Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zusammenstöße in Nigeria: Biafra ist nirgends
> Auf Rufe nach Unabhängigkeit im Südosten reagiert der Staat mit
> Terrorvorwürfen. Es gibt Gerüchte über ethnische Unruhen.
Bild: Uboha Damia, 75, kämpfte im Biafrakrieg, der im Juli 1967 begann
Abuja taz | Die Videos werden in Nigerias sozialen Netzwerken gerade
hunderttausendfach geklickt. Zu sehen sind Dutzende Leichen im Schlamm,
dazu Soldaten, die fast nackten Männern ins Gesicht schlagen. Bei jeder
Ohrfeige lachen die Militärangehörigen laut und schallend auf. Anhänger der
Bewegung Indigene Menschen für Biafra (IPOB) sind sicher: Aufgenommen
wurden die Szenen in der vergangenen Woche im Ort Aba im Bundesstaat Abia,
im Südosten Nigerias, wo von Juli 1967 bis Januar 1970 ein eigener Staat
namens Biafra für die Abspaltung von Nigeria kämpfte.
Vorgeworfen wird dem Militär, in Aba ein Massaker angerichtet zu haben. Es
seien Soldaten aus Nigerias Norden, heißt es zuweilen. Die Filme dazu
wurden ausgerechnet in einer Zeit veröffentlicht, als im Südosten die große
Militärübung „Python Dance“ stattfand.
Die Armeeführung weist die Vorwürfe als „haltlos und boshaft“ zurück und
hat angekündigt, die Videos prüfen zu lassen. Tatsächlich lässt sich kaum
feststellen, wann und wo die Aufnahmen entstanden und wie echt sie sind.
Deutlich wird aber, dass sie den Konflikt zwischen der Zentralregierung in
Nigerias Hauptstadt Abuja und der Biafra-Sezessionsbewegung IPOB unter
ihrem Gründer Nnamdi Kanu weiter eskalieren lassen und damit auch
Vorbehalte zwischen den Völkern des Südens und des Nordens von Nigeria.
Textnachrichten, die zur Vorsicht mahnen, machen ebenso die Runde wie
Gerüchte über ethnische Ausschreitungen.
Dazu beigetragen hat die Entscheidung der Regierung vom Freitag, IPOB zu
einer terroristischen Vereinigung zu erklären. Vorgeworfen wird ihr unter
anderem, einen eigenen Geheimdienst zu unterhalten, Waffen zu gebrauchen
und Straßen zu sperren. Am Donnerstag war in Aba eine Polizeiwache
angezündet worden, die Provinzregierung verhängte eine nächtliche
Ausgangssperre.
## Vorwurf erneuter Marginalisierung
Biafra-Anhänger behaupten in Reaktion, die Welt stehe hinter ihnen. In
einer im Internet zirkulierenden, vermutlich fiktiven Erklärung wird
EU-Kommissionschef Jean-Claude „Junker“ mit dem Satz zitiert, dass „die
gesamte EU“ die Angriffe auf IPOB verurteile und die Forderungen nach einem
Referendum zur Unabhängigkeit Biafras unterstütze.
Einer schweigt: IPOB-Führer Nnamdi Kanu, Sohn eines traditionellen Chiefs
in Abias Provinzhauptstadt Umuahia. Er soll sich versteckt halten, sein
Haus in Umuahia soll von Soldaten umstellt worden sein. Es heißt, dabei
seien mehrere Menschen ums Leben gekommen.
Kanu war im April nach knapp eineinhalbjähriger Haft gegen zahlreiche
Auflagen vorläufig freigelassen worden, was die Konfrontation zwischen
Regierung und IPOB im Südosten Nigerias hätte entspannen sollen. Doch die
Proteste sind ebenso wenig verstummt wie Kanus Vorwürfe, Hassreden und
Agitation unter dem Igbo-Volk im Südosten Nigerias. Kanus Begründung für
die Forderung nach einer Neugründung Biafras, 50 Jahre nach der letzten
Sezession, die in einem blutigen Krieg mündete: Die Igbos würden erneut
marginalisiert.
Immer wieder heißt es, dass hinter Kanu mächtige Politiker stehen, die von
der angespannten Lage profitieren wollen, um Nigerias Präsident Buhari zu
schwächen. Er hatte bei seiner Wahl 2015 den aus dem Süden Nigerias
stammenden Goodluck Jonathan als Staatschef abgelöst, viele
Südostnigerianer haben das nie akzeptiert. In einem Interview hat
Altpräsident Olusegun Obasanjo, ein Yoruba aus Nigerias Südwesten, Buhari
nun aufgefordert, Kanu zu einem Gespräch zu treffen.
18 Sep 2017
## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
Nigeria
Biafra
Muhammadu Buhari
Nigeria
Kamerun
Nigeria
Biafra
Nigeria
Westafrika
## ARTIKEL ZUM THEMA
50 Jahre Kriegsende in Nigeria: Das Biafra-Tabu
Vor 50 Jahren endete in Nigeria die Sezession des Südostens unter dem Namen
„Biafra“. Offiziell ist das kein Thema. Aber in den Köpfen schon.
Sezessionisten in Kamerun: Fahnen schwenken für Ambazonien
Der anglophone Teil von Kamerun will unabhängig werden. Die Regierung des
autoritären Präsidenten Paul Biya schlägt mit aller Macht zurück.
Spannungen in Nigeria: Der König brüllt
Der ethnische Spaltpilz geht um, 50 Jahre nach dem mörderischen
Biafra-Krieg. Im multikulturellen Kaduna bereitet man sich vor.
Vor 50 Jahren begann der Biafra-Krieg: Endlich über den Krieg sprechen
Am 6. Juli 1967 begann in Nigeria der Biafra-Krieg. Ein halbes Jahrhundert
später sind die Verbrechen und ihre Folgen noch immer nicht aufgearbeitet.
Nigerias Vizepräsident Yemi Osinbajo: Der Stellvertreter rückt vor
Allmählich gewöhnt sich Nigeria daran, dass Vizepräsident Osinbajo die
Geschäfte führt. Präsident Buhari weilt krank in London.
50 Jahre Unabhängigkeitserklärung: Der Traum von Biafra
Im Südosten Nigerias lebt die Idee von einem eigenen Staat wieder auf.
Nnamdi Kanu wird als zukünftiger Präsident eines neuen Staates verehrt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.