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# taz.de -- Bestiarium Saxoniae Inferioris: Tierisch lustiges Niedersachsen
> Niedersachsen ist groß. Viele Menschen hat es auch. Aber im Verhältnis
> zur Fläche sind das gar nicht so viele. Tiere dagegen gibt es ohne Ende.
> Eine Auswahl.
Bild: Pferdekuss: Wenn die Niedersachsen irgendetwas vereint, dann die Liebe zu…
## Das Pferd
Ohne Pferde wäre Niedersachsen gar nicht denkbar. Es hätte nicht nur kein
Wappen, sondern es entfiele das einzige Bindeglied zwischen so disparaten
Regionen wie Ostfriesland, dem Emsland, der Lüneburger Heide und den
historisch verfeindeten Herzogtümern Oldenburg, Schaumburg-Lippe, Hannover
und Braunschweig: der Reitsport.
Fast jedes sechste deutsche Pferd steht in Niedersachsen, in der deutschen
Équipe bei den olympischen Spielen in Rio 2016 kam sogar jedes zweite Pferd
aus Niedersachsen. Hannoveraner Pferde holten acht, Oldenburger Pferde vier
Medaillen – das wird schon noch säuberlich unterschieden. „Nimmt man die
fünf der Wolfsburger Frauenfußballerinnen dazu, hat Niedersachsen insgesamt
17 Medaillen geholt. Da wären wir im Medaillenspiegel ganz weit oben“,
meinte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD).
Die heimliche Hauptstadt ist natürlich Verden, das nur aufgrund eines
Betriebsunfalls nicht mit „Pf“ geschrieben wird. Dort hat die Branche 2016
die „Verdener Erklärung“ verabschiedet, mit so donnernden Forderungen an
die Landesregierung wie: „Das Pferd verdient mehr öffentliche
Anerkennung!“, „Keine Pferdesteuer!“, „Mehr Innovation und Forschung und
eine bessere Datengrundlage!“ und „Mediale Präsenz erhöhen!“ Jawoll!
## Der Wolf
Rund 100 Wölfe stromern derzeit durch die Weiten Niedersachsens. Der grüne
Umweltminister Stefan Wenzel hat 2015 eigens ein Wolfsbüro eingerichtet, um
das Zusammenleben zwischen dem – eigentlich – willkommenen Rückkehrer und
den ansässigen Nutztierhaltern zu regeln. Gar nicht so einfach, denn die
Wölfe tun sich immer wieder an Schafen, Rindern und sogar Pferden gütlich.
2016 war es so weit: Wenzel gab, gegen Protest aus dem eigenen Milieu, mit
„Kurti“ den ersten Wolf zum Abschuss frei, weil er Menschen zu nahe
gekommen war.
In den Wochen vor der Wahl steigt die Nervosität in Wolfsfragen:
CDU-Schatten-Umweltminister Frank Oesterhelweg will die Wolfsjagd
freigeben, um den Bestand zu „regulieren“. Er prophezeit: Sobald der erste
Wolf einen Menschen angegriffen habe, „greifen die Leute zur Knarre“. Und
auch Umweltminister Wenzel spricht inzwischen davon, ganze Rudel
abzuschießen, wenn sie Weideschutzzäune überspringen.
Fragt sich, wie das in und um Wolfsburg ankommt, wo sie ihre Fußball-Stars
zärtlich „Wölfe“ nennen. Und, noch zärtlicher, weil viel erfolgreicher:
„Wölfinnen“.
## Der Schweinswal
Der Schweinswal ist Umweltschützers Liebling. Das mag daran liegen, dass er
für den Laien wie ein niedlicher Delfin aussieht. Und daran, das er nun mal
der einzige Wal ist, der in der Nordsee regelhaft vorkommt. Verirren sich
mal größere Gattungsgenossen in die niedersächsischen Küstengewässer,
(ver-)enden sie meist als aufgequollene Kadaver auf dem Strand und zieren
danach bestenfalls in Einzelteilen noch Heimatkundemuseen. Schweinswale
dagegen sollen in der Nordsee noch rund 300.000 leben.
