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# taz.de -- Kommentar FDP und Jamaika-Koalition: Die Angst vorm Regieren
> Das forsche Auftreten von Parteichef Lindner täuscht: Tatsächlich
> fürchten die Liberalen, der CDU und den Grünen unterlegen zu sein.
Bild: Zuversicht sieht anders aus: Wolfgang Kubicki (l.) und Christian Lindner
Die Jamaika-Verhandlungen geben ein erstaunliches Bild ab. Eigentlich
müssten die Grünen öffentlich schmerzvoll Zerrissenheit bekunden, der linke
Flügel müsste querschießen und Ökos mit krachenden Auftritten rote Linien
bei Klimaschutz und Agrarpolitik ziehen. Auch wenn Teile der Ökopartei sich
politisch und lebensweltlich der Merkel-CDU angenähert haben – mit der
schwer berechenbaren CSU und der neoliberalen FDP zu regieren ist für die
Grünen ein Risiko. Auch wenn darüber niemand redet.
Doch die Rolle als skeptische Zauderer, die überzeugt werden wollen, dass
regieren nicht wehtut, spielt die FDP. Deren forscher Chef [1][Christian
Lindner] vermittelt einigermaßen glaubhaft, dass Regieren ein Opfergang
ist, zu dem man durch die Verhältnisse genötigt wird. Und Wolfgang Kubicki,
der mal als Clown, mal als Bad Cop auftritt, klingt wie jemand, der jetzt
schon Opposition gegen die eigene Regierung probt. Warum eigentlich?
Ein Blick zurück: Die altbundesrepublikanische FDP neigte als
Funktionspartei zum Umfallen. Egal wer regierte, die FDP war dabei. Das
schien in den Genen der Liberalen zu stecken. Aber das ist vorbei. Die FDP
will seit rund 15 Jahren nicht mehr als die etwas langweilige, stets
machtorientierte Staatspartei gelten. Sie kokettiert schon seit Westerwelle
und Möllemann damit, Container des Wutbürgertums zu sein.
Die Liberalen von 2017 haben nichts mehr von dem Bedächtigen,
Bürgerlich-Bräsigen früherer Zeiten. Sie pflegen einen auftrumpfenden Ton
und bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen bürgerlichem
Seriositätsversprechen und rechtspopulistischem Krach. Dazu passt, dass
Lindner mit dröhnendem Selbstbewusstsein erklärt, dass er Neuwahlen nicht
fürchtet.
## Scheitern wie Westerwelle
Das ist nicht nur Pose oder Taktik – die FDP hat Angst vor dem Regieren.
Denn wer mit Merkel und den Grünen koaliert, kann nicht gleichzeitig mit
markigen Sprüchen die Affekte des Wutbürgertums bedienen.
An einer ähnlichen Rollenkonfusion ist vor sieben Jahren schon Guido
Westerwelle gescheitert. Damals zog er über den Sozialstaat her, als wäre
er noch immer der scharf attackierende neoliberale Oppositionsführer –
allerdings war er Außenminister, mithin Repräsentant des Staates, den er
rhetorisch in die Tonne trat.
In den Jamaika-Verhandlungen hat die FDP noch einen Nachteil – wenig
Ahnung. Lindner, eine Art politisches Einmannunternehmen, hat überstrahlt,
was nun in den Sondierungen auffällt. Die Liberalen haben wenige kundige
Fachpolitiker und gewiefte Taktiker. Auch das verstärkt die Furcht, Merkel
und dem effektiven Apparat der Grünen hoffnungslos unterlegen zu sein.
Das liegt nicht nur an vier Jahren APO-Existenz, sondern hat tiefere
Gründe. Die jungen, ehrgeizigen Erfolgsorientierten, die Kernklientel der
Lindner-FDP, haben ein eher konsumistisches Verhältnis zur Politik und
wenig Bock auf die Strapazen der Gremienarbeit und Landespolitik.
Deshalb haben es die Grünen, scheinbar paradox, einfacher mit Jamaika. Sie
wissen, was sie wollen und wie sie es bekommen. Sie werden eine Reihe
dreckiger Kohlekraftwerke stilllegen und ein paar Ökofortschritte erreichen
– und damit weitgehend eins mit sich selbst sein.
Die FDP wird indes nicht bekommen, was sie als fordert. Die sofortige
Abschaffung des Soli hält sogar der Wirtschaftsflügel der Union für ein
No-Go. In der Europapolitik kann Merkel keinesfalls das Ende des ESM oder
einen etwaigen Euroausstieg Griechenlands durchwinken – die Schäden wären
unkalkulierbar. Daneben aber hat die FDP kaum identitätsstiftende Themen.
Wie schon 2009 ist die Fallhöhe zwischen Schein und Sein bei den Liberalen
groß.
Also? Wahrscheinlich wird die FDP am Ende doch irgendwie Ja sagen. Die
Angst, allein für Neuwahlen oder Unregierbarkeit verantwortlich gemacht zu
werden, dürfte größer sein als die Angst vor dem Regieren. Wer der
wackelnde Stein in der Merkel-Özdemir-Lindner Koalition wird, ist auch
klar.
11 Nov 2017
## LINKS
[1] /Verhandlungen-zur-Jamaika-Koalition/!5457921
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Jamaika-Koalition
FDP
Christian Lindner
Grüne
CDU/CSU
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Kolumne Die eine Frage
Jamaika-Koalition
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