# taz.de -- Separatismus in Nigeria: In Biafra wächst die Unruhe | |
> Nicht alle Angehörigen der Igbo in Nigerias Biafra-Region wollen die | |
> Unabhängigkeit. Ein paramilitärischer Arm der Bewegung kämpft trotzdem | |
> dafür. | |
Bild: Nnamdi Kanu von der Bewegung Indigene Menschen für Biafra stand bereits … | |
Cotonou taz | Prince Emmanuel Kanu geht nach dem fünften Klingeln an sein | |
Handy. Er ist der jüngere Bruder von [1][Nnamdi Kanu, Führungsfigur der | |
Bewegung Indigene Menschen für Biafra (Ipob)]. Die wird von Nigerias | |
Regierung als Terrorgruppe eingestuft, und Nnamdi Kanu sitzt wieder einmal | |
in Haft. | |
Sein Verfahren soll am 21. Oktober beginnen. Die Anklagepunkte lauten: | |
Terrorismus, Verrat, Führung eines illegalen Unternehmens, Veröffentlichung | |
von diffamierendem Material und illegaler Waffenbesitz. Sein Bruder sagt | |
jedoch: „Für uns gibt es kein Verfahren. Es ist unklar, wie er verhaftet | |
und nach Nigeria gebracht worden ist. Es gibt doch internationale Gesetze.“ | |
Nach Informationen von Justizminister Abubakar Malami sei Kanu mithilfe von | |
Interpol festgenommen worden, möglicherweise in Äthiopien, Kenia oder den | |
Niederlanden. „Nnamdi Kanu hat kein Verbrechen begangen“, entgegnet sein | |
Bruder. Für Ipob-Anhänger*innen ist Nnamdi Kanu ein Held und eine | |
charismatische Führungsfigur. Für andere gilt er als gefährlicher Agitator, | |
der Massen aufwiegeln kann. | |
Ipob war 2014 aus der Bewegung zur Erreichung des souveränen Staates Biafra | |
(Massob) entstanden, die in den späten 1990er Jahren gegründet worden war. | |
Ziel ist es, aus dem Südosten Nigerias einen [2][unabhängigen Staat Biafra] | |
zu machen. Zahlen darüber, wie viele Menschen das tatsächlich unterstützen, | |
gibt es allerdings nicht. Das war bereits während des [3][Bürgerkriegs von | |
1967 bis 1970], bei dem bis zu zwei Millionen Menschen ums Leben gekommen | |
waren, nicht geglückt. | |
## Gewalt vor allem von staatlicher Seite | |
Neuerliche Separatismusforderungen will Nigerias Regierung mit aller Macht | |
unterbinden. Bisher war [4][Gewalt überwiegend von staatlichen | |
Sicherheitskräften] ausgegangen. | |
Seit Dezember 2020 hat Ipob mit dem Sicherheitsnetzwerk des Ostens (ESN) | |
einen paramilitärischen Arm. Nach Angaben der Polizei haben | |
ESN-Kämpfer*innen allein im Bundesstaat Imo innerhalb von drei Monaten 21 | |
Polizist*innen getötet. Im April machte die Regierung ESN dafür | |
verantwortlich, mehr als 1.800 Häftlinge aus dem Gefängnis in Owerri | |
befreit zu haben. Nach Einschätzung der außenpolitischen US-Denkfabrik | |
Council on Foreign Relations (CFR) hat es von Januar bis März im Südosten | |
54 Attacken mit 222 Toten gegeben; eine Steigerung um 59 Prozent im | |
Vergleich zu den Monaten September bis November 2020. | |
Prince Emmanuel Kanu hält dagegen: „ESN wurde geschaffen, um Farmland vor | |
den Fulani zu schützen.“ Der Ressourcenkonflikt um Weideflächen und Äcker | |
hat sich längst in Richtung Süden ausgebreitet. Meist werden die Fulani, | |
die Viehhirten, als Angreifer und Täter präsentiert. Aufgearbeitet werden | |
die Konflikte allerdings nicht. | |
Nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) | |
ist allerdings der Staat weiterhin für die Mehrheit der Gewalttaten | |
verantwortlich. Demnach haben Sicherheitskräfte zwischen März und Juni | |
mindestens 115 Menschen ermordet; mehr als 500 wurden verhaftet. „Unsere | |
gesammelten Beweise zeichnen ein vernichtendes Bild rücksichtsloser | |
exzessiver Gewalt“, sagt die Leiterin des Landesbüros, Osai Ojigho. Die | |
Menschen würden misshandelt, ohne Haftbefehl eingesperrt und erpresst. Auch | |
komme es zu Hinrichtungen ohne Anklage und Verfahren. | |
## Nicht alle wollen ein unabhängiges Biafra | |
„Die Sicherheitslage hat sich sehr verschlechtert“, sagt Zulu Ofoelue von | |
der Bewegung für Biafraner*innen in Nigeria (Mobin). Der Staat nutze | |
seine Macht, unterdrücke Meinungen und militarisiere die Region. „Je mehr | |
Gewalt die Sicherheitskräfte anwenden, desto mehr Menschen schließen sich | |
den Separatist*innen an,“ sagt Ofoelue. | |
Auswirkungen hat das auch auf das angrenzende Nigerdelta, sagt Tunji Idowu, | |
stellvertretender Direktor der 2010 gegründeten Stiftung für | |
Partnerschaftsinitiativen im Nigerdelta (Pind). Die Stiftung sammelt Daten | |
zu den Konflikten in der Region, hat ein Frühwarnsystem eingerichtet und | |
will mit verschiedenen Programmen vor allem die lokale Wirtschaft stärken. | |
„Frieden und wirtschaftliche Entwicklung gehören zusammen“, sagt Idowu. | |
Bereits seit 2018 habe die Gewalt in der Region zugenommen. ESN sei nun als | |
neuer Akteur hinzugekommen. Schließlich würden auch in Bundesstaaten wie | |
Rivers und Abia zahlreiche Igbos leben. Dennoch fühlen sich viele Menschen | |
im Nigerdelta nicht Biafra zugehörig und lehnen einen eigenen Staat ab. | |
Aktiv im Nigerdelta, Nigerias Ölregion, sind auch die „Rächer des | |
Nigerdeltas“ (NDA), die unter anderem Gas- und Ölleitungen zerstören. | |
[5][Banditen begehen Überfälle]. Kommunen streiten um [6][Zugang zu | |
Wasserstellen]. „Besonders betroffen sind Frauen, Kinder und ältere | |
Menschen“, sagt Idowu. Die unsichere Lage wirkt sich auf die Wirtschaft | |
aus. „Banken sind geschlossen, und Investoren wollen nicht investieren.“ | |
Auch habe der Staat sein Gewaltmonopol verloren. „Dieses Vakuum füllen nun | |
andere Akteure, und die Bevölkerung verliert das Vertrauen weiter.“ | |
In Enugu hat Aktivist Zulu Ofoelue eine Botschaft an die Regierung, wie | |
diese das Vertrauen der Menschen im Südosten zurückgewinnen kann: „Ein | |
Dialog muss her. Man muss uns zuhören.“ Ofoelue wünscht sich mehr | |
Selbstbestimmung bei Gesetzen und wirtschaftlichen Aspekten. Auf die Frage, | |
ob auch er einen eigenen Staat will, schüttelt er den Kopf. „Wir Igbos sind | |
doch als Händler schon überall. Wir profitieren mehr von einem großen | |
Gebilde als von einem eigenen Staat.“ | |
3 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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