# taz.de -- Wenn die Bundeswehr geht: Mein Freund, der Soldat | |
> Fast ein Sechstel der Lütjenburger gehören der Armee an. Der | |
> ostholsteinische Ort will seit 50 Jahren die "Garnisonsstadt mit Herz" | |
> sein. Nun droht dennoch der Abzug. | |
Bild: Anders als die Lütjenburger könnte der Kammmolch den Abzug der Bundeswe… | |
LÜTJENBURG taz | Unter der Oktobersonne leuchtet die hügelige Landschaft | |
Ostholsteins, Felder und Wälder sehen aus wie geputzt, die Schilder am | |
Straßenrand warnen vor Rehen und Traktoren. Die B 430 nennt sich hier | |
"Deutsche Ferienroute Alpen-Ostsee". Sie führt am Standortübungsplatz | |
Hohensasel vorbei, einem malerischen Gelände, das sich die Panzer mit | |
Kammmolch und Rotbauchunke teilen. | |
Die B 430 passiert die Kleinstadt Lütjenburg, zurzeit noch Standort des | |
Flugabwehrregiments 6, und schlägt einen Bogen um den Truppenübungsplatz | |
Putlos, dem einzigen Übungsplatz Deutschlands mit Küstenanbindung. Weiter | |
nördlich an der Küste liegt Todendorf, der Schießplatz, wo mit scharfer | |
Munition über die Ostsee geschossen wird. Wenn in Todendorf und Putlos | |
Übungen laufen, ist das dumpfe Grollen und Wummern in Lütjenburg zu hören, | |
und unter der Woche darf kein Segler die kleine Marina zwischen den beiden | |
Übungsplätzen anlaufen. | |
"Es gab aber nie Probleme, wir haben hier nie Proteste gegen die Bundeswehr | |
gehabt", sagt Stefan Leyk. Der Stadtreferent von Lütjenburg sitzt im | |
Besprechungsraum des schmucken Rathauses und blättert in einer Broschüre, | |
die der Politik die Vorzüge von Lütjenburg, der "Garnisonsstadt mit Herz", | |
erklären soll. Seit 50 Jahren ist die Truppe da, sie ist die größte | |
Arbeitgeberin der Region. Doch im Zuge der Bundeswehrreform ist der | |
Standort bedroht. Es wäre ein Verlust für die Stadt: Fast 2.500 Jobs hängen | |
direkt oder indirekt an der Kaserne, die direkt hinter dem | |
Ortseingangsschild beginnt, ein eigener, umzäunter Stadtteil. Zeitweise | |
waren über Tausend Soldaten hier stationiert, nun sind es etwas 950. | |
Zusammen mit ihren Familien macht das einen bedeutenden Teil der knapp | |
6.000 Lütjenburger aus. "Sie leben alle gern hier, viele bleiben auch, wenn | |
sie außer Dienst sind", sagt Leyk. | |
Dafür hat sich die Stadt den Bedürfnissen der Truppe angepasst: Die Kita | |
"Rappelkiste" öffnet rechtzeitig, damit die Soldatinnen ihre Kinder vor | |
Wachbeginn bringen können, so wie "Frau Oberleutnant Müller", die auf dem | |
Titelblatt der Werbebroschüre abgebildet ist und auf den Innenseiten des | |
Heftes im Bäckerladen und beim Spaziergang zu sehen ist, in Uniform | |
natürlich. | |
## Überall willkommen | |
Die "gewissen Einschränkungen für den Tourismus" durch die Schießübungen | |
werden klaglos hingenommen, und in der Gilde und den Vereinen sind die | |
Soldaten willkommen. "Da sind doch Vertrauenstatbestände entstanden", sagt | |
Leyk, er wiederholt das Wort später, als wäre es ein Pflock, an dem er sich | |
festhalten könnte. 50 Jahre hat Lütjenburg alles für das Militär gemacht, | |
nun wollen die Soldaten gehen - warum nur? | |
Die kleine Stadt an der Ostsee hat mächtig für sich getrommelt: Auf den Tag | |
genau vor einem Jahr gründete sich ein "Aktionsbündnis" für den Erhalt des | |
Standorts. Geschäftsleute sind dabei, die Leiterin der örtlichen Sparkasse, | |
die nach dem Verlust der Bundeswehr einen "wirtschaftlichen Totalschaden" | |
und einen Zusammenbruch des Immobilienmarktes fürchtet, und | |
Vereinsvorsitzende, die Angst davor haben, dass der Ort verarmt und zum | |
sozialen Brennpunkt wird. Sie haben eine Broschüre geschrieben und an die | |
zuständigen Bundesministerien und Politiker in Bund und Land verteilt. | |
Sogar ein Zitat von Kurt Tucholsky steht darin, nicht "Soldaten sind | |
Mörder", sondern etwas über Freundschaft. "Der Staatssekretär hat auch | |
geschmunzelt", sagt Leyk. Darum ging es ja: Auffallen im Chor der Orte, die | |
alle um ihre Kasernen kämpfen. | |
## Hoffen auf neue Truppen | |
"Unsere Chancen stehen fifty-fifty", glaubt Leyk. Dabei ist bereits klar, | |
dass die Flugabwehr abziehen wird. Lütjenburg kann also höchstens darauf | |
hoffen, das ein anderer Truppenteil einzieht, von der Luftwaffe vielleicht | |
oder vom Heer. Wie wahrscheinlich das ist, lässt sich angesichts der | |
bundesweiten Konkurrenz schwer sagen, und nur wenige sind so optimistisch | |
wie der Stadtreferent: Im Internet schimpft ein anonymer Schreiber mit | |
Alias-Namen "Betroffener", die Kaserne sei viel zu klein, auf dem | |
Übungsplatz Hohensasel kenne "man spätestens nach der zweiten Übung jede | |
Ecke", betriebswirtschaftliche Gründe sprächen gegen den Standort und die | |
Lobbyarbeit der Gemeinde reiche nicht aus. | |
Keine Frage ist, dass Schleswig-Holstein Standorte verlieren wird: "Auf die | |
Länder mit den meisten Dienstposten pro Einwohner kommen sicherlich größere | |
Einschnitte zu als auf jene mit weniger Bundeswehr", sagte | |
Verteidigungsminister Thomas de Maizière kürzlich in einem Interview. Wenn | |
er am Mittwoch gegen Lütjenburg entscheidet, "gehen wir auf die | |
Barrikaden", verspricht Leyk. Proteste soll es geben, Aktionen, weitere | |
Überzeugungsarbeit. Sollte es gut laufen, werde stattdessen gefeiert - mit | |
ordentlich viel Getöse. | |
25 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Esther Geisslinger | |
## TAGS | |
SPD Schleswig-Holstein | |
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