# taz.de -- Kampf gegen Rechtsextremismus: „Eine Drehung um 180 Grad“ | |
> Als die Netzwerkstelle Licht-Blicke gegründet wurde, fühlten sich | |
> Neonazis in Lichtenberg wohl. Ein Gespräch darüber, warum das heute nicht | |
> mehr so ist. | |
Bild: Auch dieses 2010 eingeweihte Graffiti sollte zum Imagewandel des Bezirks … | |
taz: Frau Eckel, vor 15 Jahren nahm die Netzwerkstelle Licht-Blicke den | |
Kampf gegen rechts in Lichtenberg auf. Was war damals der Anlass? | |
Annika Eckel: Die Gründung der Netzwerkstelle stand im Kontext der | |
Diskussionen über den Umgang mit Rechtsextremismus, die Anfang der 2000er | |
bundesweit unter dem Stichwort „Aufstand der Anständigen“ geführt wurden. | |
Eine wichtige Idee war dabei, dass es in den ostdeutschen Gemeinden wichtig | |
ist, Koordinierungsstellen einzurichten, die zivilgesellschaftliche | |
Initiativen aufbauen und unterstützen, die Weiterbildungen organisieren und | |
Leute zusammenbringen. | |
Wie war die Situation in Lichtenberg? | |
Der Lichtenberger Weitlingkiez war zu diesem Zeitpunkt in aller Munde: als | |
ein Ort, an dem Rechtsextreme ihre Treffpunkte hatten. Sie haben diesen | |
Kiez als ihre Homezone bezeichnet, in der sie machen konnten, was sie | |
wollten. Es gab reihenweise Angriffe auf Migrantinnen und Migranten, auf | |
antifaschistische Jugendliche, auf Menschen, die sich engagiert haben; der | |
Kiez war von rechten Schmierereien übersät. | |
Gab es damals schon Gegenwehr aus der Zivilgesellschaft vor Ort? | |
Es gab immer einzelne Leute, die sich engagiert haben, vor allem aus dem | |
Schul– und Jugendbereich. Aber das zivilgesellschaftliche Bündnis für | |
Demokratie und Toleranz hat sich erst 2008 gegründet, das war der erste | |
Zusammenschluss dieser Größenordnung im Bezirk. | |
Heute sieht die Situation anders aus – der Weitlingkiez ist kein | |
Neonazi-Ort mehr. Wie konnte dieses Problem bekämpft werden? | |
Dafür sind in den letzten 15 Jahren mehrere Sachen zusammengekommen. Zum | |
einen hat die Bezirkspolitik immer deutlich gesagt: Wir haben hier ein | |
Problem mit Rechtsextremismus, aber wir wollen auch was dagegen tun. Dann | |
kam 2007 die Unterstützung durch das Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus | |
hinzu und schließlich 2008 die Gründung des Bündnisses. Diese drei Faktoren | |
haben entscheidend dazu beigetragen, dass sich die Situation wirklich um | |
180 Grad gedreht hat. | |
Wie lief das ganz konkret, die Nazis aus dem Kiez zu verdrängen? | |
Am Beispiel der Lückstraße, wo wir das Problem noch bis 2014 hatten, kann | |
man das gut sehen: Da hatten sich extrem Rechte über einen Verein Räume | |
gemietet, die sie als Treffpunkt genutzt haben. Dann hat das Bündnis viel | |
Öffentlichkeit hergestellt, hat die Kampagne „Bunter Wind“ ins Leben | |
gerufen, um zu zeigen, dass Lichtenberg für etwas anderes steht, für eine | |
offene Gesellschaft. Die Politik und auch die Verwaltung haben die | |
Bemühungen des Vermieters unterstützt, den extrem Rechten zu kündigen und | |
auch den juristischen Weg zu gehen. Der Vermieter wusste dann, er steht | |
nicht allein da, es gibt Bürgerinnen und Bürger, die hinter ihm stehen, | |
genauso wie die Politik. | |
Die konkreten Räume sind das eine, das andere ist die Stimmung im Kiez. | |
Ja, auch die hat sich sehr verändert. Es gab auch hier sehr viele | |
Diskussionen: Verschafft man den Nazis nicht noch mehr Aufmerksamkeit, wenn | |
man sich mit ihnen auseinandersetzt? Da hat sich aber über die Jahre der | |
Konsens hergestellt, dass man Neonazis nicht unwidersprochen Raum überlässt | |
– egal ob das die Straße ist, die Bezirksverordnetenversammlung oder ein | |
Jugendclub. Diesen Konsens tragen Gewerbetreibende, Vereine und Projekte | |
aus dem Weitlingkiez mit. | |
Oftmals führt die Angst vor der Stigmatisierung eines Ortes als | |
Nazihochburg dazu, dass lokaler Rechtsextremismus heruntergespielt wird. | |
Gab es dieses Problem in Lichtenberg nie? | |
Das war hier immer eine sehr große Stärke, dass die Politik gesagt hat: Wir | |
wissen, dass es hier ein Problem gibt, und wir gehen damit um. Es gab nie | |
Probleme, das klar zu benennen. Das hat dazu geführt, dass | |
zivilgesellschaftliches Engagement gegen rechts wirklich wertgeschätzt | |
wurde, dass zum Beispiel auch das Bezirksamt zu Protesten aufruft, die das | |
Bündnis organisiert – das ist natürlich fantastisch. Dazu kommt, dass in | |
dem Bündnis von Anfang an eine sehr breite Palette an Akteuren vertreten | |
war, antifaschistische Gruppen, Parteien, Jugendclubs, Gewerbetreibende und | |
Organisationen aus dem Kiez. Und es gab hier in Lichtenberg immer eine | |
Offenheit dafür, sich auch Beratung zu holen und sich mit anderen Bezirken | |
auszutauschen. | |
Eine Neonazi-Homezone ist Lichtenberg heute nicht mehr. Aber die AfD ist | |
hier stark, und der Kreisverband steht besonders weit rechts. Ist das auch | |
Gegenstand Ihrer Arbeit? | |
Ja, vor allem auch im Hinblick auf die Themen, die damit zusammenhängen: | |
die Auseinandersetzung darüber, wie wir hier zusammen wohnen wollen, wie | |
die Integration von Geflüchteten aussehen soll, wie wir mit Rassismus | |
umgehen können. Das war schon immer ein Thema, denn man kann | |
Rechtsextremismus nicht bekämpfen, ohne sich mit Rassismus | |
auseinanderzusetzen, aber das ist noch stärker geworden. Und natürlich die | |
Frage, wie wir umgehen mit rechtspopulistischer Stimmungsmache, auf der | |
Straße, aber auch im Bezirksparlament. | |
14 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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