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# taz.de -- Bewaffneter Konflikt in Nigeria: Erst die Kühe, dann die Muslime
> Konflikte zwischen Viehhirten und Bauern im Bundesstaat Kaduna eskalieren
> zu einem Religionskrieg. Das bedroht die Stabilität des Landes.
Bild: Das Fulani-Dorf Kajura in der Nähe von Kaduna
Kafanchan taz | Sie lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Gemächlich
trotten die weißen und hellbraunen Rinder zu Dutzenden über die Straße aus
der Provinzhauptstadt Kaduna in den Ort Kafanchan. Eins hält mitten auf der
Straße an und muss von einem der jungen Viehhirten angetrieben werden. Er
wedelt ein paar Mal mit einem dicken Stock, und das Tier läuft los. Der
Viehhirte grinst und winkt.
Die alten Weiderouten in den zentralen Savannen Nigerias sind inzwischen
vielerorts zugebaut worden. Farmer wiederum klagen, dass die Tiere ihre
Felder zerstören. Der Konflikt zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern, in
vielen Ländern Afrikas mit knappen Böden immer wieder ein Problem, spitzt
sich in verschiedenen Teilen Nigerias seit Jahren zu.
Doch so wie jetzt ist er im Südosten des Bundesstaates Kaduna selten
eskaliert. Unterschiedlichen Berichten zufolge sollen in drei Monaten
zwischen 204 und 808 Menschen ermordet worden sein.
Abdul Hamid Musa Albakar, der lokale Chef der Viehzüchtervereinigung,
spricht langsam und bedächtig: „Die Angst ist sehr groß. Es gibt zahlreiche
Überfälle. Die Täter kommen nachts und bringen ganze Familien um.“ Wer die
Täter sind, darauf geht der hagere Mann in Kafanchan nicht näher ein.
Zahlreiche Fulani – in Nigeria wie in ganz Westafrika ist das die ethnische
Gruppe, die traditionell Vieh hält und als Halbnomaden lebt – klagen über
bewaffnete Banden, die ganze Herden stehlen und dabei auch vor Mord nicht
zurückschrecken.
Sesshafte Farmer, sagt Albakar, würden den Süden Kadunas als ihre Region
betrachten, in der Fulani allenfalls geduldet sind. Er sorgt sich um seine
Leute und seine 130 Kühe. „Wir wollen doch nur in Frieden leben. Macht
interessiert uns nicht.“
## Weit verbreitete Unsicherheit
Das ist eine Lesart in diesem vielschichtigen Konflikt. Häufig werden die
Fulani jedoch nicht als Opfer, sondern als Täter bezeichnet. Von vielen
Kirchen heißt es: Die Viehhirten überfallen sesshafte Bauern. Die Bauern
sind meist Christen, die Fulani-Hirten wiederum Muslime. Der
Ressourcenkonflikt wird also von Religion überschattet.
Prediger heizen das an. Ganz vorne steht Apostle Johnson Suleman, der die
Freikirche Omega Fire Ministry im Süden Nigerias betreibt. In einem
YouTube-Video sagt er: „Ich habe meinen Leuten gesagt: Wenn ihr einen
Fulani-Hirten seht, dann bringt ihn um.“ Das Gelächter seiner Zuhörer ist
groß. Wann das Video aufgenommen wurde, ist unklar. Mittlerweile betont der
„Apostel“, nie zur Ermordung einer ethnischen Gruppe aufgerufen zu haben.
Doch die Botschaft kann Abdul Hamid Musa Albakar nicht vergessen. „Der Hass
ist so immens groß geworden.“
Gut 70 Kilometer weiter nördlich in Richtung Kaduna fühlt sich Chom Isa
Dang, Pastor der örtlichen Baptistenkirche, genauso unsicher wie der
Vorsitzende der Viehzüchtervereinigung in Kafanchan, nur dass für ihn die
Fulani die Täter sind und nicht die Opfer. „Ich verstehe nicht, warum das
alles so eskaliert ist“, sagt er und schüttelt mit dem Kopf. „Es gab
Zeiten, in denen wir friedlich nebeneinander gelebt haben.“ Doch damals war
Land längst nicht so begehrt wie heute. Nigeria zählt mittlerweile
vermutlich 186 Millionen Einwohner. Die Wachstumsrate liegt bei 2,4 Prozent
im Jahr.
## Ausgangssperren in einigen Gemeinden
Die Politik hat über Jahrzehnte nicht auf die zunehmenden Landkonflikte
reagiert oder nur dann, wenn sie in ethnische Massaker ausarteten. Nachdem
die katholische Kirche die Zahl von 808 Ermordeten veröffentlichte, äußerte
sich Nigerias Präsident Muhammadu Buhari lange nicht.
Als Kadunas Gouverneur Nasir Ahmad El-Rufai schließlich Kafanchan besuchte,
griffen ihn wütende Jugendliche an. Der Staat macht sich durch
Ausgangssperren bemerkbar, die es in einigen Gemeinden gibt. Diese Woche
wurden sie im Süden der Provinz auf 24 Stunden am Tag ausgeweitet und
Sondereinheiten der Polizei sollen zum Einsatz kommen.
Baptistenpastor Dang hält mehr Einsatz der Politik für unverzichtbar:
„Egal, welche Krise es ist: Es dauert so lange, bis Sicherheitskräfte
entsandt werden.“ Für einen dauerhaften Frieden fordert Viehzüchter Abdul
Hamid Musa Albakar allerdings noch etwas anderes: „Wir müssen wie die
Bauern auch als Einheimische anerkannt werden.“
25 Feb 2017
## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
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