| # taz.de -- Politik des Trinkens: Der türkischste aller Drinks | |
| > Atatürk liebte Rakı, Erdoğan ist eher ein Ayran-Typ. Und dann sind da | |
| > noch Kaffee und Tee. Welches ist denn nun das Nationalgetränk der Türkei? | |
| Bild: Warum sich auf ein Getränk einigen? | |
| Ende August gab es in den sozialen Medien der Türkei viel Aufruhr um Bier: | |
| Beim Gerechtigkeitskongress der Oppositionspartei CHP hatten einige | |
| Teilnehmer auf dem Campingplatz Alkohol getrunken. Und das in Çanakkale, wo | |
| vor mehr als 100 Jahren tausende Soldaten unter dem Offizier Mustafa Kemal | |
| Paşa, später bekannt unter dem Namen Atatürk, in der legendären Schlacht | |
| von Gallipoli gestorben waren. | |
| Ein Politiker der AKP entrüstete sich auf Twitter darüber. Die CHP | |
| entschuldigte sich und erklärte, sie habe drei Menschen wegen | |
| „unmoralischen Verhaltens“ des Campingplatzes verwiesen. Das glättete die | |
| Wogen jedoch nicht, im Gegenteil: Nun empörten sich laizistische Türken, | |
| dass die CHP der AKP das Wort rede. | |
| In der Türkei ist alles politisch, selbst das Trinken. Das Thema Alkohol | |
| polarisiert mindestens so stark wie das Thema Kopftuch. Der Staatsgründer | |
| Mustafa Kemal Atatürk selbst war ein passionierter Rakı-Trinker und riet | |
| dem Volk, mehr Bier zu trinken – weil es so nahrhaft sei. Er starb 1938 an | |
| den Folgen einer Leberzirrhose. | |
| Recep Tayyip Erdoğan hingegen will keine berauschte, sondern eine fromme | |
| Generation heranziehen. 2013 reglementierte er, damals noch | |
| Premierminister, den Alkoholverkauf strikt: Zwischen 10 und 6 Uhr und im | |
| Umkreis von 100 Metern um Moscheen und Schulen ist es seitdem verboten, | |
| alkoholische Getränke zu verkaufen. In ausländischen Filmen wird die | |
| Schnapsflasche nachträglich ebenso verpixelt wie die Zigarette. Ohnehin ist | |
| Rakı durch die enorm hohe Alkoholsteuer inzwischen kaum bezahlbar. | |
| „Unser Nationalgetränk ist Ayran, nicht Bier“, verkündete Erdoğan auf ei… | |
| Symposium für globale Alkoholpolitik 2013. Es ging ihm aber um viel mehr | |
| als das Nationalgetränk: um den alten Konflikt zwischen den Säkularen und | |
| den Religiösen, und um die Frage, wer wem seinen Lebensstil vorschreiben | |
| darf. | |
| In Rize, einer Stadt am Schwarzen Meer, etwa 120 Kilometer von der | |
| georgischen Grenze entfernt, wurde Erdoğan seine Aussage besonders übel | |
| genommen. Auch weil Erdoğans Familie aus Rize kommt, wählen die Menschen | |
| dort mehrheitlich die AKP. Aber dass ihr Premierminister Ayran zum | |
| Nationalgetränk erklärt, ging ihnen zu weit. | |
| Rize ist die Teestadt der Türkei. Tee löste einst Kaffee als | |
| Nationalgetränk ab: 1922 brach das Osmanische Reich zusammen, das | |
| Kaffeeanbaugebiet Jemen gehörte nicht mehr zum Staatsgebiet. Der Kaffee | |
| musste nun importiert werden und wurde unerschwinglich teuer. Ein neues | |
| Nationalgetränk musste her, und Republikgründer Atatürk bestimmte, dass es | |
| Tee werden sollte. 1924 verabschiedete das Parlament ein Teegesetz: Tee | |
| sollte für jeden zum erschwinglichen Grundnahrungsmittel gemacht werden. | |
| Wissenschaftler hatten festgestellt, dass die Schwarzmeerregion das gleiche | |
| Klima habe, wie das georgische Batum, in dem der Teeanbau ertragreich war. | |
| Der Agraringenieur Zihni Derin wurde ans Schwarze Meer entsandt, wo er | |
| Pflanzschulen errichtete und importiertes georgisches Saatgut an die | |
