# taz.de -- Kommentar Schwarz-Grün bei „Anne Will“: Prima Klima | |
> Nichts sollte die Harmonie trüben: Cem Özdemir warb bei Wolfgang Schäuble | |
> für die Grünen als Koalitionspartner – ohne jede Kritik. | |
Bild: Konnte nicht von den Autos lassen: Cem Özdemir (links) beim Anne-Will-Ta… | |
Sie hat sich redlich bemüht. Doch egal, wie Anne Will ihre Fragen | |
formulierte, der grüne Spitzenkandidat landete immer wieder beim selben | |
Thema. Mehr als drei Viertel ihrer einstündigen Sendung war schon | |
vorübergegangen, da stellte die Moderatorin resignierend fest: „Sie sind | |
interessanterweise, Herr Özdemir, heute den ganzen Abend nur bei den | |
Autos.“ | |
Wolfgang Schäuble pflichtete ihr lächelnd bei: „Ja, das ist wahr.“ Er hat… | |
Cem Özdemir schon nach knapp zwölf Minuten süffisant bescheinigt, er habe | |
sich „offensichtlich vorgenommen, darüber zu reden, egal was Frau Will | |
frägt“. Es hätte für den CDU-Mann nicht besser laufen können. | |
Wer dem Duell der KanzlerkandidatInnen Angela Merkel und Martin Schulz | |
schon bescheinigt hat, nur ein Duett gewesen zu sein, den wird das | |
Zusammentreffen von Wolfgang Schäuble und Cem Özdemir am Sonntagabend in | |
der ARD noch ratloser zurückgelassen haben. Denn der größte Unterschied | |
zwischen den beiden scheint zu sein, dass der eine in Baden und der andere | |
in Württemberg geboren wurde. | |
Es gibt viele Themen, über die ein oppositioneller Grüner mit einem | |
regierenden Christdemokraten ein spannendes Gespräch hätte führen können. | |
Zumindest die Wahlprogramme der beiden Parteien vermitteln den Eindruck, | |
dass es vielleicht unter Umständen möglicherweise da doch noch gewisse | |
Differenzen geben könnte. | |
## Warum wurde nicht gestritten? | |
Aber Özdemir machte lieber auf prima Klima. Europa? Flüchtlinge? | |
Bürgerrechte? Soziale Gerechtigkeit? Die „solidarische Bürgerversicherung | |
für alle“ oder die „Vermögenssteuer für Superreiche“, von denen im gr�… | |
Wahlprogramm die Rede ist? Was wohl Schäuble davon hält, innerhalb der | |
nächsten 20 Jahre aus der industriellen Massentierhaltung auszusteigen, wie | |
es im „Zehn-Punkte-Plan für grünes Regieren“ gefordert wird? Kein Wort | |
davon. | |
Dass die Union an dem aberwitzigen Nato-Ziel festhält, zwei Prozent des | |
Bruttoinlandsprodukts für Rüstung und Militär auszugeben? Nicht einmal das | |
war Özdemir eine kritische Bemerkung wert. | |
Und warum stritt er nicht mit Schäuble über die unglaubwürdige | |
Türkeipolitik der Großen Koalition? Der Grüne hätte die Möglichkeit nutzen | |
können, ja müssen, ein wichtiges Regierungsmitglied zu stellen: Warum | |
stoppt die Große Koalition nicht die Rüstungslieferungen an Ankara? Was ist | |
mit der Verweigerung von Hermesbürgschaften? Warum gibt es immer noch keine | |
Reisewarnung? | |
All das hat Özdemir in den vergangenen Tagen – zu Recht – gefordert. Aber | |
gegenüber Schäuble erwähnt er nichts davon. Nichts sollte die schwarz-grüne | |
Harmonie trüben. | |
## Macrons ausgestreckte Hand | |
Offenkundig wollte Özdemir an diesem Abend schlichtweg keine tiefergehenden | |
inhaltlichen Differenzen austragen, sondern nur seine Partei als | |
Koalitionspartner anpreisen. Deswegen beschränkte er sich auf den | |
Klimaschutz und den Einstieg in den Ausstieg aus dem fossilen | |
Verbrennungsmotor. Seine Botschaft: Die Grünen sind genau der Antrieb, den | |
