| # taz.de -- Graphic Novel „Der Sommer ihres Lebens“: „Kwi!“ macht ihr R… | |
| > Die Vergangenheit einer Altersheimbewohnerin: In „Der Sommer ihres | |
| > Lebens“ erzählen Thomas von Steinaecker und Barbara Yelin ein | |
| > Frauenschicksal. | |
| Bild: Fließende Übergänge zwischen Gegenwart und Vergangenheit | |
| Als Comic-Zeichner oder -Zeichnerin berühmt zu werden ist schwer genug. Wer | |
| Szenarios schreibt, hat es noch um einiges schwerer. Die Evidenz von | |
| Bildern ist so stark, dass man sich beim Lesen eines Comics – ähnlich wie | |
| beim Anschauen eines Films – selten bewusst macht, wie wichtig die Person | |
| ist, die den Plot, der einen gerade fesselt, ersonnen hat. Kein Wunder | |
| also, dass es nur eine Handvoll Szenaristen schaffte, sich einem größeren | |
| Publikum einzuprägen; Alan Moore („Watchmen“) etwa oder René Goscinny | |
| („Asterix“). | |
| Im deutschsprachigen Raum gibt es keine hauptberuflichen Comic-Szenaristen. | |
| Der Markt ist nicht groß genug; dazu kommt, dass im Graphic-Novel-Bereich | |
| viele der Künstlerinnen und Künstler gerne ihre eigenen Autoren sind. Umso | |
| bemerkenswerter ist es, dass mit dem 1977 geborenen Thomas von Steinaecker | |
| nun einer der wichtigsten jüngeren deutschen Schriftsteller ein Szenario | |
| für Barbara Yelin („Irmina“) verfasst hat. Ganz überraschend ist das nich… | |
| Steinaecker ist seit Jahren als Comic-Kritiker tätig; außerdem hat er | |
| bereits in seinen 2008 erschienenen Roman „Geister“ Comic-Elemente | |
| integriert. | |
| Die Hauptfigur in „Der Sommer ihres Lebens“ heißt Gerda Wendt. Sie ist | |
| Bewohnerin eines Altenheims. Früher hat sie nicht gerne auf das, was war, | |
| zurückgeblickt. Aber jetzt tut sie es. Sie spürt dann, dass sie noch nicht | |
| gestorben ist, obwohl ihr dies manchmal so vorkommt. Also erinnert Gerda | |
| sich: Wie sie in ihrer Kindheit und Jugend eine Außenseiterin war, weil sie | |
| sich stets nur für Zahlen und Sterne interessierte. Wie sie studierte und | |
| eine Universitätskarriere als Astrophysikerin abbrach, um dem etwas | |
| verbummelten Gitarristen und Musiklehrer Peter eine gute Ehefrau sein zu | |
| können. Wie Peter sie betrog und sie wieder allein auf sich gestellt war. | |
| Das Leben Gerdas hat Momente, die für Biografien begabter Frauen in der | |
| zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts – und auch heute noch – typisch | |
| sind. Ein außergewöhnliches Leben ist es nicht – und dennoch stellt dieser | |
| Comic die ebenso schlichte wie erschütternde Wahrheit, dass jeder Mensch | |
| eine Welt und jeder Tod ein Weltuntergang ist, in einer Weise vor Augen, | |
| wie es, in gleich welchem Medium, nur selten so klug, so eindringlich | |
| geschieht. | |
| ## Der Sound verändert sich | |
| Das hat viel damit zu tun, wie Steinaecker zu erzählen versteht. So sind | |
| die fließenden Übergänge von der Gegenwart in die Vergangenheit und wieder | |
| zurück meisterhaft vermittelt. Wenn Gerda im ersten Stockwerk des Heims | |
| vergeblich ihr Zimmer sucht, löst dies die Erinnerung an ihre Schulzeit | |
| aus, wo sie in Mathematik stets die Note „Eins“ erhielt. Später verwandelt | |
| sich das Soundword „Tapp! Tapp! Tapp!“, das das schnelle Laufen der kleinen | |
| Gerda untermalt, in ein „Kwi! Kwi! Kwi“ – das Geräusch, das der Rollator | |
| hervorruft. | |
| Darüber hinaus ist „Der Sommer ihres Lebens“ von einem fein gesponnenen | |
| Netz der Leitmotive durchzogen. Peter spielt Gerda den „Beatles“-Song | |
| „Blackbird“ vor; Amseln flattern durch den Comic und werden zu | |
| Seelenvögeln; ist vom Fliegen die Rede, schwingen untergründige Bedeutungen | |
| mit. Mehrfach blickt Gerda auch in den Sternenhimmel. Als Kind kann sie den | |
| Großen Bären nicht erkennen. „Aber du musst doch nur die Punkte verbinden�… | |
| sagt ihr Vater, „die einzelnen Punkte ergeben ein Bild.“ Genau das ist die | |
| Aufgabe, die Steinaecker hier dem Leser, der Leserin stellt: einzelne, | |
| exemplarische Szenen zum Ganzen eines Lebens zusammenzufügen. | |
| Dass der Autor mit der gleichaltrigen Barbara Yelin eine Partnerin für | |
| dieses ambitionierte Projekt gefunden hat, ist ein großes Glück. Wenn | |
| Hergé, der Schöpfer von „Tim und Struppi“, der Meister der „Klaren Lini… | |
| der sauber gezogenen Konturen war, dann ist Yelin eine Meisterin des | |
| kunstvoll ungenauen Strichs. Sie löscht die Spuren des Arbeitsprozesses nie | |
| völlig, sodass ihre Zeichnungen wie kolorierte Scribbles wirken, zugleich | |
| detailliert und skizzenhaft. In „Der Sommer ihres Lebens“ wagt sie sich | |
| zudem an komplexe, aber nie überspannt-selbstverliebte Panelarchitekturen, | |
| die zum Teil über zwei oder drei Seiten reichen. | |
| Ursprünglich sollte „Der Sommer ihres Lebens“ in einer Tageszeitung | |
| erscheinen, bevor er zum Webcomic wurde, veröffentlicht auf | |
| einhundertvierzehn.de, einer Site des Fischer Verlags, wo er nach wie vor | |
| einzusehen ist. Fünfzehn Kapitel entsprechen dort jeweils nur einer Seite, | |
| die sich durch Scrollen von oben nach unten erschließt. Im Buch besteht | |
| jedes Kapitel aus drei bis fünf Seiten. Durch dieses energische Ummontieren | |
| verlieren manche der Seitenkompositionen an Kühnheit, andere dagegen sind | |
| sogar noch schlüssiger. In welcher Version auch immer: „Der Sommer ihres | |
| Lebens“ ist nicht nur ein berührendes Werk, sondern führt auch prägnant | |
| vor, wie fruchtbar Teamarbeit im Comic sein kann. | |
| 2 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Christoph Haas | |
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