# taz.de -- FDP-Generalsekretärin Nicola Beer: „Wir brauchen keine Quote“ | |
> Was nützt der FDP die Opposition? Generalsekretärin Nicola Beer über | |
> Extremisten im Parlament und die Frage, wie modern eine Partei mit 22 | |
> Prozent Frauen ist. | |
Bild: „Wir werden als putzmuntere Opposition zeigen, was eine bessere Politik… | |
taz: Frau Beer, Sie betonen gern, dass viele Bürger die FDP dafür loben, | |
dass sie konsequent geblieben ist, als sie die Sondierungen abbrach. Was | |
haben die Liberalen nun von ihrer Konsequenz? | |
Nicola Beer: Dass wir unsere Glaubwürdigkeit behalten. | |
Aber Glaubwürdigkeit gestaltet ja erst mal keine Politik. | |
Glaubwürdigkeit wird auf lange Sicht mehr Unterstützung und dann | |
hoffentlich auch entsprechend gestiegenen Einfluss in der Politik mit sich | |
bringen. | |
Die FDP ist zweitstärkste Oppositionspartei, wenn es zu einer Großen | |
Koalition kommt. Wie will sie in dieser Position ihr | |
Fortschrittsversprechen einlösen? | |
Wir werden als Kraft der Mitte, als Kraft der Vernunft unsere Konzepte in | |
ganz konkreten Anträgen, Gesetzentwürfen, Initiativen auf den Tisch legen. | |
Wir werden als putzmuntere Opposition zeigen, was eine bessere Politik für | |
Deutschland wäre, um beim nächsten Anlauf noch stärkeren politischen und | |
gestalterischen Einfluss nehmen zu können. | |
Nächster Anlauf? Glauben Sie, die FDP könnte bei Neuwahlen Stimmen | |
gewinnen? | |
Ja, das ist durchaus möglich. | |
Derzeit kann die FDP, befreit vom Koalitionszwang, als putzmuntere | |
Opposition Mehrheiten einsammeln. Nennen Sie doch mal drei Projekte, die | |
Sie jetzt umsetzen wollen. | |
Mehr Investitionen in Bildung und dafür auch eine Veränderung des | |
Bildungsföderalismus, damit wir direkt vor Ort in Personal, in Qualität, in | |
bundesweite Standards investieren können. Ein Einwanderungsgesetzbuch. Und | |
einen Rechtsstaat, der wieder eine ordentliche Balance zwischen | |
Bürgerrechten und Sicherheit schafft. | |
Um das umzusetzen, wären Sie auf die Zusammenarbeit mit anderen Fraktionen | |
angewiesen. Auch mit der AfD und der Linkspartei. Ist die FDP dazu bereit? | |
Wir werben um Mehrheiten aus der demokratischen Mitte heraus. Die FDP wird | |
nicht mit extremen Parteien zusammenarbeiten. Das widerspricht unserem | |
Denken, unserer Haltung komplett. | |
Die Linkspartei, die seit 27 Jahren im Parlament sitzt, ist für Sie nach | |
wie vor eine extreme Partei? | |
Ja sicher. | |
Woran machen Sie das fest? | |
Wenn Sie sich manche Äußerungen aus der Partei anhören, dann merken Sie, | |
dass zwischen Linksextremismus und Rechtsextremismus keine großen | |
Unterschiede bestehen. Schauen Sie sich den Wähleraustausch zwischen den | |
beiden Parteien bei den letzten Wahlen an. Beide betreiben Politik, indem | |
sie Ängste schüren. Wir stehen für Mutpolitik. | |
Während der Sondierungen konnte man den Eindruck gewinnen, die FDP würde | |
die CSU rechts überholen, etwa beim Familiennachzug oder beim Thema EU. | |
Wohin steuert die FDP, wird sie eine Art AfD für Hipster? | |
Das ist völliger Blödsinn, wir sind das glatte Gegenteil der AfD. Und auch | |
keine Szenebewegung für Hipster. Sie wären überrascht, wenn Sie sehen | |
würden, wie viel Unterstützung wir gerade auch von Menschen mit kleinen, | |
