# taz.de -- Sozialträger kritisieren fehlende Notunterkünfte für Frauen: Mor… | |
> Der gewaltsame Tod einer obdachlosen 51-jährigen Polin in Delmenhorst | |
> wirft Fragen auf. Sie war Bewohnerin der mittlerweile geschlossenen | |
> Wolleparksiedlung. | |
Bild: Vorbei: Nach einer Anordnung der Stadt Delmenhorst ist die Wollepark-Sied… | |
HAMBURG taz | Ihr Tod löst viele Fragen aus. Am Sonnabend war der leblose | |
Körper einer 51-jährigen Obdachlosen in der Garage auf dem Gelände eines | |
früheren Rangierbahnhofs in Delmenhorst entdeckt worden. Die aus Polen | |
stammende Frau war ermordet und zuvor schwer misshandelt worden. Hinweise | |
auf ein Sexualverbrechen gibt es nicht. | |
Brisant daran: Die getötete Frau lebte erst seit Anfang November schutzlos | |
in der Garage, in der sie zu Tode kam. Das behauptet jedenfalls ihr | |
29-jähriger Lebensgefährte, der die Tote auch fand. Zuvor habe sie in der | |
Großwohnsiedlung Wollepark im Nordosten Delmenhorsts gewohnt, in einem der | |
beiden Häuser, die die Stadt am 1. November geräumt und verriegelt hatte. | |
Die Gebäude waren zuvor wegen schwerer baulicher Mängel für unbewohnbar | |
erklärt worden. Stadtsprecher Timo Frers hingegen teilte am Mittwoch mit, | |
dass die Frau zumindest seit Mai 2016 nicht mehr im Wollepark gewohnt und | |
die Stadt sie deshalb von Amts wegen dort abgemeldet habe. | |
Die Eigentümer hatten die Häuser systematisch verkommen lassen, wegen | |
schwerer baulicher und sicherheitstechnischer Mängel hatte die Stadt die | |
Häuser im Herbst für unbewohnbar erklärt. Strom und Wasser waren längst | |
abgestellt. Nach der Räumung hatte die Stadt Notunterkünfte für die | |
ehemaligen BewohnerInnen bereitgestellt. Rund 30 ehemalige BewohnerInnen | |
nutzten laut Stadtverwaltung das Angebot. | |
Warum die Getötete davon keinen Gebrauch machte, sondern es vorzog auf der | |
Straße zu leben, ist unklar. „Frauen haben in Notunterkünften, die | |
mehrheitlich von Männern belegt sind, einen schweren Stand“, liefert Werena | |
Rosenke, Vize-Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft | |
Wohnungslosenhilfe eine mögliche Erklärung. Im Gegensatz zu Männern würden | |
sie oft Opfer von versteckter Gewalt in solchen Einrichtungen. Deshalb | |
würden wohnungslose Frauen männerlastige Unterkünfte meiden. | |
Frerk Hinrichs, Sprecher des Diakonischen Werks in Oldenburg, ergänzt: | |
„Jede vierte Wohnungslose ist eine Frau, doch es gibt nicht die | |
entsprechenden Möglichkeiten einer Unterbringung.“ Die Notunterkünfte böten | |
fast nur „größere Schlafsäle für Männer“, seien damit für Frauen „k… | |
zumutbar“. Die Stadt Delmenhorst habe sich zwar auch mit der Möglichkeit | |
beschäftigt, separate Wohncontainer für obdachlose Frauen aufzustellen, wie | |
es in Hamburg etwa die Caritas mache, geschehen sei dies aber nicht. | |
„Frauen brauchen einen abgeschlossenen, männerfreien Raum“, fordert auch | |
Katrin Kriesche-Radtke vom Tagesaufenthalt der Diakonie für Wohnungslose in | |
Delmenhorst. Doch in der 80.000-Einwohner-Stadt gibt es nur | |
Unterkunfts-Angebote, die sich schwerpunktmäßig an wohnungslose Männer | |
richten. | |
Immer wieder werden Obdachlose in Deutschland Opfer von Gewaltverbrechen. | |
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe dokumentiert seit den | |
90er-Jahren die Zahl der Gewalttaten gegen Obdachlose. Nach der Statistik | |
des Vereins wurden im vergangenen Jahr 18 Obdachlose in Deutschland | |
umgebracht, in elf Fällen kamen die Täter aus demselben Milieu. 2013 wurden | |
sogar 29 Obdachlose getötet. In diesem Jahr wurden bisher 14 Opfer gezählt. | |
Man müsse unterscheiden zwischen der Gewalt Obdachloser untereinander und | |
Überfällen auf Menschen, die auf der Straße leben. „Es gibt da sehr | |
unterschiedliche Motivlagen“, sagt Werena Rosenke. So beobachtet der Verein | |
seit vielen Jahren, dass es sich bei nicht wohnungslosen Tätern um kleine | |
Gruppen jüngerer Männer handele, die sich schwächere, wehrlose Opfer | |
suchten. „Da steht im Hintergrund oft ein menschenverachtendes Bild“, sagt | |
Rosenke. Den Gewalttaten unter Obdachlosen gehe dagegen in der Regel ein | |
Streit um Schlafplätze oder Habseligkeiten voraus, der oft eskaliere, weil | |
die Beteiligten betrunken seien. | |
Bei der Frage welchen Hintergrund das Delmenhorster Tötungsdelikt hat, | |
tappt die eingerichtete Mordkommission noch im Dunkeln. Ein Mann der als | |
Tatverdächtiger festgenommen worden war, wurde schon nach wenigen Stunden | |
wieder auf freien Fuß gesetzt und hat offenbar mit dem Gewaltverbrechen | |
nichts zu tun. Der Tatverlauf ist noch unklar, klar ist hingegen: Mit einem | |
vernünftigen Angebot für wohnungslose Frauen und Paare könnte die getötete | |
Polin womöglich noch am Leben sein. | |
8 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Marco Carini | |
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