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# taz.de -- Teurer Feldweg: Ein Bauer soll blechen
> Fast 190.000 Euro soll einem Landwirt aus Lütjenburg der Ausbau einer
> Straße wert sein. Dabei profitiert er davon gar nicht.
Bild: Unendliche Weiten, aber wenig Verkehr: Die Straße ist breit genug für B…
Lütjenburg taz | Ulrich Albert sitzt vor seinem Haus, zieht an einer
Zigarette und blinzelt in den Oktoberregen. Von seiner Bank aus schaut der
61-Jährige über die Pferdekoppel und die Maschinenhalle auf das Dach eines
großen Ziegelbaus, der den höchsten Hügel in Sichtweite krönt. Links führt
eine schlammige Zufahrt vom Hof, in den Schlaglöchern sammelt sich das
Wasser. Die Straße, in die die Zufahrt mündet, ist nicht zu sehen. Es ist
die Straße, die Ulrich Albert bundesweit bekannt machte. Der ehemalige
Landwirt aus Lütjenburg soll für deren Ausbau fast 190.000 Euro zahlen.
Ein Härte-, aber längst kein Einzelfall: Straßenausbaubeiträge seien „ein…
der größten Ärgernisse für die Menschen in Schleswig-Holstein“, sagte der
FDP-Abgeordnete Stephan Holowaty (FDP) bei der Landtagssitzung im
September. 2016 startete ein Hausbesitzer aus Neumünster eine Petition
gegen die Beiträge, mehr als 20.000 Menschen unterschrieben. Der Landtag
diskutiert einen Gesetzesentwurf der Jamaika-Regierung. Wird er umgesetzt,
steht es den Kommunen frei, ob sie Beiträge erheben. Zurzeit verpflichtet
das Landesgesetz die Gemeinden, nach dem Asphaltieren abzukassieren.
Er würde ja bezahlen, sagt Ulrich Albert. Nur eben nicht so viel. Seit neun
Jahren läuft sein Rechtsstreit mit der Gemeinde, aber der Grundstein für
„die Katastrophe“, wie Albert sie nennt, wurde schon einige Jahre früher
gelegt. Schuld ist das Gebäude auf dem Hügel.
## Ein guter Tausch
Hinter der roten Fassade mit den vier Fensterreihen befindet sich eine
Scheune, groß genug für Fuhrwerke, die auf verschiedenen Ebenen einfahren
können. Unten stand das Vieh, von oben konnten Futter und Stroh in den
Stall geworfen werden, erinnert sich Albert, der die Scheune noch in
Betrieb erlebt hat.
Solche Auffahrtscheunen gibt es selten im Norden, dreistöckige erst recht.
Erbaut wurde sie 1922, zehn Jahre später erwarb Ulrich Alberts Großvater
das Gelände. Mitte der 1990er Jahre gab die Familie den Ziegelbau an die
Stadt, berichtet Albert: „Dafür kriegten wir die Halle aufgestellt.“ Ein
guter Tausch für beide Seiten. Seit 2012 gilt in Schleswig-Holstein die
landesweite Gebührenpflicht für den Straßenausbau. Ausbau, wohlgemerkt,
nicht Reparaturen, die Sache der Kommune sind. „Ausbau“ meint eine echte
Änderung – Bürgersteige, Verkehrsberuhigung – oder eine Totalsanierung, d…
alle 25 bis 30 Jahre fällig wird, wenn in den Jahren dazwischen wenig
repariert wurde.
Für eine Verwaltung mag es wirtschaftlich klug sein, Straßen ein
Vierteljahrhundert in Ruhe zu lassen und dann beitragspflichtig zu
sanieren. Für die Kommunalpolitik bedeutet das Stress: „Ich musste das
sogar mit meinem Vater diskutieren“, sagt die SPD-Politikerin Beate Raudies
im Landtag.
## Wer profitiert
Dass Gemeinden ihre BürgerInnen belangen dürfen, ist rechtens, „lang und
breit durchgeklagt“, sagt Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU). Sogar
jährliche Beiträge sind zulässig, urteilte das Bundesverfassungsgericht
2014, „wenn damit ein konkret-individuell zurechenbarer Vorteil verbunden
ist“. Mit anderen Worten haben die AnliegerInnen am meisten davon, wenn die
Straße vor ihrem Haus ordentlich ist. Wer soll zahlen, wenn nicht sie?
Die Straße am Nienthal führt über 900 Meter an Ulrich Alberts Äckern
entlang, passiert seine schlaglöchrige Hof-Zufahrt und endet an der alten
Scheune. Die Stadt Lütjenburg hatte große Pläne mit ihr: Die „Traumwelt von
1998“, spottete der Journalist Hans-Jürgen Schekahn in den Kieler
Nachrichten und zählte auf: umweltpädagogisches Zentrum,
Erlebnis-Gastronomie, ein Kommunikationszentrum für Ausbildung in den neuen
Medien und Hofleben mit bäuerlichem Handwerk. Als ersten Schritt ließ die
Stadt arbeitslose Jugendliche den Ziegelbau ausräumen. Bis auf
Weihnachtsmärkte und Konzerte stand die Scheune leer. Dann entstand die
Idee für das „Erlebniszentrum Mensch-Energie-Natur“.
