# taz.de -- Die Wahrheit: Großfritannien strahlt! | |
> Warum Vorurteile pflegen, wenn es auch sachlich geht. Zum Wochenende ein | |
> dringend notwendiger Blick zum Nachbarn Belgien. | |
Von kaum einem Land in Europa weiß man so wenig wie von Belgien. Die Folge: | |
scheußliche Fake-Vorurteile. Dabei ist das Land Pracht und Vorbild. Erster | |
Kronzeuge – US-Ex-Präsident Obama: „Es ist leicht, ein Land zu lieben, das | |
für Schokolade und Bier bekannt ist.“ Sein Nachfolger urteilt ähnlich | |
begeistert: „Belgien ist eine wunderschöne Stadt.“ Die Wahrheit überprüft | |
hier die gängigsten Vorurteile über Belgien. | |
## Belgien ist politisch total uninteressant! | |
Pah, Belgien wurde 1830 nach einer leibhaftigen Revolution gegründet. Mit | |
einem unblutigen Aufstand in der Brüsseler Oper. Eine Kultur-Revolution | |
also! Marx und Engels schrieben im Brüsseler Exil das „Kommunistische | |
Manifest“. Nirgends sonst in Europa wurden im Zweiten Weltkrieg prozentual | |
so viele Juden gerettet. Wegen des andauernden Kulturstreits | |
Flamen/Wallonen ist dem Belgier belgischer Nationalismus wesensfremd! | |
2010/11 war das Land 541 Tage ohne Regierung. Weltrekord! Anarchie ist | |
machbar – Danke, Herr Nachbar. | |
## Belgien ist eine Mini-EU! | |
Stimmt. Belgien ist eine dreisprachige EU im Kleinen und steuert die | |
Weltpolitik sogar ohne eigenes Zutun. Eine Britin sagte kurz vor dem Brexit | |
im Fernsehen, sie würde für den Austritt stimmen, weil sie sich nicht von | |
diesem kleinen Belgien regieren und bevormunden lassen wolle. Das Land | |
schärft das Bewusstsein. „Immer wenn du meinst, du hast Belgien politisch | |
verstanden“, sagt der Eupener Historiker Herbert Ruland, „passiert wieder | |
etwas ganz Neues. So viele Parallelstrukturen überall. Dieses Land ist die | |
reine Wundertüte.“ | |
## Belgien hat keine Promis! | |
Bitte? Dann muss man Eddy Merckx ignorieren, Bruegel und Lucky Luke, | |
Rubens, Magritte und die Schlümpfe, Tim und Struppi, die Jazzgrößen Django | |
Reinhardt und Philippe Catherine. Dazu die Scheinfranzosen Georges Simenon, | |
Jacques Brel und Hercule Poirot oder die musikalischen Von-wegen-Italiener | |
Orlando di Lasso und Helmut Lotti. In Belgien kamen Audrey Hepburn, Gerhard | |
Mercator, wahrscheinlich sogar Kaiser Karl zur Welt, aber zugegeben: auch | |
Marc Dutroux und Ursula von der Leyen. | |
## Belgien kennt nur Fritten! | |
Und wer hat die Pralinen erfunden, Waffeln, Spekulatius, | |
Schoko-Brotaufstrich, Rosenkohl und Chicoree? Flandern hat die höchste | |
Quote an Sternerestaurants der Welt. Feinschmecker sagen, die beste | |
französische Küche gäbe es in …? Genau, Belgien. Niemand knabbert so viel | |
Schokolade. „Ein gutes Essen“, heißt ein Sprichwort, „kann viele schlech… | |
vergessen machen.“ Essen ist in Belgien sogar eine politische Waffe: 1830 | |
schütteten die Aufständischen Kessel voll flämischen Rinderragouts auf die | |
niederländischen Soldaten. | |
## Belgien besteht einzig aus Fressen und Saufen! | |
Beileibe nicht. Der Kurort Spa in den Ardennen ist Wiege der Wellnesskultur | |
und Namenspate aller Spas dieser Welt. Belgien hat das liberalste | |
Euthanasie-Gesetz auf Erden und das größte Atom (Atomium). Belgische | |
Tüftler haben den Straßenasphalt, Rollschuhe, Neoprenanzüge, den Urknall | |
und die Abseitsfalle im Fußball erfunden. Adolphe Sax hat uns mit dem | |
Saxofon beglückt. Belgier namens Klav, Querf oder Schlagz gibt es | |
allerdings nicht. Auch kein Molekülium. | |
## Belgisches Bier ist knorke! | |
Stimmt. Belgische Bierkultur ist längst Unesco-Welterbe. Die 1.600 Sorten | |
haben kreative Namen wie „Satan Gold“, „Malheur“ oder „Delirium Noctu… | |
