| # taz.de -- Aktivistin über feministische Pornos: „Gucken alleine macht es n… | |
| > Am Samstag wird in Berlin der „PorYes Award“ für den besten | |
| > feministischen Porno verliehen. Laura Méritt über Public Viewing, | |
| > Fairness und Mainstream-Bilder. | |
| Bild: Die Regisseurin Miss Naughty ist nominiert | |
| taz: Frau Méritt, wer einen feministischen Porno gucken will, hat zumindest | |
| in Berlin eine große Auswahl: Es gibt Public Viewings in Kneipen, mit Bier | |
| und Elektromusik, es gibt Open-Air-Screenings und das feministische | |
| Pornofilm-Festival. | |
| Laura Méritt: Ja, das stimmt, das Angebot ist auf jeden Fall mehr geworden. | |
| Das ist toll. | |
| Aber wo bleibt die politische Botschaft? Ist das nicht nur Lifestyle? | |
| Das kann ja auch in Ordnung sein. Ich freue mich über jeden gezeigten Film, | |
| der anders ist als der Mainstream. Genau wie ich mich über | |
| Feminismus-T-Shirts auf der Straße freue. | |
| Selbst wenn es eines von Dolce & Gabbana ist? | |
| Ja, tatsächlich. (lacht) | |
| Was bleibt bei so einem Public Viewing eigentlich hängen? | |
| Zuerst mal haben die Leute einen schönen Abend. Aber nur das Gucken allein | |
| macht es nicht aus. Noch besser wäre, wenn die Leute sich hinterher | |
| austauschen. Viele sind es leider nicht gewohnt, in einen positiven | |
| Austausch über Sexualität zu treten. Deswegen zeigen wir hier in meinem | |
| Salon regelmäßig Filme und moderieren das. Dann kann man den Leuten auch | |
| Informationen zur Entstehung und zum Hintergrund geben und mit den Leuten | |
| über ihre eigenen Voraussetzungen und Gedanken sprechen. Und diskutieren, | |
| was daran feministisch ist. Wir alle haben ja bestimmte Wahrnehmungen | |
| gelernt, da muss man erst mal dran arbeiten. | |
| Also sollte man feministischen Porno lieber mit Freund*innen auf der Couch | |
| gucken als mit dem Vibrator im Bett? | |
| Man sollte ihn immer dann gucken, wenn man Lust hat. Ich finde es in der | |
| Gruppe total schön, weil ich mich austauschen und andere Perspektiven | |
| aufgezeigt bekommen kann. Du kannst auch alleine oder mit deinen | |
| Partner*innen Porno gucken und dabei zum Beispiel eigene Wünsche entwickeln | |
| oder formulieren lernen. Du kannst auch mit Freund*innen gucken und über | |
| die Filme reden – und dann angeregt nach Hause gehen und Spaß haben. Es ist | |
| Quatsch, zu glauben, Reden mache die Lust kaputt – Reden ist Teil von | |
| Sexualität! | |
| Was ist eigentlich ein feministischer Porno? Inwieweit unterscheidet er | |
| sich von Durchschnitts-Pornografie? | |
| Die drei Kriterien von feministischem Porno sind: Vielfalt, Konsens und | |
| Fairness. Vielfalt bedeutet, dass wir die Lust von allen Beteiligten sehen | |
| wollen, anders als im Mainstream. Wir wollen, dass verschiedene Körper zu | |
| sehen sind, verschiedene Altersgruppen, People of Color, alle diese | |
| Kriterien, die im Laufe der Jahrzehnte entwickelt wurden. Natürlich muss | |
| das nicht alles in einem Film sein. Es sollen keine Stereotype als Norm | |
| verkauft werden. Konsens bezieht sich zum einen auf die | |
| Produktionsbedingungen; alle Beteiligten sprechen ab, was sie machen wollen | |
| und was nicht. Und auch im Film haben die Leute mehr Kontakt, mit den | |
| Körpern, mit den Augen, sie sprechen miteinander. „Willst du noch“, oder: | |
| „Willst du das mal probieren?“ Alles Dinge eben, die wir uns in unserem | |
| realen Sexleben auch wünschen. Fairporn heißt, dass die Arbeitsbedingungen | |
| gut sind und die Verträge fair. Das sind aber nicht nur gute Kriterien für | |
| Porno – sondern fürs ganze Leben. | |
| Seit 2009 verleihen Sie alle zwei Jahre den „PorYes Award“ und zeichnen | |
| feministischen Porno aus. Warum? | |
| Weil klar ist, dass die Leute was anderes sehen wollen als den | |
| Mainstream-Porno. Seit Jahren zeichnet sich dieser Paradigmenwechsel ab: | |
| Die Leute wollen sehen, wie Leute wie du und ich miteinander Sex haben. | |
| Dass sie miteinander reden, dass sie Safer Sex haben, dass sie Spaß haben – | |
| all die Dinge, die man im Mainstream-Porno eben nicht sieht. | |
| Sondern? | |
| Mainstream-Porno sieht ja immer stark nach Leistungssport aus. Das siehst | |
| du schon an den Gesichtern der Menschen; die sind sehr, sehr angestrengt | |
