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# taz.de -- Aufbruch in die Kunst-Moderne: Das wunderbare Revonnah
> Als Hannover Avantgarde-Heimat war: Das Sprengel Museum macht sich an
> eine so umfassende wie gelungene Aufarbeitung.
Bild: Ohne den geht in Revon so gar nichts: Der Avantgarde-Altvordere Kurt Schw…
Das aufziehende 100-Jahr-Jubiläum des Bauhauses 2019 mag manche Orte,
Regionen und Institutionen derzeit dazu bewegen, auch in ihrem Beritt einer
Avantgarde der Zwischenkriegsjahre nachzuspüren. Das Landesmuseum Oldenburg
forscht seit Geraumem zu Bauhäuslern in der norddeutschen Provinz, in
Hannover ist man ebenfalls schon länger dabei, Schätze des legendären,
dadaistisch inspirierten Aufbruchs um die Integrationsfigur Kurt Schwitters
zu heben.
Bereits im letzten Jahr thematisierte das Museum August Kestner die
Pionierfunktion kunstaffiner Unternehmer wie Keksfabrikant Hermann Bahlsen,
Fritz Beindorff, der die Schreibwarenfirma Pelikan zur weltweiten Marke
ausbaute, Schokoladenmagnat Bernhard Sprengel oder auch Feinkosthersteller
Heinz Appel: sie alle hatten früh die künstlerische Qualität eines
optischen Gesamtauftritts, etwa aus Briefbogen, Plakat und
Produktverpackung erkannt, beauftragten und förderten Grafiker, Maler oder
Schriftgestalter, so auch Schwitters.
Ebenso setzte sich im letzten Jahr der 1916 von diesen Unternehmern
mitinitiierte fortschrittliche Kunstverein der Kestnergesellschaft als
lokaler Katalysator in Szene, betonte die Tradition einer
Ausstellungspolitik, die Kunst als Anreger, wenn nicht gar Erreger
definierte. Dieses Jahr legte man mit einer Würdigung des vielseitigen
Gestalters Friedrich Vordemberge-Gildewart (1899–1962) nach, er verantworte
zwischen 1924 und 1934 den grafisch-programmatischen Auftritt der
Kestnergesellschaft. Und natürlich ist auch das Kabinett der Abstrakten,
diese Inkunabel der Moderne, die El Lissitzky 1927 im Provinzialmuseum
Hannover realisierte, seit Februar neuerlich zu bewundern: im
Sprengelmuseum, rekonstruiert nach aktuellsten Erkenntnissen der Forschung.
Nun bündelt das Museum nochmals diese und weitere, auch unbekanntere
Facetten in einer großen Ausstellung. Und um es gleich vorwegzunehmen: es
hat dabei eine so umfassende Aufarbeitung geleistet, die selbst eine mit
der Materie grundvertraute Niedersächsin zum Staunen bringt. Mit 335 Werken
von 96 Künstlern lässt das Haus eine quicklebendige Zeit neu aufziehen, der
dicke Katalog mit 26 Beiträgen liefert ein Standardwerk zur Kunst und
Kulturgeschichte der Weimarer Republik, weit über Hannover hinaus.
## Aus Revon ins Exil
„Der Unterschied zwischen Hannover und Anna Blume ist, dass man Anna von
hinten nach vorn lesen kann, Hannover dagegen am besten nur von vorne.
Liest man aber Hannover von hinten, er ergibt sich die Zusammenstellung
dreier Worte: 're von nah’. (…) Dann ergibt sich als Übersetzung des Wortes
Hannover von hinten: 'Rückwärts nach nah’. Und das stimmt insofern, als
dann die Übersetzung des Wortes Hannover von vorne ergeben würde: 'Vorwärts
nach weit’. Das heißt also: Hannover strebt vorwärts und zwar ins
Unermessliche.“
So schrieb Kurt Schwitters 1920 in Herwarth Waldens Berliner Literatur- und
Kunstzeitschrift Der Sturm über seine, von ihm Revon genannte, Heimatstadt.
Das war allerdings gehöriger Zweckoptimismus, denn Hannover hatte sein
konservativ spießiges Kulturklima noch lange nicht überwunden. Zwar traute
sich ein lokaler Zigaretten-Hersteller bereits seit 1913, unter dem
skurrilen Namen Revonnah zu produzieren, das im selben Jahr fertiggestellte
Neue Rathaus war jedoch von altbacken historistischem Protz, der 1832
gegründete Kunstverein im Traditionellen stecken geblieben.
