# taz.de -- Das Erbe des Kolonialismus: „Die Kakao-Maske ist ein Protest“ | |
> Der in Hamburg lebende ghanaische Künstler Joe Sam-Essandoh hat Masken | |
> aus Kolonial-Material zwischen Schiffsmodelle des Altonaer Museums | |
> gesetzt. | |
Bild: Will mit seiner künstlerischen Intervention zur Reflexion über kolonial… | |
taz: Herr Sam-Essandoh, warum haben Sie Ihre Masken ausgerechnet in die | |
Schiffsabteilung des Altonaer Museums gehängt? | |
Joe Sam-Essandoh: Ich hätte sie auch in die „Kolonialwaren“-Abteilung | |
hängen können. Aber dann kam ich in diesen Raum und wusste sofort: Hier | |
soll es sein. Da, wo die Modelle der Schiffe stehen, die früher Versklavte | |
transportierten und Waren aus Übersee hierher brachten. Hier wurde das Leid | |
dieser Menschen plötzlich sehr fassbar. Deshalb habe ich diese Abteilung | |
für meine Intervention ausgewählt. | |
Wieso bestehen die Masken unter anderem aus Palmenkernen? | |
Das ist eine Anspielung auf Palmöl, das in Afrika auf Plantagen gewonnen | |
und nach Europa transportiert wurde. Noch heute wird es in Asien abgebaut | |
und zu Bio-Seife verarbeitet. Die Verbindung zu Hamburg sieht so aus, dass | |
Harburg Europas größtes Zentrum für Palmöl und Kautschuk war und es in | |
Altona eine große Margarine-Industrie gab. Palmöl ist bis heute das | |
günstigste Öl auf dem Weltmarkt, weil die Arbeitskräfte billig sind. | |
Eine andere Maske trägt Perlenketten um den Hals. | |
Solche Ketten aus Glas und Metall tragen Ghanaerinnen bis heute bei großen | |
Festen. Die westlich wirkende weiße Perlenkette weist allerdings auf die | |
Kolonialzeit hin, als die schwarze Dienerschaft diesen Schmuck tragen | |
musste. Es war ein rassistisches Spiel mit Farben. Damals wollten die | |
Kolonialherrn möglichst dunkelhäutige DienerInnen haben. Es gibt alte | |
Gemälde, wo die Dame oder der Herr, weiß gepudert, sich effektvoll mit | |
einer schwarzen Dienerin mit weißer Kette kontrastiert. | |
Aber heute ist es anders? | |
Nicht ganz. Wenn sich eine Ghanaerin schön anzieht, trägt sie – als | |
westliches Symbol – Schmuck, wie ihn früher die Versklavten trugen. Das ist | |
ein Spiel mit Mimikry – „the same, but not quite.“ Das heißt: Ich imitie… | |
und benutze die Symbole meines Feindes, um seine Macht zu schwächen. Eine | |
Art Aneignung. | |
Gilt das auch für Namen? | |
Ja, und zwar in beide Richtungen. Mein Großvater wurde als Kind in der | |
Schule gefragt: Wie heißt du? Er sagte „San“. Da sagte er Lehrer: Ok, du | |
heißt „Sam“. Und „Sen“ wurde zum westlichen Namen „Benson“. Was ni… | |
passte, wurde whitewashed. | |
Hießen Sie eigentlich schon immer „Joe“? | |
Nein. Meine Eltern haben mich „Joseph“ getauft; wer zur Schule ging, musste | |
einen christlichen Namen haben. Aber die jungen Leute wollen das nicht | |
mehr. Ich habe den Mittelweg gewählt und Joe daraus gemacht, um meine | |
Eltern nicht zu kränken. Zuhause trage ich einen afrikanischen Vornamen. | |
Ich bin am Mittwoch geboren und heiße nach diesem Wochentag Kweku. | |
Ihre Ausstellung heißt Ahoobaa – für die Ahnen. Sind das Verstorbene oder | |
noch nicht Geborene? | |
Das sind unsere Vorfahren, die wir in Ghana einmal im Jahr mit einer | |
Zeremonie ehren. Es ist ein Fest der Lebenden und gleichzeitig eine | |
