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# taz.de -- Retten wir die Welt?: Blick nach vorn im Zorn
> Die Wahl steht an und keiner liebt die Grünen. Dabei haben nur sie die
> Ideen, um das Schlimmste zu verhindern. Aber genau das ist das Problem.
Bild: Nur eine Blase? Grüne im Aufwind
„Wewlnheutinerschle“, sagt unser Jüngster beim Frühstück. Ja, bitte?
Vielleicht liegt es ja am Honig auf seinem Toastbrot, dass er die Zähne
nicht auseinanderbekommt. Er hebt den Kopf, seufzt und strengt sich für
seine hörgeschädigten Eltern extra an: „Wir wählen heute in der Schule.“
Aha. Wie es geht, weiß er: Erststimme, Zweitstimme, das haben sie gelernt.
Aber welche Partei wofür steht, davon ist bei unserem 13-jährigen Sohn
nicht viel hängen geblieben. Er überlegt. „Merkel ist CDU und die Grünen
sind die mit der Umwelt, oder?“
Immerhin. In der großen politischen Obdachlosigkeit sind das doch
wenigstens mal Koordinaten. Aber auch wenn Merkel eigentlich alles ist, nur
nicht CDU: Für die Grünen stimmt das schon, das mit der Umwelt. Und deshalb
ist das größte Rätsel dieser Wahl: Warum ist die Ökopartei nicht populär,
wenn alle meinen, Klima sei wichtig? Wenn der Dieselbeschiss so offen
zutage liegt und die Luft in den Städten nicht besser wird? Wenn Merkels
Ökobilanz seit zwölf Jahren finster aussieht? Müssen wirklich erst wieder
AKWs explodieren?
Vor vier Jahren haben sich die Grünen Zumutungen getraut und wurden
verprügelt. Diesmal haben sie weder Veggieday noch höhere Steuern gefordert
und sind auch nicht beliebter. Ich glaube, es liegt an einer strukturellen
Zumutung. Denn die Grünen sind die einzige Partei im Bundestag, die uns
konsequent an unser Scheitern erinnert. Sie kommen uns mit einem Blick nach
vorn im Zorn. Aus einem einfachen Grund: Ihr Programm hat seinen Fixpunkt
in der Zukunft. Alle anderen schauen auf die Gegenwart – wenn man Glück
hat. Wenn man Pech hat, wünschen sie sich in die Vergangenheit mit
Atomstrom und Müttern am Herd.
Die Grünen sagen: Wir müssen 2050 bei null Emissionen sein, deshalb müssen
wir jetzt Kohle und Verbrennungsmotor verbieten. Die anderen Parteien
sagen: Klimaziele, gut und schön, aber erst mal geht es um die Jobs bei den
Autobauern. Und es stimmt ja: Das Parlament wird für vier Jahre gewählt. In
dieser Zeit werden wir die Klimaziele nicht erreichen (sondern die für 2020
verfehlen, na gut, dann planen wir eben für 2030). Aber wir werden
vielleicht eine Menge Jobs in der Autobranche verlieren.
## Aufruf zum letzten Ökogefecht
Jetzt die Bienen schützen, um in 20 Jahren noch Äpfel bestäuben zu können?
Jetzt mal ganz ruhig hier. Wer da Unruhe verbreitet, den will man nicht an
der Macht. In der grünen Community zirkuliert derzeit eine Mail, um die
WählerInnen aufzurütteln: Die nächsten vier Jahre seien extrem wichtig, so
der Appell „Grün wählen!“. Über die Verkehrswende, den Kohleausstieg und
eine andere Verwendung der EU-Agrarmilliarden werde bald entschieden: „Es
bleiben nur noch wenige Jahre, um dramatische Veränderungen unseres Planten
abzuwenden“, heißt es.
Na und?, sagen sich so ziemlich 90 Prozent der Wahlberechtigten. Darum
kümmern wir uns später. Oder besser noch: Darum sollen sich die Grünen
kümmern. Aber nicht jetzt. Sondern irgendwann. Am besten, wenn es zu spät
ist.
Dieser Aufruf zum letzten Ökogefecht hat den guten alten
Weltuntergangssound. „Erst stirbt der Baum, dann stirbt der Mensch“,
„Gorleben ist überall“ und so. Im Zeitalter der ironischen Halbdistanz
klingt das blöd. Aber es wird mit jedem Tag wahrer. Und erst recht mit
jeder Legislaturperiode.
Die traurige Wahrheit ist: Keiner mag Leute, die uns ein schlechtes
Gewissen machen. Wir hassen auch die Waage, die uns sagt, dass wir abnehmen
sollten. Deshalb verhält sich die Mehrheit der Deutschen nach der Devise:
„Diäten fangen immer morgen an.“ Es sei denn, man ist Abgeordneter im
Parlament. Dann beginnt die Diät mit dem ersten Arbeitstag.
23 Sep 2017
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Zukunft
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Lesestück Meinung und Analyse
Serie „Zukunft Europas“
Prekäre Arbeit
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