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# taz.de -- Silvia Bovenschen ist tot: Die heimliche Heldin
> Silvia Bovenschen war Schriftstellerin, Essayistin,
> Literaturwissenschaftlerin – und für manche auch ein Vorbild.
Bild: Silvia Bovenschen im Jahr 2011
Es ist merkwürdig, wenn jemand stirbt, der selbst so viel geschrieben hat
über das Verschwinden. „Diese Ungeheuerlichkeit, ein wunderbarer Mensch, so
einzigartig in seinem Witz, wie er erzählt, wie er lacht, was er sagt, wie
er's sagt. Diese Einzigartigkeit, das die von einer Sekunde auf die andere
verschwunden ist, das hat mich immer sehr umgetrieben, nein wütend
gemacht“. Das hat Silvia Bovenschen vor Jahren [1][in einem Interview]
gesagt, damals schon von der Krankheit Multiple Sklerose gezeichnet.
Nun ist sie selbst verschwunden, die mutige, elegante, heitere, mitunter
auch schroffe Literatin, gestorben am 25. Oktober im Alter von 71 Jahren in
Berlin. Sie hinterlässt ihre langjährige Lebensgefährtin, die Malerin Sarah
Schumann. Bovenschen wollte nie eine Leitfigur sein, für viele aber bleibt
sie ein Vorbild, etwa zur Frage, wie man Schönheit, Freiheit und Liebe
vereinen kann mit Vergänglichkeit, Krankheit, Schmerz und Tod.
Bovenschens Karriere begann als Literaturwissenschaftlerin in Frankfurt am
Main. Mit ihrer 1979 veröffentlichten Dissertation unter dem Titel „Die
imaginierte Weiblichkeit“ schuf sie ein feministisches Standardwerk und
lehrte dann 20 Jahre lang in Frankfurt Literaturwissenschaft.
## Jenseits des Beschwerdesounds
Breiter bekannt wurde sie Jahrzehnte später durch ihren Bestseller „Älter
werden“ (2006). Das Bändchen ist eine Sammlung von Notizen, Szenen,
Reflektionen aus ihrem Leben, in denen sich viele LeserInnen wiederfanden.
Darin fand Bovenschen eine unpathetische und dennoch poetische Sprache, die
sich wohltuend abhebt einerseits vom Beschwerdesound und andererseits auch
vom aufgesetzten Optimismus vieler Frauenbücher über das Älterwerden.
Darauf folgten weitere belletristische Bücher, so 2008 das fiktive Werk
„Verschwunden“. Die Hauptfigur ist eine Frau, die krankheitsbedingt die
Wohnung nicht mehr verlassen kann und sich deswegen von ihren FreundInnen
Geschichten bringen lässt über das „Verschwinden“. Bovenschen hatte schon
in jungen Jahren die Diagnose „Multiple Sklerose“ erhalten, die Krankheit
schränkte ihre Mobilität ein und fesselte sie oft ans Haus. Dort arbeitete
sie oft auf einem Bett sitzend, das mit einem kunstvollen Überwurf
geschmückt war. Später folgte der Rollstuhl. Sie bekam zwei Krebsdiagnosen.
## Die Zeit ist kostbar
Bovenschen, eine elegante Erscheinung, verbat sich alles Selbstmitleid, wie
sie selbst einmal sagte, aber nicht aus Heldentum, sondern als
Selbstschutz, aus „krassem Egoismus. Ich brauche Leute, die mir helfen, ich
will auch, dass mich ein paar Leute mögen“. Sie attestierte sich eine
Haltung von „grimmiger Heiterkeit“ gegenüber dem Leben. Die Zeit war zu
kostbar, um sich an verbrauchten Feindbildern zu verkämpfen.
2013 schrieb sie eine Komödie, die in einer Wohngemeinschaft von vier alten
Frauen spielt („Nur Mut“). In demselben Jahr wurde sie in die Deutsche
Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen. Mit dem Buch „Sarahs Gesetz“
(2015) setzte sie schließlich ihrer Lebensgefährtin, der Malerin Sarah
Schumann, ein Denkmal.
Das Bewusstsein um die Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit des Lebens
durchdringt ihre Bücher. Vor allem Momente seien es, in denen sie Glück
empfinde, meinte sie und beschrieb diese Glücksmomente [2][auch in
Interviews]. „Einmal, es war in aller Frühe, die Sonne war gerade
aufgegangen und wärmte mich schon sanft, saß ich auf einer Klippe und
schaute auf das glitzernde Mittelmeer und den Ätna. Dabei aß ich ein
Mandelgebäck, das mit saftigen kandierten Früchten versetzt war – und ich
war vollkommen glücklich.“
Im nächsten Jahr soll Bovenschens letzter Roman posthum erscheinen: „Lug
und Trug und Rat und Streben“. Vielleicht sind die Toten gar nicht
verschwunden.
27 Oct 2017
## LINKS
[1] https://www.welt.de/wams_print/article2317246/Verfechterin-der-Heiterkeit.h…
[2] http://http://www.kulturwest.de/literatur/detailseite/artikel/das-erzaehlen…
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Literatur
Gegenwartsroman
deutsche Literatur
68er
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