# taz.de -- Folgen des Ilisu-Staudamms am Tigris: Der letzte Sommer in Hasankeyf | |
> 2018 soll ein umstrittener türkischer Staudamm fertiggestellt werden. | |
> Dann wird eine der ältesten Siedlungen im Wasser versinken. | |
Bild: Weltkulturerbe in Gefahr: Hasankeyf versinkt, wenn der Ilisu-Staudamm am … | |
Berlin taz | Auf den ersten Blick wirkt Hasankeyf immer noch wie eine pure | |
Idylle. Noch plätschert der Tigris träge am Ortsrand entlang, noch | |
schmiegen sich die alten Häuser oberhalb des Flusses an den uralten | |
Burgberg und noch sind die Höhlen in den Kalkfelsen, in denen schon in der | |
Jungsteinzeit Menschen lebten, für Archäologen und Besucher begehbar. Doch | |
das als Weltkulturerbe ausgezeichnete Areal wird wohl in einem Jahr | |
verschwunden sein – wenn nicht noch ein politisches Wunder geschieht. | |
Viele in der Türkei und in Europa haben am vergangenen Wochenende erneut | |
gegen den Untergang des Kleinods im Südosten der Türkei mobilisiert. Trotz | |
Demonstrationsverboten und einer massiven Polizeipräsenz fanden sich auch | |
vor Ort Hunderte Aktivisten ein, die gegen die Flutung von Hasankeyf und | |
Hunderten weiteren Dörfern in der Umgebung protestierten. | |
Alles versinkt hier im Wasser, wenn eines Tages der neue Ilisu-Staudamm am | |
Tigris aufgefüllt wird. Die „Mesopotamische ökologische Bewegung“ lancier… | |
sogar eine Petition, die die holländische Firma Bresser unter Druck setzen | |
soll, die archäologisch wertvollen Einzelstücke nicht auf ein höher | |
gelegenes Gebiet zu versetzen, denn: Ohne die Umsetzung der Artefakte | |
dürfte die Flutung nicht beginnen. Um 60 Meter soll der Wasserpegel | |
steigen. Und von Hasankeyf wird dann nur noch die Spitze des Burgberges aus | |
dem See ragen. | |
Mit der Fertigstellung eines der umstrittensten Großprojekte der Türkei, | |
gegen das Umwelt- und Naturschutzinitiativen mehr als 20 Jahre gekämpft | |
haben, wird ein wertvolles Erbe der Menschheit und die bisherige Heimat von | |
rund 40.000 Menschen im Wasser versinken. Die Initiative zur Rettung von | |
Hasankeyf spricht von rund 200 Dörfern, die entweder ganz verschwinden oder | |
zumindest ihre Ackerflächen verlieren würden. | |
## Archäologen sprechen von einem „Disneypark“ | |
Während die Aktivisten immer noch versuchen, das Projekt zu stoppen, | |
schaffen die Behörden Fakten. Zuletzt gingen Bilder durch die türkische | |
Presse, wie Felsformationen auf dem Burgberg gesprengt wurden, angeblich | |
weil sie bei der kommenden Flutung unterspült werden könnten. Tatsächlich | |
versetzten die Sprengungen diejenigen Bewohner von Hasankeyf in Panik, die | |
sich bislang geweigert haben, ihre Häuser zu verlassen. | |
Im Mai wurde das erste von insgesamt acht archäologischen Artefakten, die | |
„gerettet“ werden sollen, ein seldschukisches Grabdenkmal, in einen | |
künftigen Archäologiepark versetzt. Archäologen sprechen von einem | |
„Disneypark“, der mit der ursprünglichen archäologischen Landschaft nichts | |
mehr zu tun habe. | |
Jahrelange Ungewissheit hat die Bewohner von Hasankeyf und den umliegenden | |
Dörfern zermürbt. Bereits 2002 sollte der Bau des Staudamms beginnen, | |
scheiterte aber damals an massiven Protesten. Drei Jahre später startete | |
die Regierung das Projekt erneut, deutsche, Schweizer und österreichische | |
Firmen sollten damals den Damm realisieren. | |
## Komplikationen sind also vorprogrammiert | |
Doch auf Druck einer internationalen Kampagne, die darauf pochte, dass die | |
Umweltauflagen beim Bau des Dammes in keiner Weise eingehalten worden | |
seien, zogen Deutschland und die Schweiz ihre Exportrisikoversicherungen | |
zurück. Dies veranlasste die Firmen, aus dem Projekt auszusteigen. Nur die | |
Österreicher blieben dabei. | |
Doch der damalige Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan beschaffte neues | |
Geld – und ließ weiterbauen. Jetzt steht der gigantische Damm, die ersten | |
zwei von insgesamt sechs Turbinen zur Stromerzeugung sind installiert. | |
Zwischenzeitlich war diskutiert worden, den Damm insgesamt kleiner zu | |
dimensionieren. Dann hätte Hasankeyf gerettet werden können. Doch auch die | |
Menge des produzierten Stroms wäre stark zurückgegangen. Der Bau wäre dann | |
angeblich unrentabel geworden. | |
Viele Aktivisten hoffen jetzt auf einen Einspruch in letzter Minute. Mit | |
dem Staudamm würde die Wassermenge des Tigris, die den Irak erreicht, stark | |
abnehmen. Noch gibt es mit Bagdad darüber kein Abkommen – Komplikationen | |
sind also vorprogrammiert. Allerdings: Die irakische Zentralregierung ist | |
derzeit schwach. Viele meinen, zu schwach, um die Schließung des Damms zu | |
verhindern. | |
26 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
## TAGS | |
Türkei | |
Staudamm | |
Weltkulturerbe | |
Irak | |
Schwerpunkt Türkei | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
Schwerpunkt Türkei | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Der Irak trocknet aus: Ankara füllt weiteren Stausee | |
Dämme an Euphrat und Tigris sorgen dafür, dass immer weniger Wasser in den | |
Irak fließt. Nun wird es für die Bauern dort lebensbedrohlich. | |
Hunderte Anleger geprellt: Potemkinsche Wasserkraft | |
In gutem Glauben investierten Anleger in türkische Wasserkraftwerke. Dabei | |
wurden sie wohl von einem Erlanger Unternehmer betrogen. | |
Kommentar Grubenunglück und Erdogan: Als Nächstes ein Atomkraftwerk? | |
Gefährlicher als Erdogans Jähzorn, der sich beim Umgang mit dem Unglück | |
zeigt, ist sein Glaube an Wachstum um jeden Preis. Die nächste Katastrophe | |
bahnt sich an. | |
Staudämme in der Türkei: Ein Dorf geht unter | |
Die Türkei will den Tigris stauen, um Energie zu gewinnen. Hasankeyf soll | |
in den Fluten verschwinden. Die Bewohner fürchten um ihre Geschichte. | |
Türkische Banken springen ein: Comeback des Mega-Staudamms | |
Nach der Aufkündigung der Hermes-Bürgschaften aus Deutschland wollen | |
türkische Banken mehr Geld für den umstrittenen Ilisu-Staudamm geben. | |
Rückzug von Großprojekt: Kein Geld für Ilisu-Staudamm | |
Deutschland, Österreich und die Schweiz steigen aus dem Großprojekt aus. | |
Türkei reagiert trotzig und wills selbst machen - doch die Mittel dafür | |
dürften fehlen. |