# taz.de -- Queere Jugendpolitik: „Berlin ist Nachzügler“ | |
> Sebastian Walter, queerpolitischer Sprecher der Grünen, zum | |
> Koalitionsantrag auf ein queeres Jugendzentrum, der Donnerstag im | |
> Abgeordnetenhaus beschlossen wird. | |
Bild: CSD geht in Berlin auch im Regen. Aber ein queeres Jugendzentrum geht bis… | |
taz: Herr Walter, das Abgeordnetenhaus stimmt am Donnerstag, dem 19. | |
Oktober, über den Antrag von Rot-Rot-Grün ab, ein queeres Jugendzentrum | |
einzurichten. Was unterscheidet ein Zentrum für queere Jugendliche von | |
einem für jugendliche Heteros? | |
Sebastian Walter: Das neue Zentrum soll ein Ort der Stärkung und des | |
Empowerments für queere Jugendliche sein. Sie sollen dort ohne | |
Diskriminierung und ohne Angst zusammenkommen, voneinander lernen und sich | |
austauschen können– eine Art „Schutzraum“ also. | |
Wie soll der aussehen? | |
Was wir brauchen, ist ein Ort, der sowohl Freizeitangebote macht, etwa | |
Filmabende oder ein Café, wie auch ausreichend Betreuung bietet. | |
Entscheidend ist, dass dort eine ungezwungene Atmosphäre herrscht, in | |
welcher man sich austauschen und feststellen kann: Ich bin völlig „normal“. | |
Welchen Arten von Diskriminierung sind queere Jugendliche in einer | |
weltoffenen Stadt wie Berlin denn ausgesetzt? | |
Das Coming-out ist schwierig für lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, | |
inter* und queere Jugendliche – das war schon so, als ich vor 20 Jahren | |
mein Coming-out hatte, und das hat sich bis heute leider nicht geändert. | |
Laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts München erfahren queere | |
Jugendliche nach wie vor Diskriminierung im Alltag, etwa beim Sport oder in | |
der Schule, oftmals auch in der Familie. Allein das Suizidrisiko ist auf | |
das Vier- bis Sechsfache erhöht. | |
Haben Sie einen bestimmten Stadtteil im Auge, wo das Jugendzentrum | |
entstehen soll? | |
Wir haben keine Präferenz für einen bestimmten Stadtteil. Zentral und gut | |
erreichbar sollte es aber schon sein. Mit dem Antrag wird die Verwaltung | |
beauftragt, bis Ende des Jahres ein konkretes Konzept zu entwickeln, wie | |
ein solches Jugendzentrum aussehen soll. Dann erst wird über den Ort | |
entschieden. | |
Wie groß soll das Zentrum sein? | |
Ich fände es großartig, wenn es ein eigenes Haus wäre. Doch wir kennen die | |
momentane Situation auf dem Gewerbemietmarkt und die finanziellen | |
Spielräume des Landeshaushalts. Also wird es erst einmal eine normale | |
Mietfläche sein. | |
Wie sieht es mit der Finanzierung aus? | |
Die ist gesichert: Im Haushalt stehen für das Jugendzentrum 2018 und 2019 | |
je 175.000 Euro zur Verfügung. | |
Welche Altersgruppe soll angesprochen werden? | |
Generell gesagt: Jugendliche bis 26 Jahre. Wir müssen allerdings | |
berücksichtigen, dass die Jugendlichen immer früher über ihre sexuelle | |
Orientierung oder geschlechtliche Identität Bescheid wissen, teilweise | |
schon mit elf oder zwölf Jahren. Das heißt, dass diese Altersgruppe dann | |
auch noch mal ganz besondere Bedürfnisse hat und einen anderen Zugang | |
braucht, ein anderes Angebot und andere Unterstützung als ältere | |
Jugendliche. | |
Dafür werden geschulte Pädagoginnen und Pädagogen benötigt. Wie werden | |
diese vorbereitet? | |
Bei der Umsetzung des erarbeiteten Konzepts wird es ein Verfahren geben, in | |
dem sich geeignete Träger bewerben können. Sie werden das pädagogische | |
Personal aussuchen, nach Fachstandards und nach Qualitätskriterien, wie das | |