| lokalen Landwirte vertrieb. 1947 wurde die erste Teefabrik in Rize | |
| eröffnet. | |
| ## Mal klar, mal mit Schaumkrone | |
| Seitdem sind die Menschen aus Rize stolz auf ihren Tee. Und so kam es, dass | |
| sie am 1. Mai 2013 zum ersten Mal nach 35 Jahren auf die Straße gingen und | |
| protestierten. In ihren Händen Schilder mit der Aufschrift: „Unser | |
| Nationalgetränk ist Tee, nicht Ayran.“ | |
| Das Teeunternehmen Çaykur aus Rize nahm diesen Faden im Jahr 2015 wieder | |
| auf und bewarb seinen Tee mit den Worten: „Ich habe Ayran getrunken, das | |
| hat mich einschlafen lassen.“ Was Folgen hatte: Für den Werbespot wurde | |
| Çaykur wegen „grundloser Beleidigung“ des Joghurtgetränks zu einer Strafe | |
| von umgerechnet 70.000 Euro verurteilt. | |
| Damit ist die Verwirrung um das Nationalgetränk der Türken noch nicht | |
| komplett: Laut dem türkischen Patentamt ist nämlich Rakı das offizielle | |
| türkische Nationalgetränk. Das Patent soll den regionalen Anisschnaps | |
| schützen, der in Kleinasien seit dem 15. Jahrhundert von der griechischen | |
| und türkischen Bevölkerung getrunken wurde. Patentiert wurde der Rakı aber | |
| nicht etwa unter der Regierung Atatürks, sondern erst im Jahr 2009 – und | |
| damit schon zu Zeiten des Antialkoholikers Erdoğan. | |
| Und auch der Kaffee ist nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs nicht aus | |
| der türkischen Trinkkultur verschwunden. Wie man einen Mokka so zubereitet, | |
| dass sich eine Schaumkrone bildet, ist eine ganz eigene Philosophie. 2013 | |
| hat es die türkische Kaffeekultur auf die Liste des immateriellen | |
| Weltkulturerbes geschafft. | |
| ## Der Kaffee wurde weitergereicht | |
| Wie der Kaffee ins Osmanische Reich gelangte, darüber gibt es viele | |
| Gerüchte. Eines besagt, syrische Kaufleute hätten ihn 1554 aus dem Jemen, | |
| damals Teil des Imperiums, nach Konstantinopel gebracht. Ein anderes, dass | |
| Özdemir Paşa aus Abessinien – einer Monarchie auf dem Gebiet des heutigen | |
| Äthiopiens und Eritreas – Sultan Süleyman 1546 eine Tasse Kaffee kredenzt | |
| habe, woraufhin man im Sultanspalast begonnen habe, Kaffee zu trinken. 1595 | |
| soll es in Konstantinopel schon mehr als 600 Kaffeehäuser gegeben haben. | |
| Der Mokka wurde zum Nationalgetränk im Osmanischen Reich. | |
| In Wien sollen die Osmanen nach ihrem gescheiterten Eroberungsversuch 1683 | |
| ein paar Säcke Kaffee zurückgelassen haben, was den Wienern die | |
| Kaffeehauskultur bescherte. Doch das ist eine andere Geschichte. | |
| 10 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Elisabeth Kimmerle | |
| ## TAGS | |
| Türkei | |
| Kemal Atatürk | |
| Osmanisches Reich | |
| Kaffee | |
| Tee | |
| Recep Tayyip Erdoğan | |
| CHP | |
| CHP | |
| taz.gazete | |
| Nahrungsmittel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Opposition in der Türkei: Kampf für Gerechtigkeit geht weiter | |
| Ein Oppositionskongress gerät zu einem Bekenntnis für die westliche | |
| Moderne. Erdoğan lässt sich als Erbe der Eroberer von Byzanz feiern. | |
| Kemalismus in der Kritik: Abrechnung mit Atatürks Republik | |
| Der Gründervater steht für die säkulare Türkei, in der Religion zur | |
| Privatsache degradiert wurde. Mit der AKP bekommen Islamisten die Chance | |
| auf Revanche. | |
| Was Essen mit Krieg zu tun hat: Nur der Döner kam in Frieden | |
| Kulinarisch gesehen sind Krisen eine Bereicherung: Österreicher trinken | |
| türkischen Kaffee. Holländer essen spanischen Eintopf. Mehr davon? |