| # taz.de -- Spannungen in Nigeria: Der König brüllt | |
| > Der ethnische Spaltpilz geht um, 50 Jahre nach dem mörderischen | |
| > Biafra-Krieg. Im multikulturellen Kaduna bereitet man sich vor. | |
| Bild: Mohammed Arigbabuwo, Yoruba-König in Kaduna | |
| Kaduna taz | Mohammed Arigbabuwo hat sich extra von seiner Frau den großen | |
| Umhang mit den eingewebten Glitzerfäden holen lassen. In seinem winzigen | |
| Empfangsraum thront er auf einem wackeligen Schreibtischstuhl. „Königliche | |
| Hoheit ist mein Titel“, sagt Arigbabuwo betont langsam und staatstragend, | |
| „und ich bin Vorsitzender des Rates der traditionellen Yoruba-Herrscher in | |
| den 19 Nordbundesstaaten Nigerias.“ | |
| Der König stammt eigentlich aus dem Bundesstaat Kwara, also aus Nigerias | |
| Süden. Doch in Nigeria ist es üblich, das die großen ethnischen Gruppen | |
| überall im Land Vertreter haben. Arigbabuwo ist vor mehr als 50 Jahren nach | |
| Kaduna gekommen und kann sich ein Leben anderswo nicht vorstellen. | |
| Die nordnigerianische Millionenstadt mit dem gleichnamigen Bundesstaat, | |
| wo es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu schweren politischen | |
| und religiösen Krisen gekommen ist, ist längst seine Heimat geworden. Wenn | |
| er darüber spricht, wird seine Stimme laut und durchdringend. „Wir leben | |
| hier alle noch immer friedlich zusammen“, brüllt Arigbabuwo. | |
| Seit Monaten schaukelt sich in Nigeria die gegenseitige ethnische | |
| Provokation immer weiter hoch. Im Südosten des Landes fordert die Bewegung | |
| „Indigenous People of Biafra“ (Ipob), der überwiegend Angehörige des | |
| Igbo-Volkes angehören, den Südosten Nigerias zu einem eigenen Staat zu | |
| machen, so wie vor fünfzig Jahren. | |
| Ipob-Anführer Nnamdi Kanu hetzt gegen die nigerianische Regierung, die | |
| seiner Ansicht nach vom Norden – dort sind die Haussa in der Mehrheit, die | |
| sich überwiegend zum Islam bekennen – dominiert wird: Präsident Muhammadu | |
| Buhari ist ein Nordnigerianer. Ipob gilt mittlerweile offiziell als | |
| Terrorgruppe, was Streit und Unruhe im Südosten sowie Hassbotschaften | |
| weiter anheizt. | |
| Absolut ruhig ist es auch im Norden nicht. Schon im Juni hat dort eine | |
| Koalition militanter Haussa-Gruppen um das „Arewa Youth Consultative Forum“ | |
| alle Igbos aufgerufen, den Norden Nigerias bis zum Unabhängigkeitstag 1. | |
| Oktober zu verlassen, sonst werde man sie umbringen. | |
| Die sogenannte „Quit Notice“ wird zwar kaum noch erwähnt, trotzdem bleibt | |
| ein ungutes Gefühl: mit solchen Drohungen begann 1967 die Biafra-Sezession | |
| und der nachfolgende Krieg zur Rückeroberung des abgespaltenen Landesteils, | |
| der drei Jahre dauerte und eine Million Tote forderte. | |
| ## Frust überall | |
| Frust gibt es nicht nur bei Biafra-Anhängern, auch in Kaduna, dem | |
| politischen Machtzentrum des Nordens. Wer Mohammed Arigbabuwos Wohnviertel | |
| in Richtung Hauptstraße verlässt, muss vorbei an großen grauen Ruinen. Hier | |
| standen einst erfolgreiche Textilunternehmen, die zehntausenden Menschen | |
| Arbeit brachten. Sie sind geschlossen, so wie die meisten | |
| Industriebetriebe. | |
| Der Niedergang zahlreicher Wirtschaftsbranchen in Nigeria könnte zur | |
| Radikalisierung junger Menschen beigetragen haben. | |
| Von einem großen Kreisverkehr führt eine kleine Straße auf das große | |
| Grundstück von Muhammad Ibrahim Gashash. Der wohlhabende Geschäftsmann hat | |
| in zahlreichen Konflikten vermittelt und verschiedene nichtstaatliche | |
| Organisationen aufgebaut. Im Fokus stand bisher das friedliche | |
| Zusammenleben von Christen und Muslimen, das in Kaduna arg gelitten hat. | |
| Jetzt kümmert sich Gashash um Igbos. | |
| Nach einem langen Gespräch in seinem Arbeitszimmer geht er auf den Hof, | |
| versteckt hinter dem Haupthaus. In der Mitte bleibt er stehen und zeigt auf | |
| eine Tür. „Wir haben extra für Mitglieder der Igbo-Gemeinschaft ein Haus | |
| hergerichtet.“ Wer Angst hat, findet hier sicheren Unterschlupf. | |
| Bisher sei das aber nicht notwendig geworden, beschwichtigt Gashash – und | |
| schüttelt gleichzeitig den Kopf über die Forderung nach einer erneuten | |
| Teilung Nigerias. Die Igbos sind nicht nur in Nigeria, sondern überall in | |
| Westafrika als Geschäftsleute bekannt. Auch in Kaduna dominieren sie den | |
| Handel. | |
| Mit einer Spaltung, meint Gashash, würden sie sich vor allem selbst | |
| schaden. | |
| Im Zentrum Kadunas wartet Dominic Eze Uzu. Als Treffpunkt hat er das Büro | |
| des regionalen Fußballverbands vorgeschlagen. Fließend wechselt er | |
| zwischen den Sprachen Haussa, Englisch und Igbo. „Ich stamme aus Enugu und | |
| bin Igbo“, stellt er sich vor. Heimat, also der Ort seiner Vorfahren, ist | |
| Kaduna für ihn nicht, wohl aber sein Zuhause, das er liebt und wo seine | |
| Kinder aufgewachsen sind. | |
| Der Igbo-Journalist denkt gar nicht daran, den Norden zu verlassen. Er | |
| ärgert sich über die ethnische Agitation. Ignoriert werden dürfe sie aber | |
| nicht, warnt er und hofft, dass sie dazu führen könnte, zukunftsweisende | |
| Fragen zu diskutieren: „Sind wir bereit, ein geeintes Nigeria zu sein? Und | |
| wenn ja, behandeln wir dann auch alle Menschen gleich?“ | |
| 29 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Gänsler | |
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