# taz.de -- Prävention gegen Salafismus und Terror: Unter besonderer Beobachtu… | |
> Debatten im Klassenzimmer, Seelsorge im Gefängnis: Wie der Freistaat | |
> Bayern versucht, Islamisten ihre Anhänger abspenstig zu machen. | |
Bild: Gefängnis in Straubing: Seelsorge für Muslime notwendig | |
MÜNCHEN taz Auf einem Tisch liegen zwei große Blätter Papier. Auf einem | |
davon prangt in der Mitte der handgeschriebene Satz: „Der Islam ist ein | |
Teil von Deutschland“. Daneben sind Kommentare zu lesen, geschrieben von | |
Schülerhänden. „Das gilt für jede Religion“ steht da; ein andere lautet | |
„Kopftuch tragen!“, jemand hat darauf gekontert: „Das gab’s im Christen… | |
auch!“ Einige der Anmerkungen verweisen mit Pfeilen aufeinander. Man merkt: | |
Da ist es in der Diskussion hoch hergegangen. | |
Der Seminarraum befindet sich in Augsburg und gehört zu Ufuq. Das ist | |
Arabisch und bedeutet Horizont. Die Fachstelle berät bundesweit | |
Bildungseinrichtungen zu den Themen Islam, Islamfeindlichkeit und | |
Islamismus. Seit zwei Jahren gibt es die Zweigstelle in Augsburg. | |
„Diese Übung heißt Gallery Walk“, erklärt Irmtraud Eckart, | |
Projektkoordinatorin bei ufuq.de. Sie erklärt ihr Projekt so: „Die Idee | |
ist: Wir reißen gesellschaftliche Themen an, die die Schüler debattieren | |
sollen.“ Gallery Walk ist nur eine von vielen Übungen, die Kinder und | |
Jugendliche dazu ermuntern, in der Gruppe zu diskutieren, über Religion und | |
Demokratie, Scharia und Grundgesetz, Meinungsfreiheit und -pluralismus, | |
Geschlechterrollen und Identität. Debatten, für die im Schulunterricht oft | |
die Zeit und auch das Klima fehlen. | |
## Das Ziel: Den Islamisten nicht auf den Leim gehen | |
„Wir belehren oder berichtigen die jungen Menschen nicht“, sagt die | |
Islamwissenschaftlerin Eckart. „Sondern wir fragen sie: Wie wollen wir | |
leben?“ Wie genial einfach diese Frage ist, zeige sich dann, wenn | |
Jugendliche provokante Standpunkte vertreten und vor der Klasse erklären | |
sollen, was diese Position für sie und andere Menschen im konkreten Alltag | |
eigentlich bedeute. „Wir bringen sie damit zu eigenständigem Denken und | |
wappnen sie so am ehesten dagegen, den einfache Weltbildern des Salafismus | |
auf den Leim zu gehen“, sagt Eckart. | |
In den Diskussionen erlebten die Schüler, dass vielfältige Meinungen sehr | |
wohl nebeneinander bestehen könnten. „Und Vielfalt ist Ideologen ein | |
Graus“, erklärt Eckart. Bewusst werden in den Workshops auch | |
Diskriminierungen aufgegriffen, die Muslime oft erführen. „Wir stilisieren | |
sie dabei nicht als Opfer“, stellt Eckart klar. „Sondern wir überlegen mit | |
ihnen, wie sie sich aktiv in die Gesellschaft einbringen könnten, ob | |
religiös oder nicht.“ Salafisten machten das Gegenteil, sie | |
instrumentalisierten die Ausgrenzungserfahrungen von Menschen, um diese von | |
der Gesellschaft abzuspalten. | |
Die politische Bildungsarbeit von Ufuq ist seit 2015 fester Bestandteil der | |
bayerischen Handlungsstrategie gegen den Salafismus. Im Freistaat leben | |
laut Landesamt für Verfassungsschutz rund 670 Salafisten, davon gelten 20 | |
Prozent als gewaltorientiert. Um gegen diese demokratiefeindliche | |
Ideologie vorzugehen, hat die Staatsregierung vor zwei Jahren das | |
Bayerische Netzwerk für Prävention und Deradikalisierung gegen Salafismus | |
gewoben. Dazu gehören alle Ministerien sowie der Verfassungsschutz und das | |
