was nicht sein kann, denn sie war nicht dabei:
Simon, das blühende, glückliche Leben, er rast mit dem Fahrrad neben der
Bahn, in der die Frau sitzt, in die er sich verliebt hat, den Berg hoch und
kommt vor der Bahn an. Juliette steigt aus, lächelt, küsst ihn. Dies der
junge Mann, der nun tot ist.
„Die Lebenden reparieren“ von Katell Quillévéré ist die Geschichte zweier
Leben, von denen eines nur weitergeht, weil das andere endet. Von Simon
geht es in der zweiten Hälfte des Films zur herzkranken Claire (Anne
Dorval) und ihren Söhnen: Der Film ist nicht zuletzt ein Film über zwei
Mütter und ihre Liebe zum Sohn. So schematisch das klingt, so subtil faltet
die Regisseurin es aus, zur herzzerreißend sanften Musik von Alexandre
Desplat, und manchmal bleibt dann nur noch das Schwarzbild.
Quillévéré folgt dem zugrunde liegenden Roman von Maylis de Kerangal ins
Detail. Und das Detail ist sehr wichtig, mit großer Aufmerksamkeit setzt
der Film noch die kleinste seiner Nebenfiguren ins Bild; aber auch die
medizinischen Dinge, das Timing für die Transplantation, Skalpell, Säge,
Nadel, Faden, schlagendes und nicht mehr schlagendes Herz: All das ist von
großem Gewicht. Weil er an die Grenze zum Tod führt, liebt dieser Film
alles, was lebt.
So folgt er, ein paar Erzählschritte lang, einer weiteren Ärztin, die sich
für einen Mann entscheidet, den wir nur in ihrer Einbildung sehen. Oder
später einer anderen Ärztin, die von Paris nach Le Havre fliegt, ohne Herz
hin, mit dem Herzen zurück. Kurz macht man Bekanntschaft mit dem Leiter der
Organvermittlungsagentur; das ist keine tragende Rolle, aber inszeniert ist
auch, was reines Erzählscharnier sein könnte, mit der Genauigkeit, die der
Film allen und allem zukommen lässt, das in ihm auftritt. Und auch für
Thomas, den jungen Arzt, ist über die reine Funktion hinaus Muße und Zeit.
So erfahren wir wie nebenbei von seiner Goldfinken-Obsession. Er liebt das
Singen der Vögel und lauscht ihm auch zur Entspannung.
„Die Lebenden reparieren“ ist ein berückender Film. Quillévéré erzählt…
sicherer Hand und am offenen Herzen, bewegt und bewegend. Die Kamera
gleitet elegant mit den Figuren, ein Stück nur, dann geht sie zur nächsten,
das sind aber Schnitte, die nicht trennen, sondern verbinden.
Die Erzählung hat ihre eigene, kunstvoll tarierte Ökonomie der Gefühle und
der Informationen, sie ist mal knallhart sachlich, mal ein wenig
sentimental, sie deutet hier an, nimmt dort einen Faden auf und führt einen
anderen weiter, abreißen lässt sie keinen, sie führt ein Motiv ein und
wiederholt es, aber immer so, dass ein anderes Licht auf Figur und
Zusammenhang fällt.
Dass das alles zusammenhält und mehr als das, dass es Facette um Facette
gewinnt, ist ein ziemliches Wunder. Fast am Ende nimmt die Kamera die
Bewegung durch die Straßen, mit der alles begann, noch einmal auf. „Die
Lebenden reparieren“ ist, als Kunst, das Leben selbst.
7 Dec 2017
## AUTOREN
Ekkehard Knörer
## TAGS
Organspende
Leben
Tod
Drama
Organspende
Film
Organtransplantation
Klaas Heufer-Umlauf
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