mittleren Einkommen erfahren. Wir vertreten Menschen aus der Mitte der | |
Bevölkerung. Letztens sagte mir beim Schuhekaufen eine Verkäuferin: Toll, | |
dass Sie Haltung bewahrt haben, machen Sie weiter so! Das war jemand, der | |
ein Gefühl hat, dass wir dafür sorgen wollen, dass über die Prinzipien der | |
sozialen Marktwirtschaft jeder seine faire Chance bekommt, teilzuhaben und | |
mitzugestalten, und zwar nach seinen Vorstellungen. | |
Und wie ist das beim Familiennachzug, dessen Aussetzung die FDP weiter | |
vorantreiben möchte? Wie passt das zu dem Credo „Jeder hat eine Chance in | |
diesem Land“? | |
Da ist das Modell der FDP völlig falsch verstanden worden. Uns geht es um | |
ein modernes Einwanderungsrecht. Wir wollen Regeln, wie wir Migration nach | |
Deutschland steuern und ordnen. Wenn die greifen, kann man auch den | |
Familiennachzug anders organisieren. | |
Aber uns ist völlig bewusst, dass es eine Integrationsgrenze, eine | |
Belastungsgrenze in der Bevölkerung gibt, was Wohnraum, was Lehrkräfte, was | |
Klassenräume betrifft. Und entsprechend braucht es konsequente Regelungen, | |
zum Beispiel zur Rückführung derjenigen, die hier kein Aufenthaltsrecht | |
haben. Zudem die Verkürzung der Antragsverfahren, damit man die Möglichkeit | |
hat, denen im Rahmen des Familiennachzugs zu helfen, die unserer Hilfe | |
wirklich bedürfen, damit nicht die Falschen finanziert werden. | |
Wer sind denn die Falschen? | |
Wir fördern jetzt auch jene, die unser System ausnutzen, indem sie zum | |
Beispiel ihre Papiere vernichten, indem sie versuchen, Verfahren in die | |
Länge zu ziehen und so ihre Rückführung zu verhindern. Und das sind für | |
mich die Falschen. Sie werden nach unseren rechtsstaatlichen Grundsätzen | |
nicht verfolgt, sie bedürfen unseres Schutzes weder nach unserem Asylrecht | |
noch nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Ich möchte denen helfen, die | |
aus einem Krisengebiet kommen und die diesen Schutz tatsächlich brauchen, | |
ob nun befristet über den subsidiären Schutzstatus oder eben auf Dauer. | |
Wo liegt denn für Sie die Integrationsgrenze, von der Sie gerade sprachen? | |
Sind das die 200.000 Menschen pro Jahr, die die CSU genannt hat? | |
Das kann man nicht an einer Zahl festmachen. Deswegen reden wir ja auch von | |
Kriterien, an denen wir den Familiennachzug festmachen wollen. Es ist ein | |
Unterschied, ob wir die Angehörigen von jemandem nachziehen lassen, der | |
noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung lebt, oder ob jemand bereits eine | |
Wohnung hat, einen Arbeitsplatz gefunden hat und seine Familie unterhalten | |
kann. | |
Kann man von Menschen verlangen, deren Familien in einem Kriegsgebiet | |
leben, dass sie sich hier eifrig auf Jobsuche machen, Volkshochschulkurse | |
besuchen und sich im Sportverein engagieren? | |
Diese Kriterien haben Sie jetzt genannt. Und wenn Menschen in | |
Krisengebieten leben, kann das ein Härtefallkriterium sein. Aber nicht alle | |
diese Menschen haben ihre Familien noch im Krisengebiet. Häufig sind sie in | |
Transitländern und dort in Zentren untergebracht. | |
Eine Frage an Sie als Generalsekretärin. Der Frauenanteil in Ihrer Partei | |
liegt bei gerade mal 22 Prozent. Wie kann eine Partei gesellschaftliche | |
Modernität transportieren, wenn die FDP sie in diesem Bereich nicht | |