junge Kompetenzzentrum für Deradikalisierung, das beim bayerischen | |
Landeskriminalamt angesiedelt ist. | |
Das Besondere ist, dass in das Netzwerk auch zivilgesellschaftliche Träger | |
eingebunden sind, deren Mitarbeiter in Schulen, Jugendeinrichtungen, | |
Familien oder Flüchtlingsunterkünfte gehen, um dort Menschen anzusprechen, | |
die Opfer salafistischer Gehirnwäsche werden könnten oder bereits | |
radikalisiert worden sind. | |
## Bundesweit einzigartiges Projekt | |
„Dass staatliche und nicht-staatliche Institutionen dabei so auf Augenhöhe | |
miteinander arbeiten, ist bundesweit einzigartig“, sagt Martin Scholtysik | |
vom Innenministerium. „Alle Ressorts tauschen sich regelmäßig aus, zugleich | |
sind die beiden Aufgaben Prävention und Deradikalisierung klar voneinander | |
getrennt.“ So eilt ufuq.de, das ans Sozialministerium angebunden ist, nicht | |
herbei, wenn sich Lehrer oder Eltern Sorgen um einzelne SchülerInnen | |
machen. | |
„Wir sind keine Feuerwehr“, erklärt Irmtraud Eckart. „Wir machen | |
Frühprävention, lange bevor Radikalisierung einsetzen könnte.“ Fallen | |
Schüler hingegen durch radikale Äußerungen oder sozialen Rückzug auf, dann | |
können bayernweit 16 Regionalbeauftragte der Schulberatungsstellen | |
angesprochen werden. Diese unterstehen wiederum dem Kultusministerium. | |
Insgesamt wendet der bayerische Staat für den Kampf gegen den Salafismus im | |
Doppelhaushalt 2017/2018 rund drei Millionen Euro auf. | |
Die Deradikalisierung jener Jugendlichen, die bereits in die salafistische | |
Szene abgerutscht sind, übernimmt im Netzwerk das Violence Prevention | |
Network (VPN), das auch in anderen Bundesländern aktiv ist. Vier | |
Sozialarbeiter gibt es in der bayerischen Zweigstelle, eine fünfte Kraft | |
kommt bald hinzu. „Sie sollen sich gezielt um die Gruppe der Flüchtlinge | |
kümmern, in der Salafisten gerne nach Opfern fischen“, so Thomas Mücke, | |
Geschäftsführer des VPN. Im Freistaat ist die Arbeit dieser Streetworker – | |
wieder eine Besonderheit – in das ebenfalls noch junge Kompetenzzentrum für | |
Deradikalisierung eingegliedert. Dieses beim Landeskriminalamt angesiedelte | |
Zentrum koordiniert die Präventionsarbeit in ganz Bayern und bezieht seine | |
Mittel vom Innenministerium. „Durch diese Kooperation bekommen wir viele | |
Fälle aus dem Polizeibericht“, sagt Mücke. „Die Lage ist nicht gravierend… | |
als anderswo, aber es fällt auf, dass wir mehr radikalisierte Konvertiten | |
aus christlichen Familien antreffen.“ Und die Mitarbeiter seien viel | |
unterwegs, „denn Radikalisierung findet nicht nur in Ballungsräumen statt, | |
sondern auch auf dem Land“. Zwei Jahre dauere es ungefähr, einen | |
Indoktrinierten aus der Szene zu holen. „Aber wir schaffen es fast immer.“ | |
Elektronische Fußfessel für islamistische Gefährder, Abschiebehaft und | |
schnelle Ausweisungen: Die Diskussionen dazu haben in jüngster Zeit die | |
Frage nach Prävention und Deradikalisierung in Gefängnissen überdeckt. | |
Dabei ist islamistischen Terroristen oft ein Punkt gemeinsam: Sie haben | |
ursprünglich als Kleinkriminelle Karriere gemacht und sich erst im | |
Justizvollzug radikalisiert – durch Mithäftlinge oder Hassprediger, die | |
unter dem Deckmantel der Seelsorge und des Freitagsgebets Zugang bekamen. | |
Auch bei dem Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, der in | |
Italien eingesessen hat, war dies der Fall. | |
