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# taz.de -- Neues Album von Ke$ha: Kleines popkulturelles Wunder
> Die als Ke$ha bekannt gewordene Sängerin machte eine Reha und verklagte
> ihren Produzenten. Executive Producer ihres neuen Albums ist sie selbst.
Bild: Ke$ha im Jahr 2010
Kesha Rose Seberts Karriere begann Ende der Nullerjahre mit dem Pop-Song
„TiK ToK“ und einem Dollarzeichen im Namen. Ihre rotzige
Partygören-Attitüde traf den Nerv jener Zeit, in der MySpace Hochkonjunktur
feierte und man auf seinem Benutzerprofil gern mal wahllos Sonderzeichen
und Kleinbuchstaben zusammenwürfelte, um Coolness hervorzukehren. Ke$has
Stimme war laut und autogetunt, ihr Kichern dreckig, und ihre Zähne putzte
sie mit Jack Daniels. Verstörte Kritiker nannten es „White Trash“, sie
selbst bezeichnete ihren Stil als „Garbage Chic“.
Hinter dieser Fassade herrschte der nackte Wahnsinn. 2014, nach zwei Jahren
Funkstille und einem längeren Reha-Aufenthalt, verklagte die Sängerin
Łukasz Gottwald, bei dessen Sony-Sublabel Kemosabe sie einen Vertrag für
fünf Alben unterzeichnet hatte. Kesha erhob schwere Vorwürfe: Gottwald,
besser bekannt unter seinem Produzentennamen Dr. Luke, soll sie in die
Bulimie getrieben und vergewaltigt haben.
Er wies alles von sich und bezeichnete dies als Vorwand, damit Kesha
vorzeitig aus dem Vertrag aussteigen konnte. Unter dem Hashtag #FreeKesha
entbrannte eine Debatte über Rape Culture und Victim Blaming, Taylor Swift
spendete Geld, und Sony und Dr. Luke entschieden sich angesichts des
wachsenden öffentlichen Drucks und des schwelenden Rechtsstreits, Gottwalds
Amtszeit als CEO von Kemosabe nicht zu verlängern.
Jetzt steht „Executive Producer: Kesha“ in den Linernotes. Ein Politikum,
ebenso wie das psychedelische Cover, auf dem die Sängerin Gottwalds Kritik
an ihrem angeblich zu kurvigen Körper zum Trotz nackt posiert und aufblickt
zu einem strahlend hellen Licht am Ende des Tunnels. Auch musikalisch ist
das Album ein emanzipatorisches Statement. Den Auftakt macht „Bastards“,
ein Song, der dank diskreter Gitarrenbegleitung sowohl die
Country-Vergangenheit der aus Nashville stammenden Sängerin als auch ihre
stimmliche Klangfarbe hervorhebt.
## Glaubwürdige Neuerfindung
Mit einem Organ, das in den übersteuerten elektronischen Popsongs meist
unterging, formuliert sie die erste von vielen ermächtigenden Botschaften
ihres Albums: „Don’t let the bastards take you down/ Don’t let the asshol…
wear you out“. Countrysound hätte man nun wirklich nicht erwartet, und
trotzdem funktioniert es, wenn sie im Duett mit Dolly Parton den Klassiker
„Old Flames (Can’t Hold A Candle To You)“ covert und in „Hunt You Down�…
über Banjoklänge hinweg einen Jodler andeutet.
Weniger gut funktioniert hingegen die Kollaboration mit den kalifornischen
Eagles of Death Metal. In den zwei Songs, die sie gemeinsam mit der
Glamstonerrock-Band aufgenommen hat, verfällt sie zurück in rotziges
Rumgequietsche. In Kombination mit den Bollerdrums und Gitarrenriffs der
Eagles klingt das nach der pinksträhnigen Avril Lavigne der Nuller – und
kommt arg aufgesetzt rüber.
Die Empowerment-Hymne „Woman“ stimmt dann wieder versöhnlich. Mit
Unterstützung der Dap-Kings-Bläsersektion gelingt ihr ein feministischer
Retro-Sixties-Soul-Sound, angesichts dessen Meghan Trainor vor Neid
erblassen würde. Und dann ist auch noch die Ballade „Praying“, Herzstück
des Albums, in der Kesha sich mit kathartischer Stimmgewalt Wut und
lähmende Trauer von der Seele schreit.
In den Zeilen „I hope you’re somewhere praying/ I hope your soul is
changing“ steckt kraftvolle Contenance. Und so kauft man es ihr ab, wenn
sie am Ende des Albums über die schwindenden Akustikgeräusche deklariert,
dass nichts wahr und die Liebe alles ist, dass sie nichts weiß und sich
endlich frei fühlt.
Mit „Rainbow“ hat Kesha sich tatsächlich glaubwürdig neu erfunden, ohne
ganz mit ihrer Vergangenheit zu brechen. Man mag von ihrem
Poprock-Country-Gemisch halten, was man will, doch in Zeiten, in denen
Miley Cyrus nach Jahren voller Weed, Twerking und Glitzerschleim zu ihren
braven Malibu-Wurzeln zurückkehrt und die alte Taylor Swift sterben muss,
damit die neue leben kann, grenzt „Rainbow“ an ein kleines popkulturelles
Wunder.
1 Sep 2017
## AUTOREN
Donna Schons
## TAGS
Taylor Swift
Popmusik
Rape Culture
Schwerpunkt #metoo
Kolumne Habibitus
Musik
Vergewaltigung
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