im Sozial- und Jugendbereich üblich ist. Bewährt hat sich zudem der | |
sogenannte Peer-to-Peer-Ansatz. | |
Erklären Sie das bitte genauer. | |
Das heißt, Jugendliche, die ein bisschen älter sind und schon ihr | |
Coming-out hatten, werden pädagogisch fortgebildet, sodass sie selbst | |
geschulte Ansprechpartner für andere Jugendliche werden. Wissenschaftliche | |
Untersuchungen beweisen, dass es besonders wirkungsvoll ist, wenn | |
Jugendliche selbst Jugendliche beraten und ihnen Erfahrung mitgeben. | |
Soll die Einrichtung auch für nichtqueere Jugendliche geöffnet werden? | |
Es wird nicht an der Tür gefragt werden: „Bist du lesbisch oder schwul?“ Es | |
wird darauf hingewiesen werden, was das für ein Ort ist – und dann werden | |
die Jugendlichen schon selbst entscheiden, ob das der richtige Ort für sie | |
ist oder nicht. Zielgruppenspezifisch ist es natürlich auf die Bedürfnisse | |
von LSBTIQ*-Jugendlichen ausgerichtet. | |
Aber wenn nun Interessierte kommen, die keine queeren Jugendlichen sind, | |
würden Sie die dennoch einlassen? | |
Auf jeden Fall. Wenn queere Jugendliche Freund*innen mitbringen, die nicht | |
queer sind, dürfen die natürlich auch rein. Das ist wichtig und richtig. | |
Reicht ein einziges Zentrum aus? | |
Wir haben im Koalitionsvertrag verabredet, dass es mindestens ein queeres | |
Jugendzentrum für Berlin geben soll. Das wollen wir nun auf den Weg | |
bringen. Ich hoffe aber, es bleibt nicht nur bei diesem einen. | |
Welche Angebote für LSBTIQ*-Jugendliche existieren bisher? | |
Es gibt bereits tolle queere Jugendarbeit, etwa durch das Jugendnetzwerk | |
Lambda oder den Verein AB Queer. Wir wollen aber, dass sich die Stadt im | |
Jugendbereich insgesamt stärker öffnet für gesellschaftliche Vielfalt und | |
diese vor Diskriminierung schützt. Da geht es nicht nur um | |
LSBTIQ*-Jugendliche, sondern auch um Jugendliche of Color oder mit | |
Behinderung. | |
Gibt es Vorbilder für ein solches Zentrum? | |
Berlin ist hier ein Nachzügler. Städte wie Köln und Frankfurt sind schon | |
weiter. Von ihnen können wir lernen. | |
Befürchten Sie, dass es zu Übergriffen auf das Zentrum kommen könnte? | |
Gegenüber LSBTIQ* kommt es derzeit wieder verstärkt zu Drohungen und | |
Gewalt. Auch da müssen und werden wir handeln. Einrichtungen der queeren | |
Community wurden glücklicherweise bislang verschont. Ich hoffe daher, dass | |
wir ohne besondere Schutzmaßnahmen auskommen. | |
18 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Sophie-Isabel Gunderlach | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
Berlin | |
Homosexualität | |
Queer | |
Queer | |
Liebeserklärung | |
Ehe für alle | |
Homo-Ehe | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Queeres Jugendzentrum eröffnet: „Ein sicherer Raum“ | |
In Hannover eröffnet das erste queere Jugendzentrum Niedersachsens – | |
unterstützt von allen Parteien außer der AfD. | |
Kolumne Liebeserklärung: Danke für die Erinnerung | |
Der Presserat rügt die „FAZ“ für einen Gastbeitrag zur Ehe für alle. Die | |
Reaktion der Zeitung zeigt den Extremismus der Mitte der Gesellschaft. | |
Die gleichgeschlechtliche Ehe ist da: Viermal „Ja!“ | |
Seit Jahren waren sie verpartnert. Am Sonntag haben Claudia und Dorle | |
Göttler sowie Heinz-Friedrich Harre und Reinhard Lüschow heiraten dürfen. | |
Ja-Worte und Regenbogentorte in Berlin: Der Kampf geht trotzdem weiter | |
Im Rathaus Schöneberg ist am Sonntag Deutschlands erstes schwules Paar die | |
Ehe eingegangen. Die Diskriminierung ist damit längst nicht beendet. |