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# taz.de -- Nationalismus in Kroatien: Knietief in der Krise
> Die Wirtschaft schwächelt, der Handelskonzern Agrokor ist bankrott. Die
> Präsidentin ist auf dem besten Weg, es sich mit den Nachbarn zu
> verscherzen.
Bild: Unter Polizeibewachung: Anwesen des Unternehmers Ivica Todorovic
Split taz | Mit der Ausstellung eines internationalen Haftbefehls gegen den
bisher mächtigsten Unternehmer des Landes, Ivica Todorić, hat die
Staatsanwaltschaft Kroatiens nach langem Zögern doch noch gehandelt. Dem
66-jährigen Unternehmer werden Bilanzfälschung und Konkursverschleppung
vorgeworfen.
Der Skandal um Agrokor könnte das Land wirtschaftlich und politisch in den
Abgrund reißen. Mit der Pleite des Mischkonzerns stehen jetzt nicht nur 60
000 direkte Arbeitsplätze auf dem Spiel, sondern 500 000 weitere, die
indirekt vom Konzern abhängig sind.
Agrokor erwirtschaftete bisher rund 15 Prozent des Bruttosozialproduktes
des Landes und ist ein aus 143 Firmen besthender Mischkonzern, der sowohl
in der Produktion als auch in der Distribution von Lebensmitteln aktiv ist.
Mit 800 Filialen war die Supermarktkette Konzum noch bis vor kurzem
gemeinsam mit dem ehemals slowenischen Kaufhauskonzern Mercator (2013 von
Agrokor übernommen) nicht nur in Kroatien marktbeherrschend, sondern auch
in den Nachbarländern Bosnien und Herzegowina und Slowenien bedeutend.
Agrokor kontrolliert 80 Prozent des Mineralwassermarktes (Jamnica) sowie
auch die Herstellung und den Vertrieb von Speiseöl (Zvijezda) in Kroatien.
## Nähe zu Tudjman
Todorić hatte über Jahrzehnte den mit Abstand größten Lebensmittel- und
Handelskonzern in ganz Südosteuropa aufgebaut. Ihm konnte das nur gelingen,
weil er nach dem Zerfall Jugoslawiens 1991 die Nähe des ersten Präsidenten
des Landes, Franjo Tudjman, gesucht hatte und als einer seiner Günstlinge
galt.
Es gelang Todorić während der Phase der Privatisierungen Anfang der 90er
Jahre viele Firmen aus dem Fundus der im sozialistischen Jugoslawien
formell im Besitz der Belegschaften befindlichen Betriebe buchstäblich „für
einen Appel und ein Ei“ zu übernehmen. Angesichts der politischen Nähe zu
der regierenden Kroatisch Demokratischen Gemeinschaft HDZ war Todorić
jedoch auch zu „Gefälligkeiten“ bereit und verteilte wichtige Posten in
seinem Konzern an Politiker.
Das so entstandene Klientelsystem wurde auch während der Zeit der
sozialdemokratischen Regierungen aufrechterhalten und bestand bis vor
kurzem fort. Todorić gelang es zudem, große Summen aus der Firma für sich
und seine Verwandten abzuzweigen.
Kritiker sehen in der mangelnden Staatsaufsicht einen der wichtigsten
Gründe für den Niedergang des Konzerns. Der Staat drückte angesichts des
sich entwickelnden Schuldenbergs beide Augen zu und war sogar teilweise
bereit, Bürgschaften für Kredite zu garantieren oder günstige Kredite durch
die staatsnahe Zagrebačka Banka zu vermitteln.
## Deutsche Konkurrenten
Mit dem Beitritt zur EU 2013 tauchten zudem Konkurrenten auf. Die deutschen
Lebensmittelketten Lidl und Kaufland brachten Konzum und Mercator weiter in
Bedrängnis. Bis April dieses Jahres häufte Agrokor einen Schuldenberg von
über 5 Milliarden Euro an, allein über eine Milliarde Euro bei der
russischen Sperbank. Seit April dieses Jahres versucht ein Staatskommissar
den Konzern zu retten und Gläubiger, darunter viele Zulieferfirmen,
wenigstens halbwegs durch die Aufnahme neuer Überbrückungskredite zu
beruhigen.
Vor wenigen Tagen besuchte die Präsidentin des Landes, Kolinda
Grabar-Kitarović, den russischen Präsidenten Vladimir Putin in Moskau, um
über weitere russische Kredite zu verhandeln. Die russische Seite zögert
jedoch, sie will als Kompensation für absehbare Verluste im Bankensektor
einen erweiterten Zugriff auf die ebenfalls zum Konzern gehörende
Ölindustrie erreichen.
Vom EU-Beitritt erhofften sich die 4,5 Millionen Kroaten noch einen
wirtschaftlichen Aufschwung. Außenpolitisch versprach die damalige
Regierung eine politische Führungsrolle bei der Integration der Staaten des
Westbalkan zu spielen.
In den Nachbarländern Serbien sowie Bosnien und Herzegowina hatte das trotz
der konfliktreichen Vergangenheit große Erwartungen geweckt. Und auch in
Slowenien erhoffte man sich endlich den Grenzkonflikt in Bezug auf die
Bucht von Piran an der Adria zu lösen.
## Leere Versprechungen
Doch aus diesen Versprechungen ist nichts geworden. Der wirtschaftliche
Aufschwung ist trotz des Touristenbooms der letzten Jahre ausgeblieben.
Kroatien hat den Konflikt mit Slowenien wieder verschärft. Es weigert sich,
einen internationalen Schiedsspruch zu akzeptieren.
Als die seit Januar 2015 amtierende Präsidentin vor wenigen Wochen
verbreitete, Zehntausende von Salafisten seien auf bosnischer Seite an der
Grenze zu Kroatien aufgetaucht, löste das heftige Reaktionen in Sarajevo
aus. Immer wieder versucht Kroatien die Beitrittsverhandlungen Serbiens mit
der EU zu erschweren, willkürliche Handelssanktionen vergiften die
Atmosphäre. So vermuten viele Beobachter, die Präsidentin spiele mit dem
Nationalismus, um von der Agrokorkrise abzulenken.
22 Oct 2017
## AUTOREN
Erich Rathfelder
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