So richtig schien man in Hannover, das dank günstiger Standortfaktoren im
19. Jahrhundert in die erste Liga deutscher Industriestädte aufgestiegen
war, nicht der eigenen Stärke und Bedeutung zu trauen, fühlte sich
vielleicht auch zu sehr im Schatten Berlins.
Es bedurfte einer Folge heute kaum erklärbarer Koinzidenzen, bis aus
Hannover ein Zentrum der progressiven Kunst und Kultur Europas wurde und
der großbürgerliche Freidenker Kurt Schwitters sein internationales
Netzwerk entfalten und dessen Protagonisten nach Hannover holen konnte. Da
wäre Schwitters' künstlerischer Durchbruch zu nennen, 1919 in Waldens
gleichnamiger Galerie mit seinen Merz genannten provokanten Assemblagen:
Materialbilder aus Druckerzeugnissen, Abfall und Gemaltem. In Hannover
sorgte wenig später sein Nonsensgedicht „An Anna Blume“, direkt neben
Plakate zum Reichstagswahlkampf geklebt, für einen werbewirksamen lokalen
Skandal.
## Ein neues Klima
Da ist der Dienstantritt des Kunsthistorikers Alexander Dorner im Sommer
1919 am Provinzialmuseum, das er aus seinem konservativen Dämmerschlaf
holte, womit er sich selbst zum Ahnherrn des modernen Kuratierens machte.
Da ist der ebenso rührige wie eigensinnige Sammler und kurzzeitige Galerist
Herbert von Garvens, die Künstlerin, Mäzenin und Netzwerkerin Käte
Steinitz, da sind erstaunlich viele eigenständige, neusachliche Malerinnen:
Grete Jürgens, Gerta Overbeck, Martel Schwichtenberg oder Leni
Zimmermann-Heitmüller.
Da sind Sammlerfamilien wie Bahlsen und Beindorff, aber auch ein
Gymnasiallehrer wie August Nitzschner, der über 4.000 Gemälde von der
Dürer-Zeit bis in die Gegenwart sammelte und der Stadt vermachte. Sie
sorgten für ein neues geistiges Klima und bestellten gemeinsam mit vielen
anderen ein kulturelles Feld, auf dem sich nun auch die internationale
Avantgarde gern und häufig einfand.
So kam 1922 der russische Konstruktivist El Lissitzky erstmals nach
Hannover, auf Initiative von Schwitters eingeladen zu einer Ausstellung in
der Kestnergesellschaft. Der ausgebildete Architekt brachte neue Ideen zum
Raum und seiner dynamischen Wahrnehmung mit, der Niederländer Theo van
Doesburg, Mitbegründer des abstrakten De Stijls, kam zu Besuch. Es folgten
Ausstellungen mit Wassily Kandinsky, Hans Arp, Paul Klee.
In den Inflationsjahren ab 1923 übernahm Alexander Dorner zusätzlich die
künstlerische Leitung der Kestnergesellschaft, holte Protagonisten des
Bauhauses nach Hannover, widmete der in Weimar zunehmend in politische
Bedrängnis geratenden Institution 1924 eine Ausstellung. Er erweiterte die
Betrachtung auf Architektur, Kunsthandwerk, Fotografie und Film, pflegte im
Provinzialmuseum mutige Ankäufe und konzeptionelle Aufträge.
Dazu gehören das Kabinett von El Lissitzky, ein weiterer Experimentalraum
war mit dem zeitweiligen Bauhauslehrer und frühen Medienkünstler László
Moholy-Nagy geplant: der „Raum der Gegenwart“. Im Anschluss an das Kabinett
sollte er Architektur, Design und Film einen Auftritt bereiten, mit
Lichteffekten, Projektionen und modernen Reproduktionstechniken. Um 1930
konzipiert und damit schon im Visier des erstarkenden Nationalsozialismus,
zerschlug sich dieses Experiment.
Und auch der unermüdliche Schwitters hatte da bereits in die innere
Emigration gefunden, ließ in seinen Wohnräumen den Merzbau wuchern, seine
„Kathedrale des erotischen Elends“. Mit Fotos dieser Raumschöpfung stellte
er im New Yorker Moma sein Revon noch einmal ins internationale Rampenlicht
– just als er in Hannover die Koffer fürs Exil packen musste.
„Revonnah. Kunst der Avantgarde in Hannover 1912–1933“: bis 7. Januar 201…
Hannover, Sprengel-Museum
17 Oct 2017
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
Moderne Kunst
Hannover
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