# taz.de -- Kolumne Herbstzeitlos: Vier Hochzeiten, kein Todesfall | |
> Unser Autor war schon längst wieder geschieden, als noch alle über die | |
> Öffnung der Ehe sprachen. Warum die Ehe für Alle trotzdem wichtig ist. | |
Bild: War die Scheidung eigentlich eine richtige Scheidung oder doch bloß eine… | |
Jedes Mal, wenn es um die Öffnung der Ehe für Homosexuelle ging in den | |
letzten Jahren – gefühlt waren es Jahrzehnte –, habe ich den gleichen | |
Spruch gebracht: Die reden immer noch über die Öffnung der Ehe, während ich | |
schon längst wieder geschieden bin. Ha, ha! Dabei war ich nur „eingetragen | |
lebensverpartnert“, aber viel Glück hatte ich in meinem Leben bislang nicht | |
mit der Ehe, wenn man davon absieht, dass mein Steuerberater den Ehrgeiz | |
hatte, einiges für mich herauszuholen dank des Ehegattensplittings. Wobei | |
„einiges“ in meinem Fall auch schon wieder unter „Ha, ha!“ fällt. | |
Hochzeiten. Bei der Heirat meines ersten Bruders war ich pubertierend und | |
es war kein Spaß für alle Beteiligten; es gab Buttercremetorte und ich | |
fragte mich, was es bei meiner Hochzeit mal zu essen geben würde. | |
Bei der Heirat meines zweiten Bruders forderte die Standesbeamtin ein, dass | |
auch ja die ehelichen Pflichten vollzogen werden müssten. Was sie damals | |
dazu bewogen hat, weiß ich nicht. Hatte sie aufgrund des | |
Migrationshintergrundes meiner Schwägerin Bedenken, dass es sich um eine | |
Scheinehe handeln könnte? Wahrscheinlich war es genau so. Die | |
Standesbeamtin, so erzählte mir meine Mutter, ist heute bei der AfD. Zu | |
essen gab es, glaube ich, Spanferkel – und mir dämmerte, dass es bei mir | |
womöglich gar keine Hochzeit geben könnte. | |
Das kam dann anders, hieß aber ja auch anders. Die „Eingetragene | |
Lebenspartnerschaft“ ging ich in einem ehemaligen Neuköllner Krankenhaus | |
ein, in der Krankenhauskapelle, die zum Trauzimmer umgewidmet worden war. | |
Keine Ahnung, was die Standesbeamtin heute wählt, aber sie sah original aus | |
wie Evelyn Hamann. Wir hatten die „Eingetragene Lebenspartnerschaft“ ohne | |
Musikbegleitung gebucht, denn die hätte 20 Euro extra gekostet. Aus | |
heutiger Sicht wäre es natürlich interessant zu wissen, welche Hits Evelyn | |
mit Hilfe des alten Technics-Stereoturms für uns abgefeuert hätte. | |
## Mehr Pflichten als Rechte | |
Ich weiß nicht mehr, was es zu essen gab. Aber wir hatten Champagner im | |
Garten getrunken, zusammen mit Freunden. Es gab eine weiße Tischdecke, | |
womöglich war Spätsommer. Wir hatten „geheiratet“, weil wir es konnten – | |
auch wenn uns von der Union ganz bewusst eine tatsächliche | |
Gleichberechtigung vorenthalten worden war. In unserem Freundes- und | |
Bekanntenkreise waren wir die Einzigen, die eine solche Partnerschaft | |
eingegangen waren. Warum sollte man sich mehr Pflichten als Rechte | |
aufladen? | |
Das nächste Mal getanzt auf einer Hochzeit habe ich dann, nachdem unsere | |
Ehe am Ende war. Meine Cousine hatte auf einer Burg hoch oben über dem | |
Rhein gefeiert und ich tanzte den ganzen Abend mit mir alleine. Um | |
Mitternacht gab es ein Feuerwerk, und auch danach tanzte ich weiter. | |
Auch die Scheidung hatten wir dann ohne Musikprogramm gebucht – aber war | |
das dann eigentlich eine richtige Scheidung oder doch bloß eine | |
„ausgetragene Lebenspartnerschaft?“. | |
Jetzt also „Ehe für alle“, auch für mich und meine neue Liebe. Wenn wir | |
wollten. Wir können auch nicht wollen. Und genau das ist der Unterschied. | |
5 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
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