# taz.de -- Spanisch-argentinische Filmsatire: Heimkehr mit Folgen | |
> In „Der Nobelpreisträger“ kehrt ein erfolgreicher Autor nach vierzig | |
> Jahren in seine Heimatstadt zurück. Nicht alle sind begeistert. | |
Bild: Die Hauptrolle spielt Oscar Martínez, der schon in der Almodóvar-Produk… | |
Bob Dylan hatte es der Schwedischen Akademie bekanntlich schwer gemacht. | |
Daniel Mantovani ist nicht viel besser, auch wenn der fiktive Erfolgsautor | |
zur Verleihung seines Literaturnobelpreises und zur Dankesrede brav | |
persönlich antritt. Doch dann spricht der Schriftsteller, dessen Werk sich | |
laut Laudatio ausschließlich aus dem Ort seiner Kindheit und Jugend in | |
Zentralargentinien speist, eigentlich nur darüber, dass die hohe | |
Auszeichnung mit ihrer „terminalen Kanonisierung“ für ihn den Weg in den | |
sicheren künstlerischen Tod bedeute. Schließlich sah er sich bisher als | |
Rebell. | |
Laudatio und Rede stehen zu Anfang dieses Films. Dass Mantovanis materielle | |
Existenz nicht ganz zu seinem romantischen Selbstbild passt, zeigt das | |
nächste Kapitel, das den Autor fünf Jahre später – umgeben von weiblichem | |
Personal – in einem riesigen modernistischen Edelbungalow hoch über | |
Barcelona zeigt. Die düstere Prophezeiung hat sich offensichtlich | |
bewahrheitet, gerade lässt der Autor von einer Assistentin reihenweise | |
Auftritte in aller Welt absagen. | |
Nur eine einzige Einladung wirkt länger. Die kommt vom Bürgermeister jenes | |
von Mantovani so oft beschriebenen, gehassten und mit zwanzig Jahren auf | |
Nimmerwiedersehen gen Europa verlassenen Örtchens. Der bittet den Autor nun | |
zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde für ein paar Tage nach Salas als Gast. | |
Mantovani sagt auch hier zuerst nein, reist dann aber etwas überstürzt doch | |
über den Atlantik, wo ihn ein mit Vorträgen, Feiern, Feuerwehr und | |
Schönheitskönigin vollgepacktes Programm und einige alte Freunde erwarten. | |
Doch nicht alle sind von dem Besucher begeistert. Das Drehbuch von Andrés | |
Duprat mäandert erst etwas herum, fährt aber bald treffsicher und | |
dialogfreudig die kulturellen Klassenkonflikte an, die sich zwischen dem | |
kosmopolitischen Oberintellektuellen und der provinziell-spießigen | |
Bevölkerung („Warum schreiben Sie nicht über etwas Schönes?“) anbieten: … | |
nagt die Unzufriedenheit, wie der nestflüchtige Autor den Ort und damit | |
auch sie selbst aus der Ferne dargestellt hat – und dabei fast vampirisch | |
aus ihren Leben Stoff für die eigene Karriere saugt. | |
## „Ein Clown der Europäer“? | |
Als der „Heimatverräter“ dann noch wagt, sich als Mitglied einer | |
Laienkunst-Jury großspurig über eingefahrene lokale Rücksichten | |
hinwegzusetzen, schlägt der gekränkte Bürgerstolz in offene Aggression um. | |
Die markigen Parolen („Sie sind ein Clown der Europäer!“) klingen nach | |
einer antikolonialistisch eingefärbten Variante von Pegida & Co und treffen | |
wie diese oft nur knapp daneben. | |
Nationaler Stolz und Eigenheiten samt Papst, Messi, Grillen und Gauchotum | |
werden satirisch auf die Schippe genommen, wobei eher subtile Anspielungen | |
einem nicht-argentinischen Publikum notwendigerweise verschlossen bleiben | |
dürften. Doch, keine Sorge, auch der neugebackene Ehrenbürger bekommt sein | |
Fett weg. Überhaupt überzeugt, wie es dem in vielen gemeinsamen | |
Produktionen eingespielten Regieduo Mariano Cohn und Gastón Duprat souverän | |
gelingt, ihre verbalen und szenischen Bissigkeiten breit zu streuen. | |
Oscar Martínez wurde beim Filmfestival von Venedig für seine subtile | |
Interpretation der Hauptfigur mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet. Auch | |
der Rest der Truppe ist exzellent besetzt, ebenso wie die sorgfältig | |
ausgesuchten und kadrierten Locations der leicht verblichenen Kleinstadt in | |
der Pampa. | |
Eine eigentlich witzige Idee auch, den alternden Literaten ausgerechnet | |
durch eine junge Dorfschönheit konfrontativ herauszufordern. Schade nur, | |
dass die hier wie andernorts im Film geführte Debatte über Literatur dann | |
schnell mit dem voyeuristischen Kamerablick auf einen nackten weiblichen | |
Idealkörper endet. Oder ist auch das ein hintersinniger Kommentar? | |
2 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
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