die Union braucht, um die richtige Politik zu machen. | |
In den Worten Özdemirs: „Die Erkenntnis ist bei Ihnen da, Herr Schäuble, | |
das bezweifele ich nicht. Aber die Kraft es umzusetzen, die gibt es nur mit | |
den Grünen.“ Der „entscheidende Maßstab“ sei, ob die Union bereit sei, … | |
der Reduzierung des CO2-Ausstoßes die „ausgestreckte Hand von Präsident | |
Macron“ anzunehmen. „Wenn Sie das nicht machen, dann klappt’s nicht.“ | |
Schäubles lockere Antwort: „Ja natürlich, wir werden die ausgestreckte Hand | |
von Präsident Macron fest ergreifen.“ Dann kann ja nichts mehr schiefgehen. | |
Schäuble und Özdemir haben sich gut verstanden – wenn auch nicht wirklich | |
auf Augenhöhe. Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass hier zwei sehr | |
unterschiedliche Politikergenerationen zusammentrafen. Schäuble wird in | |
wenigen Tagen 75 Jahre alt, im Geburtsjahr Özdemirs trat er der CDU bei. | |
Vom biologischen Alter her könnte der Christdemokrat der Vater des Grünen | |
sein. | |
Auch in seinem Umgang mit Özdemir gab Schäuble den bisweilen strengen, aber | |
verständnisvollen Papa, der den Flausen des vorlauten Filius mit | |
wohlwollender Gelassenheit begegnete. Bei Schäuble sei es „immer so“, dass | |
der „großartige Sachen“ sage, die aber „nicht passieren, wenn die Grünen | |
nicht diejenigen sind, die aufpassen“, sagte Özdemir. | |
## Grüne als Mehrheitsbeschaffer | |
Die Union habe „unser Land in den letzten Jahren ohne Beteiligung der | |
Grünen ganz gut vorangebracht“, konterte Schäuble entspannt. „Wenn Sie da | |
mit uns mal dabei wären, dann könnten Sie davon was lernen, das ist auch | |
wahr.“ | |
Glaubt man den aktuellen Umfragen, erscheinen derzeit nur zwei | |
Koalitionsoptionen als realistisch: die Fortsetzung von Schwarz-Rot oder | |
Schwarz-Gelb-Grün. „Jamaika“ als einzige grüne Machtoption? „Nein, das | |
würde ich nicht sagen“, antwortete Özdemir. „Ich kann auch auf eine | |
Zwei-Parteien-Koalition hinarbeiten; da fehlt nicht viel.“ | |
Es scheint, als ginge es den Grünen in der Schlussphase des Wahlkampfs nur | |
noch darum, sich als vermeintliche Alternative zur FDP anzubieten. „Es gibt | |
sowohl die Möglichkeit, dass die CDU/CSU mit der FDP regieren könnte“, so | |
Özdemir. „Es kann auch sein, dass wir regieren.“ | |
Wahrscheinlicher ist allerdings, dass sowohl Grüne als auch FDP nach dem | |
24. September die Mehrheitsbeschaffer für die Union sind. Seit 1972 im | |
Bundestag, weiß Schäuble nur zu gut, wie Wahlkampf funktioniert: „Also die | |
SPD sagt, sie gehe nicht mehr in die Große Koalition; FDP und Grüne sagen, | |
sie machen nicht Jamaika“, konstatierte er. „Aber das ist ja alles | |
Quatsch.“ Nach der Wahl werde das schon anders aussehen. Der pragmatische | |
Konservative dürfte recht haben. | |
„So wie die Grünen sich mittlerweile verändert haben, könnten Sie sich | |
vorstellen, da Mitglied zu sein?“, fragte Anne Will zu Beginn ihrer Sendung | |
Wolfgang Schäuble. Sein politisches Engagement in der CDU käme „von meiner | |
Kindheit, von meinem Vater her“, antwortete er. „Also ich kann mir nicht | |
vorstellen, mich in einer anderen Partei zu engagieren.“ Ein anderes | |
Argument fiel ihm nicht ein. Am Ende von „Anne Will“ verwunderte das nicht | |
mehr. | |
11 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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