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# taz.de -- Kolumne Geht’s noch?: Ein krankes Regime
> Während Präsident Erdoğan die starke Türkei preist, sagen die Fakten
> etwas anderes: Die Bevölkerung schluckt mehr Pillen und nimmt mehr
> Drogen.
Bild: Stabilität – dieses Versprechen kann die AKP nicht halten
Es ist verdächtig, wenn ein Staatschef bei jeder sich bietenden Gelegenheit
gebetsmühlenartig betont, wie gut es seinem Land geht. „Unsere Börse bricht
einen Rekord nach dem anderen. Wir sind stark, wir steigen auf, es geht uns
gut“, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor wenigen Tagen
in der westtürkischen Stadt Manisa wieder einmal. Derweil kollabiert im
Ausnahmezustand die türkische Gesellschaft.
Denn die Türkei bricht seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016
vor allem traurige Rekorde: Hier werden die weltweit meisten
Journalist*innen inhaftiert, die Entlassungswellen per Notstandsdekret
sprengen alle Maßstäbe. Ein Sozialreport, den die Oppositionspartei CHP
diese Woche veröffentlicht hat, enthält alarmierende Zahlen: Mehr als 33
MillionenPackungen Antidepressiva wurden dem türkischen
Gesundheitsministerium zufolge in den ersten neun Monaten des Jahres 2016
verkauft.
2003, also im ersten Regierungsjahr der AKP, waren es noch 14 Millionen
Packungen pro Jahr. Von 2011 bis 2016 ist der Gebrauch von Antidepressiva
laut Gesundheitsministerium um 25 Prozent gestiegen. Die Abhängigkeit von
Drogen hat in den vergangenen sechs Jahren auf das 17-fache zugenommen.
Bei diesen Angaben ist zwar Vorsicht geboten: Antidepressiva und andere
Arzneimittel werden in der Türkei wie auch in anderen Ländern leichtfertig
verschrieben. Dennoch lassen diese Zahlen erahnen, wie tiefgreifend sich
die Repressionen der Regierung auf die türkische Gesellschaft auswirken.
Der Ausnahmezustand frisst sich ins Innerste der Zivilgesellschaft.
Tausende wurden per Notstandsdekret ihrer Existenz beraubt, die Wirtschaft
strauchelt, die Handlungsspielräume der Opposition werden immer enger.
Die große Unsicherheit darüber, für welche Äußerung man mit Repressionen zu
rechnen hat, erzeugt Angst und Hoffnungslosigkeit. Das Gefühl, der
eklatanten Ungerechtigkeit und der Absurdität des politischen Geschehens in
der Türkei machtlos ausgeliefert zu sein, führt zu Resignation.
Stabilität, das ewige Heilsversprechen Erdoğans, hat der AKP mehr als
einmal den Wahlsieg beschert. Dieses Versprechen konnte die Partei nicht
halten, im Gegenteil: Die Gesellschaft ist polarisiert und von tiefer
Hoffnungslosigkeit ergriffen; die Geschwindigkeit, mit der das Land in
politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht den Bach runtergeht,
bricht – um es mit Erdoğans Worten auszudrücken – Rekorde.
11 Nov 2017
## AUTOREN
Elisabeth Kimmerle
## TAGS
Geht's noch?
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt AKP
Depression
Drogen
CHP
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
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