| # taz.de -- Die Wahrheit: Liebestöter statt Emoticons | |
| > Man muss die Vergangenheit ehren, nicht nur, weil früher alles besser | |
| > war. Wer per Hochrad und Reifrock durch Berlin tingelt, weiß, was das | |
| > heißt. | |
| Es ist mir wirklich ein Rätsel, wieso Räuber zur verschlüsselten | |
| Kommunikation ausgerechnet die – nach ihnen benannte – „Räubersprache“ | |
| benutzen. Denn: Hat man es als Räuber nicht prinzipiell eilig? Sollte man | |
| sich nicht über den richtigen Zeitpunkt zum Verschwinden verständigen, | |
| bevor die Polizei am Tatort eintrifft? Kann man es sich tatsächlich | |
| leisten, mit dem Schmieresteher erst länglich Konversation zu betreiben? | |
| Und geht es beim Informationsaustausch zwischen Ganoven nicht auch darum, | |
| sich möglichst präzise auszudrücken? | |
| Stattdessen: „Achhachlefach-tunghunglefung, diehielefie | |
| Bulhulleful-lenhenlefen komhomlefom-menhenlefen!!“ – „Misthistlefist!“ … | |
| „Schnellhelllefell, Edhedlefed-dehelefe, lasshasslefass unshunslefuns | |
| abhablefab-hauhaulefau-enhenlefen!“ – „Alhallefal-lesheslefes | |
| klarharlefar!“ – „Ohhohlefoh neinheinlefein!! Siehielefie sindhindlefind | |
| schonhonlefon hierhierlefier!! – „Aaaarghhaaarghlefaaaargh!“ | |
| Aber eventuell verstehe ich einfach zu wenig vom Milieu. Wer weiß zudem, ob | |
| Räuber noch sind, was sie mal waren. Vielleicht gehört es schlichtweg zur | |
| Langfingerehre dazu, diese Sprache zu sprechen – in unseren unruhigen | |
| Zeiten sind Sprachen, die Zugehörigkeiten ausdrücken, schließlich wieder | |
| sehr umkämpft. Wahrscheinlich schauen die alteingesessenen Räuber | |
| verächtlich auf die jungen, modernen Cyber-Kriminellen herab, die die | |
| Räubersprache nicht mehr beherrschen, und einfach eine SMS mit | |
| Polizei-Emoticon schicken, wenn der Mannschaftswagen anrollt. | |
| Man muss die Vergangenheit ehren, nicht nur, weil früher alles besser war. | |
| Ich habe mir neulich deshalb ein Buch meiner Lieblingskinderbuchautorin | |
| Ruth Hoffmann gekauft, es heißt „Pauline aus Kreuzburg“, ist von 1955 und | |
| in Frakturschrift. Und es ist erstaunlich dadaistisch für ein Kinderbuch! | |
| Stundenlang kann ich über Sätze wie „Eine lange Rerze fteht vor dem Blab | |
| des Baters, nur ein Kerzenreftlein, forglich auf den Sparer geftedt, | |
| erhellt mühfam den Blab der Rinder“ sinnieren. | |
| Die Lektüre geht durch die vielen rätselhaften Vokabeln viel langsamer | |
| vonstatten als bei meiner üblichen Schnelllesemethode und verlängert so den | |
| Genuss. Und der beigefarbene Stoffeinband verströmt angenehmes Retro-Flair | |
| – wenn ich mit dem Buch in der U-Bahn sitze, fragen mich neugierige | |
| Touristen, ob es das Romanische Café noch gibt oder welche Linie sie nehmen | |
| müssen, um nach „Cölln“ zu kommen. | |
| „Mich dünkt, es heißt jetzt Neukölln“, kläre ich sie dann freundlich au… | |
| und sonne mich in ihrem Wissensdurst. An der nächsten Station muss ich | |
| leider aussteigen und nehme mein an den Haltegriff gekettetes Hochrad mit, | |
| das die Gruppe vorher bewundern konnte. Das Vorderrad hat einen Durchmesser | |
| von beeindruckenden 50 Zoll, manchmal muss ich aufpassen, dass mein | |
| Reifrock nicht in den Speichen hängen bleibt. Prophylaktisch trage ich | |
| deshalb darunter lange Liebestöter. Man will sich ja nicht blamieren. | |
| 3 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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