Und sie sind zielgruppenorientiert: „Gauloise Blond“ für den Raucher, | |
„Campus“ für Hochschulangehörige, „Mort Subite“ für die Camorra und | |
Notfallärzte, „Hellekapelle“ für den fröhlichen Beter und für die polit… | |
Bewussten lieber „Vlaamse Bock“ als die Rechtsradikalenpartei „Vlaamse | |
Blok“. | |
## Belgien kennt nur Streit! | |
So ist es recht: Schon Julius Cäsar nannte sie in seinem Hauptwerk „De | |
bello Gallico“ „streitlustig“ und wusste: „Die Belgen sind von allen die | |
Tapfersten.“ Flamen und Wallonen streiten sich wie die Ketellappers | |
respektive wie les rétameurs, zu deutsch Kesselflicker, um die | |
unabänderliche Debattenkultur und Kompromisssuche voranzutreiben. Das | |
kleine Königreich ist sogar Vorbild: „Europa muss belgisch werden oder es | |
wird untergehen“, sagt der Schriftsteller Geert van Istendael. Kein Land in | |
Europa ist so kosmopolitisch. Das Fußball-Nationalteam wird in neutralem | |
Englisch angefeuert: „Belgium, Belgium!“ Die Menschen im Grenzland bei | |
Aachen heißen Jean-Marie Schmitz, Helga Delhaize oder Pierre | |
Müller-Vermeulen. Im Schmelztiegel Brüssel ist seit Jahren Mohammed der | |
häufigste Vorname für Neugeborene. | |
## Belgien ist schmuddelig! | |
Von wegen. Großfrittannien strahlt! Das kleine Land der Pommeserfinder ist | |
tatsächlich aus dem Weltall zu identifizieren. Das beweisen jüngste | |
ISS-Fotos. Die Autobahnbeleuchtungen ergeben einen großen gelben Klecks aus | |
feinen Strichen, den man auch für eine Schale knackiggüldener Pommes frites | |
halten kann. Food follows form oder umgekehrt. | |
## Belgien isst tierisch gut! | |
Geht so. Fritten werden stets in Rinderfett gebraten. Belgische Riesen sind | |
die weltgrößten Kaninchen, im Frühjahr wurde in Flandern die teuerste | |
Brieftaube der Welt versteigert: 360.000 Euro. Zuletzt konnte die | |
vorsätzliche Kontaminierung und Vernichtung von zig Millionen Hühnereiern | |
den Cholesterinwert halb Europas senken. | |
## Belgien bleibt mysteriös! | |
Belgier sind zurückhaltend, unauffällig, immer in Deckung – das typische | |
Verhalten von Menschen, deren Heimat Jahrhunderte lang von wechselnden | |
Mächten beherrscht wurde (Rom, Burgund, Habsburg, Napoleon, Hollands | |
Calvinisten). Und dann kamen noch zweimal diese Deutschen. Doch auch die | |
größten Mysterien lassen sich dechiffrieren: Das Restaurant „Baraque | |
Michel“ im schaurigen Hochmoor Hohes Venn ist der einzige Ort weltweit, der | |
die Obamas im Namen trägt. Bei der Inauguration zum Präsidenten war Barack | |
im 48. Lebensjahr, Michelle im 45. Die Postleitzahl von „Baraque Michel“: | |
4845! Zufall? Dann kamen die Trumps. Die Wahl boxte Trump durch, als er 70 | |
war und Gattin Melania 46. 4670 wiederum ist die Postleitzahl der | |
ehemaligen Bergbaumetropole Blegneye bei Lüttich. Ein Anagramm des Namens | |
„Blegneye“ ergibt: „Yenbeleg“. Wird Milliardenjongleur Trump also durch | |
kriminelle Geheimdeals mit Japan zu Fall kommen? Belgaleaks wird alles ans | |
Licht bringen. Darauf ein „La Caracole Nostradamus“, ein cremiges | |
Dunkel-Ale mit vollmundigen 9,5 Prozent. | |
## Aber die Welt würde sich doch auch ohne Belgien weiterdrehen! | |
Es würde sie nicht mal geben. Das beweist der zauberhafte Kinofilm „Das | |
brandneue Testament“. Dort heißt es „Gott existiert. Er lebt in Brüssel.�… | |
Und ER (der grandiose Benoît Poelvoorde) erschafft im abgewetzten | |
Schlafanzug Belgien und die Welt, uns Menschen und den ganzen Rest des | |
Universums. | |
Mehr über Belgien lesen? Am 20. 9. erscheint Bernd Müllenders: „Länderkunde | |
Belgien“. Ch. Links Verlag, 232 Seiten, 18 Euro. | |
16 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
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