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# taz.de -- Drohende Abschiebung nach Serbien: „Aus meinem Elternhaus gejagt�…
> Die 33-jährige Maja flüchtete vor häuslicher Gewalt nach Berlin. Heute
> berät der Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses über ihre Zukunft.
Bild: Elend, Armut und Rassismus: Roma-Siedlung bei Belgrad
Für sie geht es „um Leben und Tod“: Am heutigen Dienstag berät der
Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses über die Abschiebung von Maja*
und ihrer Tochter Lena*. Die 33-jährige Mutter aus Serbien ist sicher:
„Wenn wir zurückmüssen, kann ich mich gleich umbringen. In Serbien erwartet
uns nichts als Rassismus und Gewalt.“
Schon als Kind lernte Maja, dass Roma in Serbien anders behandelt werden
als andere BürgerInnen. „In der dritten Klasse haben ein paar Jungs im
Unterricht Scheren genommen und mir meine Zöpfe abgeschnitten“, erzählt
sie. „Der Lehrer hat nichts unternommen. Deshalb hat mein Vater mich nicht
mehr zur Schule geschickt. Und die hat sich nie bei uns gemeldet.“
Mit dem Zerfall Jugoslawiens 1991 kam zum Rassismus die Armut. Unter
Deindustrialisierung, Massenarbeitslosigkeit und Sanktionen litt die ganze
Bevölkerung – aber die Roma, die bereits zuvor ganz unten in der sozialen
Hierarchie gestanden hatten, traf es am härtesten. Um dem zu entgehen,
flüchteten Majas Eltern 1999 mit ihren Kindern nach Deutschland. Die
Familie erhielt eine Duldung und führte fünf Jahre lang ein relativ
normales Leben, bis 2004 die Abschiebung drohte und sie freiwillig nach
Serbien zurückkehrte.
Dort war die Lage genauso schlecht wie zuvor – aber das, was Maja „die
Katastrophe“ nennt, begann erst, als sie und ihr Freund gegen den Willen
beider Familien heirateten. „Meine Brüder haben mir nie verziehen, dass ich
mich nicht an unsere Tradition gehalten habe und sie nicht meinen Ehemann
habe auswählen lassen“, erzählt sie, „sie haben mich aus unserem Elternha…
gejagt.“
Ohne eigenes Einkommen musste Maja zur Familie ihres Mannes ziehen. Die
behandelte sie von Anfang an schlecht – aber die Schläge begannen erst, als
Maja schwanger wurde. „Seitdem haben sie mich nonstop malträtiert, mehrmals
aus dem Haus geschmissen, einige Male haben sie mich nachts geweckt und
verprügelt“, berichtet Maja. Am Ende des ersten Schwangerschaftsmonats
gingen sie und ihr Mann nach Deutschland und beantragten Asyl.
Dort begann ihr Gatte sie zu misshandeln. „Ich hatte eine schwere
Schwangerschaft, war dauernd beim Arzt, meine Wirbelsäule konnte das
Gewicht des Kindes nicht tragen. Dafür und weil er keinen Kontakt zu seiner
Familie hatte, hat er mich und das Baby verantwortlich gemacht. Er hat
gesagt, dass er uns hasst. Fast wäre unser Kind wegen seiner Schläge und
den Nachwirkungen der Schläge seiner Verwandten tot zur Welt gekommen.“
Tatsächlich musste Lena im achten Monat per Kaiserschnitt entbunden und
reanimiert werden; ihr Herz hatte im Mutterleib aufgehört zu schlagen.
## Die zweite Flucht nach Deutschland
Ein Jahr nach der Geburt flohen Mutter und Tochter erneut, diesmal vor dem
Ehemann und Kindsvater – aus Deutschland zurück nach Serbien. Doch ihre
eigene Familie wies Maja ab, eine Rückkehr zu der ihres Ex-Manns kam nach
den Gewalterfahrungen dort nicht infrage; zudem hatten dessen Angehörige in
der Zwischenzeit gedroht, Lena zu entführen.
Die alleinerziehende Mutter beantragte Sozialhilfe – und erlebte erneut den
Rassismus serbischer Behörden. „Wenn Roma Unterstützung beantragen,
bekommen sie einen Berg von Formularen zum Ausfüllen, die alle Geld
kosten“, erzählt sie, „und wenn sie alles richtig gemacht haben, gibt es 25
armselige Euro pro Monat Unterstützung.“ Als sie mit schweren
Unterleibsschmerzen ins Krankenhaus geht, wird sie mehrmals abgewiesen; als
endlich eine akute Blinddarmentzündung festgestellt und operiert wird, ist
Maja mehr tot als lebendig.
Im September 2016 floh Maja mit Lena erneut nach Deutschland. Die junge
Mutter beantragte erneut Asyl, zog den Antrag aber später zurück, weil
Beratungen ergeben hatten, dass eine Anerkennung als Härtefall bessere
Chancen hatte. Doch ein entsprechender Antrag wurde im August 2017 von der
Senatsverwaltung für Inneres abgelehnt.
Begründung des Senators Andreas Geisel (SPD): Humanitäre Gründe, die über
die allgemeine Situation in Serbien hinausgingen, seien ebenso wenig
ersichtlich wie eine Gefährdung von Mutter und Kind durch den Ex-Mann oder
dessen Familie. Zudem habe Maja „hinreichende Integrationsleistungen nicht
geltend gemacht“.
Dem widerspricht Karolin Sander energisch: „Maja hat während ihrer Jugend
in Deutschland fließend Deutsch gelernt und konnte daher bereits in ihrem
ersten Wohnheim nach der Wiedereinreise als Übersetzerin aktiv werden“, so
die Sozialarbeiterin, die Maja und Lena unterstützt. Deshalb sei Maja sogar
ein Praktikum als Sozialbetreuerin und Sprachmittlerin angeboten worden –
was die Ausländerbehörde abgelehnt habe. Trotz all dieser Rückschläge, der
Belastung durch ihre eigenen Traumata und der ständigen Angst um die
Tochter besuche die junge Mutter regelmäßig die Schule, um den Abschluss
der 9. Klasse nachzuholen. Das sei dem Innensenator berichtet worden.
Sander und andere Unterstützer Majas – unter anderem der Flüchtlingsrat
Berlin und Majas Therapeutin – haben sich an den Petitionsausschuss
gewandt. Dieses Gremium können Bürger anrufen, die Entscheidungen von
Landesbehörden falsch, unangemessen oder unverständlich finden. „Es ist
doch klar, dass Roma in Serbien benachteiligt werden – und Maja dort Opfer
massiver Gewalt geworden ist, die erhebliche Auswirkungen auf ihre Tochter
hat“, so Sander. „Aufgrund ihrer pränatalen Schädigungen besteht für Lena
die Gefahr eine Behinderung. Die kann durch professionelle Betreuung in
Berlin verhindert werden. In Serbien gibt es diese Möglichkeit nicht.“
*Beiden Betroffenen haben wir zu ihrem Schutz andere Namen gegeben
7 Nov 2017
## AUTOREN
Rüdiger Rossig
## TAGS
Flüchtlinge
Serbien
Sinti und Roma
Abschiebung
Obdachlosigkeit
Geflüchtete
Schwerpunkt Flucht
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