# taz.de -- Popkongress „Apocalypse Now (and then)“: Musik gewordener Optim… | |
> Drei Tage lang untersuchte eine Konferenz in Berlin das Ende der Welt in | |
> der Popkultur: „Apocalypse Now (and then)“ flirtet mit der Katastrophe | |
> und denkt den Untergang. | |
Bild: Gewagt, aber gelungen: Die Neubearbeitung von Chris Markers Kultfilm „L… | |
Musik nimmt gesellschaftliche Umbrüche vorweg, schrieb Jacques Attali in | |
seiner Studie „Noise. The Political Economy of Music“. Ein Satz, der schon | |
in der Einführung des von Christoph Gurk und Tobias Rapp am Berliner HAU | |
kuratierten Kongresses „Apocalypse Now (and then)“ neue Konjunktur bekam. | |
In zahlreichen Vorträgen gingen ReferentInnen der Rede vom Ende der Welt in | |
der Popkultur nach. Konzerte rundeten das Programm der drei Klausurtage ab. | |
Flirting with Disaster, nach dieser Logik funktioniert Pop zwar von | |
Anbeginn. Angesichts der realen Katastrophe von Fukushima oder der | |
anhaltenden Finanzkrise habe apokalyptisches Reden aber eine andere | |
Dimension erhalten, schickte Christoph Gurk voraus. | |
Der britische Autor Simon Reynolds nahm in seinem Vortrag „The Endless End“ | |
Bezug auf die vorherrschenden Untergangsszenarien in Popsongs: das | |
biblische Armageddon, Angstvorstellungen, wie etwa in dem von | |
millenaristischem Sektenwissen geprägten Reggae, und soziale Unordnung, wie | |
sie zum Beispiel die junge kalifornische Popsängerin Kesha inszeniert. | |
Die Gemachtheit des Weltuntergangs untersuchte Falko McKenna anhand eines | |
biblischen Urtextes. Das klassische Material der Johannes-Offenbarung sei | |
ein synthetisches Kompositum verschiedener Autoren, legte der | |
Religionswissenschaftler überzeugend dar. Auch die religiösen „Visionen vom | |
Weltende“ seien einer Verwertungslogik unterworfen gewesen. Der Text | |
verdanke sich der verschärften Konkurrenzsituation zwischen verschiedenen | |
Sekten. Er bringe eine Sehnsucht nach Gewissheit zum Ausdruck. Etwas, das | |
McKenna als „Pop der Apokalypse“ bezeichnete. | |
Die Neubearbeitung von Chris Markers Kultfilm „La Jetée“ (1962) durch den | |
britischen Dubstep-Produzenten Steve Goodman zusammen mit dem Videokünstler | |
MFO und der Sängerin Ms. Haptic war gewagt, aber gelungen. Die drei | |
Künstler zerlegten den Experimentalfilm über einen Protagonisten, der nach | |
einer nuklearen Katastrophe ins zerstörte Paris zurückkehrt, sie | |
verlängerten ihn zeitlich und gaben ihm eine weibliche Perspektive. | |
Goodmans Soundtrack funktionierte wie eine Untertitelung. | |
## Holocaust in Schlagern | |
Der zweite Tag, „Nach der Katastrophe ist vor der Katastrophe“ umschrieben, | |
beschäftigte sich eingehend mit der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg. | |
Was konnte Pop gegen Massenvernichtung leisten? Und was wurde mit Adornos | |
Diktum, nach Auschwitz könne es keine Kunst mehr geben, unmöglich? Der | |
Filmwissenschaftler Tobias Nagl konstatierte in seinem Vortrag „Alles denkt | |
den Untergang. Pop und Apokalypse in Westdeutschland nach 1945“ eine | |
kulturelle Stummheit gegenüber dem Holocaust in Schlagern und Heimatfilmen | |
aus der Zeit des Wiederaufbaus. | |
Stattdessen wurden die Trümmerdeutschen in den Liedern liebenswert und naiv | |
besungen. Diesen Zustand änderte erst Krautrock, der ab Ende der Sechziger | |
„die postfaschistischen Charaktermasken“ herunterriss. Auch die radikal | |
negative Materialästhetik der Einstürzenden Neubauten sei ein erfolgreicher | |
Versuch gewesen, das Böse des Nationalsozialismus zu exorzieren, wie Nagl | |
ausführte. | |
Der Tel Aviver Musikkritiker Yehuda Nuriel – er lebe knapp eine Stunde | |
südlich der Berge Armageddon und Sodom – beschäftigte sich mit dem | |
schwarzen Loch der Erinnerung, wie es über Jahrzehnte in der israelischen | |
Popkultur klaffte. Die Erinnerung an den Holocaust trug so schwer, so | |
Nuriel, dass sie bis weit in die achtziger Jahre nur in der Sphäre des | |
Politischen zur Sprache gebracht wurde. Das änderten erst die Musiker der | |
Postpunkband Minimal Compact und in den Neunzigern das unabhängige | |
israelische Kino, das sich mit Trauma und Tabu der Massenvernichtung aktiv | |
auseinandersetzt und Bilder für das Undenkbare findet. | |
„Viel Spaß mit der afroamerikanischen Apokalypse“ wünschte die Moderatorin | |
Nina Scholz am dritten Konferenztag, was der New Yorker Kulturtheoretiker | |
Greg Tate ohne Weiteres einlöste. Sein Diavortrag über die Aliens der Black | |
Culture von Nat Turner über Sun Ra bis Octavia Butler, den Tate quasi in | |
Zungen sprechend vollführte, war Musik gewordener Optimismus im Angesicht | |
der von vielen Katastrophen getroffenen schwarzen Geschichte. | |
7 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
Julian Weber | |
## TAGS | |
Taylor Swift | |
Vergewaltigung | |
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