Im Landtag erinnert Lars Harms (SSW) daran, dass 2012 der Gemeindetag für
ein einheitliches Gesetz plädierte. Nun gebe das Land die Entscheidung
zurück an die Kommunen.
Das bedeute mehr Freiheit, sind CDU und FDP überzeugt. Doch die
Sozialdemokratin Beate Raudies sieht das anders: Statt die BürgerInnen zu
entlasten, würden die „Probleme bei den Kommunen abgeladen“, sagt sie. Denn
die würden erst „am St. Nimmerleinstag eine Landesbeihilfe erhalten“. Bis
dahin könnten reiche Kommunen die Kosten selbst decken, arme dagegen müssen
weiter Beiträge erheben.
Seit der Debatte im Landtag wollen Lübeck und Flensburg weiterhin die
BürgerInnen beteiligen. Doch Lütjenburg ist eine arme Gemeinde. Und das
Erlebniszentrum sollte mit den Gästen auch Geld in die kleine Stadt
bringen. Studien wurden in Auftrag gegeben, Fördermittel beantragt.
Angesichts erwarteter Besuchermassen reichte der schmale Landwirtschaftsweg
nicht aus. Und so klopfte die Gemeinde bei Landbesitzer Ulrich Albert an
und bat um Flächen für Parkplatz und Straßenverbreiterung. Als Albert
hörte, dass jährlich 100.000 BesucherInnen den Weg zur Scheune finden
sollten, dachte er sich: Das wird laut.
Zu laut für die MieterInnen seiner Wohnungen neben der alten Scheune. „Ich
habe kein Land abgegeben, ich war nicht verpflichtet dazu.“ Aus dem
Erlebniszentrum wurde nichts. Nicht wegen Ulrich Albert, sondern weil die
EU keine acht Millionen Euro Fördergeld herausrücken wollte. Aber weil
Fördergelder auch davon abhängen, ob bestimmte Kriterien – wie breite Wege
– erfüllt sind, hat Albert vielleicht doch ein bisschen dazu beigetragen.
Dennoch erneuerte die Stadt die Straße Nienthal.
## Der Landwirt soll zahlen
Bürgermeister Dirk Sohn hält die Breite von 5,20 Metern für angemessen für
die Bedürfnisse der Anlieger. Auf dem Hügel befindet sich noch ein kleines
Eiszeitmuseum und am Anfang der Straße die „Turmhügelburg“, die ebenfalls
Gäste anzieht, sowie einige Wohnhäuser und Alberts Maschinenhalle, in der
Boote lagern. Sechs öffentliche und private Anlieger hat die Straße,
Alberts Grundstücke sind die größten.
Die erste Rechnung der Stadt, vor neun Jahren, belief sich auf fast 220.000
Euro. Im ersten Jahr wurde die Zahlung gestundet, dann setzte die
Verwaltung eine Frist. „Es hieß, wenn wir die verstreichen lassen, gibt es
Mahngebühren“, sagt Albert und zieht an seiner Zigarette. Der Landwirt nahm
einen Kredit auf, zahlte – und klagte.
## Seltsame Koalitionen
Die Straßenausbaubeiträge sind eines der Themen, bei denen sich seltsame
Koalitionen ergeben. „Der Straßenbau ist eine öffentliche Aufgabe“, sagt
Lorenz Gösta Beutin, Landessprecher der Linken, der taz. „Beiträge sind
ungerecht, weil sie Einkommensschwache stärker belasten.“ Die Linke ist
dafür, Straßenausbaubeiträge komplett zu streichen.
Die Entscheidung den Kommunen zu überlassen, verschärfe nur das
Ungleichgewicht zwischen den Standorten. Auch die AfD will
HausbesitzerInnen entlasten. Im Landtag unterstützt die Fraktion den
Gesetzentwurf von CDU, Grünen und FDP. Der AfD-Abgeordnete Volker
Schnurrbusch will auch gleich noch die Grunderwerbssteuern abschaffen. Am
schwersten tun sich die Grünen. Kommunalexpertin Ines Strehlau räumte im
Landtag ein: „Man muss keine Prophetin sein, um zu wissen, dass es
Unzufriedene geben wird.“ Schließlich müssten Straßen irgendwie bezahlt
werden. Vielleicht könne eine kommunale Infrastruktursteuer Abhilfe
schaffen.
Seit über neun Jahren streiten Ulrich Albert und die Stadt Lütjenburg
darüber, ob der geforderte Anliegerbeitrag rechtmäßig ist. Nun entschied
das Schleswiger Verwaltungsgericht, dass die Gemeinde korrekt gehandelt
hat. Rechtlich einwandfrei, dennoch ein Härtefall, so brachte ein Experte
die Lage auf den Punkt. Um die Summe erträglicher zu machen, zog die
Schleswiger Richterin rund 30.000 Euro für Stromkabel und die Bankette ab.
Albert überlegt, ob er in die nächste Instanz zieht. Denn mit der Belastung
durch den Kredit ist der Hof kaum zu halten. Und sein Sohn, der gerade
Landwirtschaft studiert, brauche unter den Umständen gar nicht erst bei ihm
anfangen. Auch die alte Scheune ist baufällig und soll abgerissen werden.
Doch dafür hat die Stadt gerade kein Geld.
2 Nov 2017
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
SPD Schleswig-Holstein
Straßenbau
Schleswig-Holstein
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