repräsentiert? | |
Ich fühle mich von dem Gedankengut der Freien Demokraten repräsentiert. | |
Davon noch mehr Frauen zu überzeugen ist aber ein Prozess, der noch etwas | |
Zeit in Anspruch nehmen wird. Ich bin übrigens als Generalsekretärin die | |
einzige Frau unter allen Parteien, die im Deutschen Bundestag vertreten | |
sind. | |
Trotzdem haben Sie nur 22 Prozent Frauenanteil. Sie sind die | |
Generalsekretärin. Was haben Sie vor? | |
Schon gemacht: neue Diskussions- und Arbeitsstrukturen, viele | |
Möglichkeiten, sich zeit- und ortsunabhängig einzubringen, mehr in | |
Projekten … | |
Wie wäre es mit einer Quote? | |
Nein. Wir brauchen definitiv keine Quote. Da sind wir das Kontrastmodell zu | |
den anderen Parteien. | |
Warum nicht? | |
Weil wir die Frauen so nehmen, wie sie sind, mit dem Zeitmanagement und den | |
Interessen, die sie haben. | |
Ach so, und deshalb ist die FDP so attraktiv für weibliche Mitglieder? | |
Schauen Sie, vielleicht muss man einfach akzeptieren, dass in bestimmten | |
Lebensphasen Frauen auch andere Interessen haben als Politik. | |
Bei Männern ist das in bestimmten Lebensphasen anders? | |
Die haben es nach wie vor leichter, politisches Engagement und Beruf | |
miteinander zu verbinden, weil wir noch nicht die Strukturen in unserer | |
Gesellschaft haben, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, von Pflege | |
und Beruf ermöglichen. | |
Was schlägt die FDP vor, um diese gesellschaftlichen Strukturen zu ändern? | |
Wir arbeiten daran, den Rahmen besser zu stecken, was Arbeitszeiten | |
betrifft, was Betreuungsangebote betrifft und auch ein Familienbild, wo | |
sich beide Partner gleichberechtigt einbringen. In diesem Zusammenhang | |
unterstützen wir die Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Ich glaube, dass | |
wesentlich mehr erreicht werden kann über eine andere Wochenarbeitszeit, | |
über eine Selbstbestimmungsmöglichkeit zwischen Homeoffice und | |
betrieblichen Anwesenheitszeiten. Sodass ich – und das habe ich ja nun auch | |
als alleinerziehende Mutter live erlebt – lieber mir meine Zeiten einteile | |
und ein Projekt zu dem Zeitpunkt abliefere, wo es gebraucht wird im | |
Unternehmen, als dass ich starre Anwesenheitszeiten im Betrieb habe. | |
Flexibilisierung klingt gut. Aber das hat wahrscheinlich bedeutet, dass Sie | |
nach 20 Uhr, wenn die Kinder im Bett waren, an den Schreibtisch | |
zurückgekehrt sind und bis Mitternacht gearbeitet haben. | |
Ja, aber dafür habe ich tagsüber die Zeit mit meinen Kindern genießen | |
können. Und heute steht jemand, der so was macht sowohl als Arbeitnehmer | |
als auch als Arbeitgeber, mit einem Bein schon in der Illegalität, weil da | |
nämlich die elf Stunden Ruhepause nicht eingehalten werden. | |
Heißt flexibel arbeiten nicht auch, dass die Menschen schlicht mehr | |
arbeiten und die Arbeitgeber Überstunden weder dokumentieren und zahlen | |
müssen? | |
Sie arbeiten nicht mehr, sondern Sie verteilen das anders auf die Woche. | |
Die Ausgangsfrage war ja, warum es für Frauen heute immer noch schwieriger | |
ist, Politik zu machen. Die Arbeit, die als Familie anfällt, die fällt ja | |
an. Und da sollte man den Partner auch stärker einbeziehen. | |
6 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Anja Maier | |
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