Kein Grund zur Sorge also? Der kleine Meeressäuger lässt sich aber
wunderbar für einen Konflikt Ökologie gegen Ökologie vereinnahmen: Die böse
Windkraft-Industrie könnte mit den Rammschlägen beim Bau von
Offshore-Windparks die Ortungssensoren der Tiere schädigen und so zu ihrer
Strandung führen. Also doch lieber weiterhin Kohle verbrennen? Das würde
zumindest langfristig dazu führen, dass der Schweinswal auch da, wo heute
noch Strand ist, immer eine handbreit Wasser unter dem Kiel hätte.
## Die Wildgans
Bald ist wieder November. Das ist in Ostfriesland die Zeit der
Wildgänse-Jagd. Und man darf wohl behaupten, dass die Wildgans das
umkämpfteste Tier in ganz Niedersachsen ist. Die ostfriesischen Bauern
ballern für ihren Festtagsbraten wahllos in Gänsescharen – und das aus
einer Entfernung, aus der sie oft nicht mal erkennen können, ob es eine
geschützte Art ist oder nicht. Manchmal lassen sie verletzte Tiere einfach
vor Ort verenden, wenn sie gerade keinen Jagdhund dabei haben.
Und dann gibt es Vogelschützer, die genau so etwas beobachten,
Fotografieren, Anzeigen stellen – und manchmal die Vögel einfach
aufscheuchen, bevor der Schütze abdrücken kann. Wenn beide Fraktionen
einander begegnen, kann es gefährlich werden. Dann gibt's Schläge, blaue
Augen oder es landet auch schon mal ein Vogelschützer auf dem Kühlergrill.
Die Bauern hatten vor Jahren sogar eine Schwarze Liste ihrer Gegner
angefertigt.
## Das Schwein
Wenn Schweine wählen dürften, würden sie die Grünen wählen. Und dann hätt…
die Grünen die absolute Mehrheit. Denn in Niedersachsen „leben“ fast
achteinhalb Millionen Schweine, aber nur 7,8 Millionen Menschen. Jedes
dritte deutsche Schwein ist ein Niedersachse. Der Suinokratie im Wege
stehen könnte allenfalls das Wahlalter: Hausschweine werden nur zehn Jahre
alt, in den niedersächsischen Mastbetrieben sogar nur selten älter als drei
Monate.
Warum sie die Grünen wählen würden? Nun, deren Landwirtschaftsminister
Christian Meyer hat die „Ringelschwanzprämie“ ausgelobt, mit der Züchter
belohnt werden, die ihren Schweinen nicht den Schwanz abschneiden. Und er
will das Einknasten trächtiger Sauen in enge Kastenstände über den
Bundesrat drastisch einschränken.
## Das Huhn
Noch zahlreicher als die Schweine sind in Niedersachsen nur die Hühner.
Rund 50 Millionen Legehennen und Masthühner im Land hätten allen Grund,
ebenfalls den Grünen die Stange zu halten. Denn Agrarminister Meyer hat
auch dem verbreiteten Schnäbelkürzen den Kampf angesagt. Und erst die armen
männlichen Küken: Meyer will verbieten, sie einfach nach der Geburt zu
schreddern oder zu vergasen.
## Der Wendehals
Der seltene Vogel galt in Niedersachsen lange als ausgestorben. Im Juli
wurde nun erstmals seit Jahrzehnten ein weibliches Exemplar gesichtet: die
grüne Landtagsabgeordnete Elke Twesten, die von Umweltminister Stefan
Wenzels Vogelpark in die Voilère von CDU-Landeschef Bernd Althusmann
davonflatterte und damit erst die vorgezogene Landtagswahl nötig machte.
Wenige Tage vor der Wahl tauchte auch noch ein männlicher Vertreter der
Spezies auf: Polizeichef Uwe Binias, einst von CDU-Hardliner Uwe Schünemann
ins Amt geholt, trällerte plötzlich das Loblied auf seinen aktuellen Chef,
Innenminister Boris Pistorius (SPD). Und machte möglichst geräuschvoll den
Abflug aus der CDU.Paarungsaussichten: Unwahrscheinlich.
15 Oct 2017
## AUTOREN
Jan Kahlcke
## TAGS
Niedersachsen
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Schweinswal
Landtagswahl in Niedersachsen
Bernd Althusmann
Schwerpunkt Landtagswahlen
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