| (lacht). Die Darsteller müssen dem hinterherjagen, was als sichtbarer | |
| Orgasmus dargestellt wird: dem männlichen Samenerguss. Und die Frau muss | |
| ihn bedienen. Die klassische Choreografie ist blasen, ficken, spritzen. Und | |
| zwar ins Gesicht der Frau. Wenn das alles ist, was Sex ausmachen soll, dann | |
| ist das wirklich grausam. Und zwar für alle. | |
| Nicht vor allem für die Frauen? | |
| Natürlich für die Frau, deren sexuelle Lust kommt so ungefähr gar nicht | |
| vor. Ich würde aber sagen, den Männern geht es auch nicht so viel besser. | |
| Mainstream-Porno zeigt ja eine sehr reduzierte Variante von männlicher | |
| Sexualität. Ich würde sogar in Frage stellen, dass es überhaupt eine | |
| gegenderte Sexualität gibt. Aber die Gender sind im Mainstream nun mal sehr | |
| normiert und stilisiert. Alle anderen, die da nicht reinpassen, werden in | |
| die Kategorie „Pervers“ oder so eingegliedert … harte Frauen, alte Weiber, | |
| Muttis, spritzende Frauen. Letztlich ist das nicht nur falsch, sondern auch | |
| old-fashioned – denn ich würde sagen, viele Leute sind schon woanders. | |
| Nun reden wir hier über die hippe Berliner Blase. Welches Potenzial hat | |
| feministischer Porno darüber hinaus? | |
| Ein ganz schön großes, würde ich sagen. Der Mainstream hat unsere Ideen ja | |
| schon längst aufgegriffen. Es gibt den sogenannten „alternativen“ oder | |
| „authentic porn“. Klar sind das auch hochindustrielle und normierte | |
| Produktionen – die Frau bedient immer noch den Mann, und der spritzt und | |
| fickt dann in alle Löcher. Aber ein bisschen anders sind sie trotzdem. Die | |
| Branche beobachtet ganz genau, was wir machen und welche Labels gut gehen … | |
| „Frauenporn“ oder „Female Friendly“ gibt es inzwischen in fast jedem | |
| Verleih. Und dann sehen wir natürlich, wie viel Zulauf wir selber bekommen. | |
| Was bringt es, wenn unter dem Label „Female Friendly“ etwas verkauft wird, | |
| was euren Kriterien nicht entspricht? | |
| Wir reden hier ja von Veränderungen, die einfach Zeit brauchen. Die | |
| Sex-Industrie hat sich ja schon drastisch geändert. Ich hatte vor 20 Jahren | |
| den ersten feministischen Sexshop Deutschlands. Damals hat jeder große | |
| Handel, von Beate Uhse bis Orion, gesagt, Frauen seien überhaupt keine | |
| Zielgruppe. Wir haben das damals erst aufgebaut, das Wort Sex-Toy oder | |
| Dildo ist durch uns in die Welt gekommen. Das gab es früher nicht. Deswegen | |
| ist mir auch die Sprache so wichtig. Guck dir mal an, was heute für eine | |
| hohe Qualität an Spielzeugen präsentiert wird. Das sind 20 Jahre – mit | |
| Porno sind wir erst seit 10 Jahren dabei. Das dauert nicht mehr lange. Wenn | |
| die Industrie Frauen und andere, die der Mainstream-Porn nicht anspricht, | |
| als Zielgruppe erkennt – dann geht das zack, zack. | |
| Gibt es bald „Feminist Porn“ als Kategorie auf Portalen wie YouPorn oder | |
| PornHub? | |
| Das kann schon sein. An sich ist feministischer Porno ja keine Kategorie. | |
| Wir haben Kriterien. Trotzdem kann so eine Einordnung am Anfang sinnvoll | |
| sein, um sich vom Mainstream abzugrenzen und Leuten die Orientierung zu | |
| erleichtern. Prinzipiell würden wir es lieber sehen, dass unsere Kriterien | |
| überall durchsickern. Aber das ist ein Prozess, und der dauert halt. Aber | |
| es passiert ja was, Themen wie BDSM, Fetisch oder überhaupt Pornografie | |
| sind viel präsenter – sei es in „50 Shades of Grey“ oder im „Tatort“… | |
| kann man immer noch Kritik daran üben, wie es umgesetzt wird – aber das | |
| Thema sickert durch, und die Leute setzen sich damit auseinander. | |
| Was ist, wenn jemand sagt: Ich will aber keinen Porno mit dicken Menschen | |
| oder mit Fesselspielen sehen? | |
| Prinzipiell kannst du das einfach so sagen. Wir verbieten ja nichts. Wir | |
| wollen nur zeigen, dass es Alternativen gibt. Es gibt Angebote; wenn du das | |
| nicht möchtest, musst du nicht. Es geht auch nicht darum, zu sagen, dass | |
| jemand kleinkariert ist, wenn er nur Dünne sehen will. Das ist genau die | |
| Beschämungskultur, die wir ablehnen. Niemand wird zu irgendwas gezwungen. | |
| 20 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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