Totenfeier. Hier in Europa erinnert man mit Fotos an die Verstorbenen. In | |
Ghana gibt es diese Zeremonie. | |
Ist auch Ihre Intervention im Altonaer Museum eine Zeremonie? | |
Ja, eine Erinnerungszeremonie, die einen Radius von 7.000 Kilometern hat. | |
Mein Dorf in Ghana wird hier symbolisch bis Altona erweitert. | |
Sind die Masken der Ausstellung spirituell aufgeladen? | |
Ja, ich habe sie gesegnet. | |
Wozu? | |
Es ist eine symbolische Handlung, um zu zeigen, dass ich zufrieden bin mit | |
dem, was ich geschaffen habe. Damit die Maske spirituell funktioniert, | |
müsste ich aber noch weitere Rituale durchführen. | |
Welche Bedeutung hätte zum Beispiel die Kakao- oder Coltanmaske für eine | |
Zeremonie? | |
Es sind Erinnerungen an die unwürdigen Arbeitsbedingungen, unter denen | |
diese Rohstoffe abgebaut wurden und werden. Hamburg hat zum Beispiel bis | |
heute ein Monopol auf Kakao aus Afrika und bestimmt den Preis. Der ist | |
günstig, weil es in der Kakao-Gewinnung immer noch Kinderarbeit gibt. Das | |
gilt auch für die Coltan-Gewinnung im Kongo. Dieses Material steckt in | |
jedem Handy und auch in vielen Elektrogeräten. Jeder sollte wissen, wie es | |
hergestellt wurde. Das ist ein blutiges Geschäft mit Warlords und | |
Kinderarbeit. | |
Was ändert da der Tanz mit einer Maske? Oder andere Re-Enactments zur | |
Erinnerung an die Versklavung? | |
Es ist ein Protest gegen diese Produktionsbedingungen. In der Zeremonie | |
würde der Kakao in Form einer Maske personifiziert – zur Erinnerung daran, | |
dass da etwas nicht stimmt. | |
Reproduziert man mit solchen Zeremonien nicht eher den Zorn? | |
Nein. Wir verarbeiten und transformieren ihn durch den Tanz. | |
Dabei ist Ghana doch eigentlich „christianisiert“, oder? | |
Ja, aber die alten Zeremonien sind noch in den Hinterköpfen. Viele Familien | |
haben rituelle Gegenstände zu Hause und kennen die Praktiken. | |
Und an welchen Gott glauben Sie selbst? | |
Erzogen bin ich, wie die meisten GhanaerInnen meiner Generation, als | |
Christ. Meine Mutter und Großmutter sind Katholikinnen, mein Vater war | |
Methodist. Trotzdem gibt es die Ahoobaa-Feste, auch im Königshaus. Das ist | |
nicht böse gemeint. Die Menschen möchten einfach an ihre Vorfahren | |
erinnern. | |
Entsteht da nicht eine Konkurrenz zwischen dem christlichen Gott und den | |
alten Göttern? | |
Naja, die alten Götter werden etwas an den Rand gedrängt, weil alle sagen: | |
Du musst an Gott glauben. Wenn ein Kind geboren wird, wird es zuerst nach | |
oben gehoben und in Richtung Himmel gezeigt. | |
Wem zeigt man es? | |
Ich weiß nicht, ob es nur der christliche Gott ist. Jedenfalls glauben | |
alle, dass es etwas Stärkeres gibt als das, was wir auf der Erde haben. | |
Aber auch auf der Erde wollen wir Schutz. Der „Obergott“ ist manchmal zu | |
langsam, und bei Kleinigkeiten muss schnell etwas passieren. | |
Feiert auch die ghanaische Exil-Community in Altona Zeremonien? | |
Offiziell würde die Community da nicht hingehen. Wenn im Hamburger | |
Völkerkundemuseum Zeremonien stattfinden, sagen alle: Das hat nichts mit | |
christlichen Werten zu tun. | |
Seit der „Missionierung“ werden in Ghana Wälder abgeholzt, Flüsse | |
verschmutzt. Warum? | |
