# taz.de -- Kommentar Tag der Deutschen Einheit: Ideologie der Spaltung | |
> Warum die Einheit feiern, wenn alle Statistiken der Ungleichheit noch die | |
> DDR-Grenze zeigen? Nationalistische Feierei lenkt nur ab. | |
Bild: Düstere Aussicht | |
Am 3. Oktober gibt es wenig zu feiern. | |
Es ist Tag der Deutschen Einheit, aber die Einheit gibt es nicht: In fast | |
jeder Statistik der Ungleichheit sind die alten Grenzen der DDR sichtbar. | |
In Ostdeutschland [1][ist die Arbeitslosenquote deutlich höher], der Anteil | |
an [2][Kindern in Hartz-IV-Haushalten] ist höher und [3][alten Menschen | |
droht häufiger Armut]. Die [4][Haushaltseinkommen sind niedriger], und | |
[5][die Vermögen der Haushalte sind niedriger]. Und für die Zukunft sieht | |
es nicht besser aus: Die Zahl der [6][Schulabgänger ohne Abschluss] ist im | |
Osten höher. | |
Statt den Wirtschaftswunder-Kapitalismus des Westens bekam der Osten | |
[7][reinste neoliberale „Schock-Strategie“] zu spüren. Die neuen | |
bundesdeutschen Bürger erhielten ein läppisches Begrüßungsgeld, die | |
Volkseigenen Betriebe wurden aber verscherbelt und ehemalige DDR-Bürger | |
nicht an den Erlösen beteiligt. Billionen wurden in den „Aufbau Ost“ | |
gesteckt, doch [8][das meiste Geld floss an Westfirmen zurück]. Während in | |
Ostdeutschland heute die Arbeitslosigkeit weit verbreitet ist, war die | |
ehemalige DDR eine [9][Arbeitsbeschaffungsmaßname für Westler], die es im | |
Westen offenbar nicht geschafft hatten. | |
Die nationalistische Feierei übertüncht diese Ungleichheit und die | |
Tatsache, dass es in Deutschland in 27 Jahren weder eine ausreichende | |
Umverteilungspolitik noch ausreichende Chancengleichheit gegeben hat, um | |
die Unterschiede zwischen den zwei Landesteilen aufzuheben. Was wird dann | |
gefeiert? Dass Kapitalisten Zugriff auf die Ressourcen des Ostens bekamen? | |
Dass sich für sie ein neuer Markt erschloss? Dass die Ostler weiter in | |
relativer Armut leben dürfen, wenn auch etwas weniger? Dass es jetzt | |
überall Bananen gibt? | |
## Nationalismus trennt nur noch mehr | |
Nationalismus ist eine Ideologie der oberflächlichen Gleichmacherei, die | |
ein tatsächliches „weiter so“ bedeutet und deshalb eigentlich eine | |
Ideologie der Spaltung ist. Die Ungleichheit braucht den Nationalismus: Für | |
die ökonomische Ausbeutung wird man symbolisch belohnt. Wen kümmert es, das | |
letzte Hemd zu verlieren, wenn man dafür einen Schwarz-Rot-Goldenen Fetzen | |
bekommt? | |
Offenbar wenige: Denn nun, heißt es, hätten sich viele [10][Ostdeutsche an | |
den ausbeutenden und herablassenden Westeliten gerächt], indem sie die AfD | |
wählten. Wer aber aus Armut die AfD wählte, hat sich ins eigene Knie | |
geschossen, denn der Nationalismus trennt auch, was nicht unterschiedlich | |
ist. Eine Stimme für die AfD ist auch eine Stimme für Gewalt gegen | |
Geflüchtete, Geflüchtete allerdings wären Verbündete im Kampf gegen die | |
Ausbeutung. Die Kriege und Verwahrlosung, vor denen viele fliehen, sind | |
nicht selten ebenfalls Folgen der Ausbeutung und ihre prekäre Lage | |
hierzulande, [11][liefert sie nur noch einmal aus]. | |
Die AfD ist der nationalistische Beschiss in Reinform: Die rechte Partei | |
will privatisieren, was das Zeug hält, und zugleich den Wohlfahrtsstaat | |
abbauen. Wer nicht vermögend geboren wurde, wird auch nicht mehr das Recht | |
auf staatliche Fürsorge haben. Als Entschädigung darf man sich dann über | |
die angeborene Hautfarbe freuen und darauf, dass Goethe vor 200 Jahren hier | |
dichtete. Kein Wunder, dass AfDler gerne noch [12][andere „Leistungen“ | |
herausstellen] und [13][Schanden verschweigen] wollen. | |
27 Jahre sind vergangen, und der Wille zum Nationalismus zieht in den | |
Bundestag ein. An diesem 3. Oktober gibt es wenig zu feiern, sondern viel | |
zu tun. Und vor allem: viel nachzuholen. | |
3 Oct 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/arbeitslosigkeit-in-deutschland-neues… | |
[2] https://www.tagesschau.de/inland/kinderarmut-deutschland-101.html | |
[3] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/rente-ver-di-warnt-vor-millionenf… | |
[4] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/ungleichheit-wo-deutschland-stark… | |
[5] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ungleiche-verteilung-die-vermoegensma… | |
[6] http://www.brandeinslab.de/schulabgaenger-ohne-abschluss-interaktive-karte/ | |
[7] /!5430029/ | |
[8] http://www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/recherche-aufbau-ost-war-aufsc… | |
[9] http://www.spiegel.de/karriere/studie-ueber-ostdeutschland-wenige-ostdeutsc… | |
[10] /!5447829/ | |
[11] http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-10/fluechtlinge-ausbeutung | |
[12] /!5447579/ | |
[13] /!5372797/ | |
## AUTOREN | |
Lalon Sander | |
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