## Prävention in der Haft | |
Unabhängig vom Salafismus steigt die Zahl der muslimischen Häftlinge in | |
bayerischen wie in deutschen Gefängnissen – einfach, weil die Zahl der | |
Muslime in der Gesamtgesellschaft zunimmt. 86 Häftlinge in bayerischen | |
Gefängnissen stehen auf Grund islamistischer Bezüge unter besonderer | |
Beobachtung. Sie sollen nicht noch Rekruten bekommen. „Polizei, Gerichte, | |
Verfassungsschutz arbeiten daher eng mit den Justizvollzugsanstalten | |
zusammen“, sagt Thomas Pfeiffer, Sprecher des Justizministeriums. „Aber | |
natürlich entsteht der beste Schutz für die Allgemeinheit durch | |
Resozialisierung.“ Die bieten diverse Therapien, Schul- und | |
Berufsausbildungen, Deradikalisierungs- und Ausstiegsprogramme. Zudem ist | |
seit 2016 in bayerischen Vollzugsanstalten auch das Violence Prevention | |
Network aktiv. Eine neu geschaffene zentrale Koordinierungsstelle für | |
Maßnahmen gegen Salafismus im Justizvollzug, geleitet von einer | |
Islamwissenschaftlerin, verknüpft die verschiedenen Schritte miteinander | |
und hat dafür 500.000 Euro zur Verfügung. | |
Seit 2016 setzt die Staatsregierung verstärkt auf einen Aspekt der | |
Prävention, auf den die bayerische Opposition schon lange drängt: die | |
geistliche und religiöse Begleitung von muslimischen Häftlingen. „Die | |
Wichtigkeit der Seelsorge als Vorbeugung ist erst so richtig in den Fokus | |
geraten, seitdem der IS als Ziel Europa anvisiert und die Verhältnisse in | |
der Türkei gekippt sind“, sagt Florian Herrmann (CSU), der den Ausschusses | |
für Innere Sicherheit in der Landtagsfraktion leitet. | |
Bislang gibt es rund 34 Ehrenamtliche, meist Imame oder Hodschas, die | |
bayernweit in 23 Anstalten Häftlinge besuchen. Sie sind aber teilweise auf | |
Übersetzer angewiesen. | |
Dass wird in Zukunft nicht ausreichen. Daher hat 2016 das Justizministerium | |
200.000 Euro in den Ausbau seelsorgerischer Angebote für muslimische | |
Gefangene investiert. Eine Schlüsselrolle hat dabei MUSA, die Muslimische | |
Seelsorge Augsburg, die unabhängig von muslimischen Vereinen oder | |
Moscheegemeinschaften ist und von der Stadt Augsburg finanziert wird. MUSA | |
bildet ehrenamtliche Seelsorger mit einer anderthalbjährigen Qualifizierung | |
aus, zu der auch Unterricht in Psychologie und Gesprächsführung gehört. Das | |
alles auf Deutsch. Die Ehrenamtlichen besuchen dann Menschen in | |
Krankenhäusern, Pflegeheimen oder eben Gefängnissen. Drei | |
Justizvollzugsanstalten – Aichach, Augsburg-Gablingen und Landsberg am Lech | |
– erproben bereits der Einsatz dieser neuen Seelsorger. | |
## Gegen das Verlorensein | |
Entwickelt hat das Konzept die Augsburger Psychotherapeutin Nurdan Kaya. | |
„Es geht dabei nicht darum, ideologisch Verdächtige aufzuspüren“, betont | |
sie. „Sondern darum, dass Muslime in einer solchen Lebenskrise spirituelle | |
Unterstützung und Begegnung erfahren. Denn Haft bedeutet viel Alleinsein | |
und Verlorenheit.“ | |
Der gemeinsame kulturelle und religiöse Hintergrund mache die Seelsorger | |
für die Inhaftierten authentisch. „Mit ihnen können sie Perspektiven für | |
eine gelingende Zukunft entwickeln.“ Das helfe auch solchen, die Gefahr | |
laufen, auf salafistische Versprechungen und Rache-Ideen hereinzufallen. | |
21 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Margarete Moulin | |
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