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# taz.de -- Verrats-Geschichte: Herr Hass und der liebe Gott
> Immer wieder stürzten niedersächsische Regierungen, weil Politiker die
> Partei wechselten.
Bild: Sieger '76: Ernst Albrecht (l.), designierter CDU-Landesvater, nimmt Glü…
Bremen taz | Der Verrat in Niedersachsens Landtag hat – nun, vielleicht
nicht Tradition. Aber jedenfalls schon eine lange Geschichte. Mittendrin:
immer die CDU.
Fast schon vergessen ist jener Fall von 1970, rund um den damals als
„Greifvogel“ bekannt gewordenen CDU-Fraktionschef Bruno Brandes. Diesen
Spitzennamen hatte ihm der NPD-Gründer Adolf von Thadden verpasst: Brandes
holte damals einen NPD-Abgeordneten namens Hass in sein
christdemokratisches Nest, dazu mehrere Parlamentarier der FDP und sogar
der SPD. Das strategische Ziel: Die CDU sollte nicht länger nur ein
Juniorpartner in der Großen Koalition sein – sondern auf Augenhöhe mit den
Sozis! Doch am Ende zerbrach die Landesregierung am Streit um den
Abgeordneten Hass, der Landtag musste aufgelöst werden. Und ab 1970
regierte die SPD dann vier Jahre lang allein weiter.
Dass die CDU dann sechs Jahre später doch die Herrschaft über das Land mit
dem Pferd übernehmen konnte, verdankt sie wiederum einem Verrat. Wobei man
in der Partei eine andere Erklärung hatte, wie der Spiegel seinerzeit
kolportierte: „Der liebe Gott hat uns geholfen, es kann nicht anders sein.“
## Alles klar – bei der Probeabstimmung
Denn eigentlich scheint alles klar zu sein an jenem 14. Januar 1976, einem
Mittwoch: SPD-Ministerpräsident Alfred Kubel will sich aus Altersgründen in
sein Haus nach Braunlage zurückziehen. Finanzminister Helmut Kasimier soll
das Amt übernehmen, mitten in der Legislaturperiode. SPD und FDP haben
zusammen zwar mit 78 Sitzen nur eine knappe Mehrheit, also einen mehr als
die CDU-Fraktion, doch die sozialliberale Koalition ist stabil, und SPD wie
FDP zeigen sich vollkommen einig – in allen Probeabstimmungen. Als es ernst
wird, bekommt Kasimier dann plötzlich nur 75 Stimmen, der von der CDU
aufgestellte Bahlsen-Manager Ernst Albrecht aber 77; drei Wahlzettel sind
ungültig.
Weil keiner der beiden die erforderliche Mehrheit hat, wird am nächsten Tag
wieder gewählt. Wieder stehen die sozialliberalen Fraktionen vorab
geschlossen zu Helmut Kasimier – wieder lassen sie ihn im Parlament
durchfallen. Wieder sind drei Stimmen ungültig. Diesmal bekommt der
SPD-Minister nur noch 74 Stimmen, Albrecht aber 78: die absolute Mehrheit.
„Wo bist du, Brutus?“, schreit ein SPD-Abgeordneter im Plenarsaal, wo der
Sozialminister „schluchzt“, wie ein Zeitzeuge schreibt, der Justizminister
„weint“ und der designierte Ministerpräsident Kasimier „totenbleich“ in
seiner Abgeordnetenbank sitzt. Die Augsburger Allgemeine nennt seine
Niederlage „ein Waterloo der sozialliberalen Ära“, der Weser-Kurier spricht
gar von einem „Dolchstoß“, in Erinnerung an den Ersten Weltkrieg.
## Die Verräter blieben geheim
Wer die Verräter waren? Das ist bis heute unklar, wiewohl in all den Jahren
viele Namen fielen; aus der FDP waren welche darunter, aus der SPD ebenso.
Keiner der Dissidenten hat sich je zu erkennen gegeben, keiner wurde
enttarnt. Als gesichert gilt nur, dass die in der Provinz damals sehr
umstrittene Kreisreform das Motiv für den Verrat lieferte.
Die SPD versucht es wenig später noch mit einem anderen Kandidaten, mit
Bundesbauminister Karl Ravens, einem Niedersachsen. Er unterliegt mit 75 zu
79 Stimmen. Die FDP wechselt daraufhin endgültig das Lager, scheitert 1978
dann aber an der Fünf-Prozent-Hürde. Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD)
verliert seine Bundesratsmehrheit – im Streit um Niedersachsens
Kreisreform. .
Ernst Albrecht wird bis 1990 Ministerpräsident bleiben. Dabei hätte der
heute vergessene Kurt Vajen ihn 1989 fast seine Ein-Stimmen-Mehrheit
gekostet. Wohl hatte Albrecht ihm die Stange gehalten, als 1986 herauskam,
dass „Knobel-Kurt“ als Bürgermeister die Kommunalwahl in Brockel
manipuliert hatte. Er hielt auch noch zu ihm, als Vajen mit 2,12 Promille
Alkohol im Blut erwischt wurde und sich an der Dorfkneipe „Waidmann’s Ruh“
in Wensebrock eine Verfolgungsjagd mit Polizisten lieferte. Doch 1989 trat
Vajen den Republikanern bei – um einem Ausschluss aus der CDU
zuvorzukommen.
Albrecht indes wurde gerettet: durch Verrat. Ein Nachrücker trat aus der
SPD-Fraktion aus und sicherte, fortan fraktionslos, die schwarz-gelbe
Mehrheit. Viel genützt hat es Albrecht nicht: 1990 verliert er die Wahl
(und der Verräter sein Mandat). Der neue Ministerpräsident heißt Gerhard
Schröder.
12 Aug 2017
## AUTOREN
Jan Zier
## TAGS
Niedersachsen
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