Weil die Leute keine Angst mehr haben. Vor 35 Jahren gab es in meinem | |
Nachbardorf einen kleinen Fluss, und der König und seine Diener haben | |
gesagt: Das Wasser und seine Fische sind heilig. Wer sie berührt, stirbt. | |
Das hört sich naiv an, hatte aber Sinn: Es war das Trinkwasser des Dorfes. | |
Heute wissen die Leute, dass es keine tötenden Götter gibt. Sie treiben | |
Raubbau an der Natur. Das ist ihnen auch bewusst, aber es ändert sich | |
nicht. | |
Warum sind Sie eigentlich aus Ghana geflohen? | |
Ende der 1970er-Jahre gab es einen Staatsputsch, eine Revolution. | |
Demokratische Politiker und andere Menschen verschwanden spurlos, jeder | |
konnte zur Zielscheibe werden. Die Hauptstadt Accra und auch die regionalen | |
Hauptstädte waren gefährliche Militärgebiete geworden. Deshalb bin ich nach | |
Nigeria geflohen und später nach Europa. | |
Sind unter Ihren Vorfahren Versklavte? | |
Schon möglich. Und es ist meine Generation, die ein Revival versucht, ein | |
Back to the Roots. Meine Oma hatte es zum Beispiel nach Obuasi verschlagen. | |
Die einstige Goldgräberstadt. | |
Ja. Die Engländer haben dort 1899 Goldminen gegründet und viele Ghanaer aus | |
der Gruppe der Fante, der ich angehöre, zu Verwaltungsbeamten ausgebildet. | |
Sie wurden im ganzen Land verteilt. Im Moment versuchen viele, wieder in | |
ihre Dörfer zurückzukehren. | |
Gibt es eine Fante-Identität? | |
Nicht so, dass ich es konkret beschreiben könnte. Vielleicht sind die Fante | |
etwas ruhiger. | |
Ist es für Sie wichtig, mit Fante zusammen zu sein? | |
Zum Glück heiraten die Leute in Ghana nicht nur innerhalb ihrer Gruppe, | |
auch in meiner Familie nicht. Hier in Hamburg bin ich allerdings im | |
Mfantsiman-Verein, aber da sind auch Ashantis, Gas und Ewes. Die | |
Kolonialmacht hat versucht, uns auseinanderzubringen, aber das hat nicht | |
funktioniert. | |
Fahren Sie oft nach Ghana? | |
Ja. Zum Glück ist es dort jetzt ruhiger. | |
Fühlen Sie sich dort manchmal fremd? | |
Ja, das kommt vor. Aber wir versuchen es immer wieder, gerade zu biegen. | |
Wieso bauen Sie in Ihrem Dorf gerade ein Lehmhaus, obwohl alle anderen auf | |
Beton setzen? | |
Es macht mir Spaß und Lehm hält schön kühl. | |
Wollen Sie da wohnen, wenn Sie in Rente sind? | |
Was ist Rente? Ein Künstler geht nie in Rente. Er arbeitet, bis er umkippt. | |
Aber ich finde es schön, ab und zu von hier Urlaub machen – nicht in | |
Griechenland, sondern in meinem Dorf. | |
Schaffen Sie in Ghana andere Kunst als in Altona? | |
Die Atmosphäre ist anders. Tatsächlich bekomme ich im Dorf mehr | |
Inspiration. In Hamburg gibt es oft Stress: Beim Maskenbau muss ich mich an | |
einen Zeitplan halten, muss unter Druck arbeiten, bis es nicht mehr geht. | |
Im Dorf kann ich freier arbeiten. | |
Befassen sich viele ghanaische Künstler mit Kolonialismus? | |
Wenige. Wir in Ghana reden viel darüber, aber niemand sagt: Ich will mich | |
konkret künstlerisch mit der Kolonialzeit befassen. | |
Woran liegt das? | |
Unter anderem daran, dass es in Ghana keine öffentliche Künstlerförderung | |
gibt. Deshalb machen die Künstler vor allem verkäufliche Kunst. | |
NaN NaN | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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