# taz.de -- Evolution der menschlichen Sprache: Nachgeahmtes Quaken | |
> Tom Wolfe hat eine eigene Sprachtheorie entwickelt. Demnach kann der Homo | |
> sapiens durch seine Sprache die Weltherrschaft übernehmen. | |
Bild: Quakquak! | |
Dicke sozialanalytische Romane kennt man bisher von dem US-Schriftsteller | |
Tom Wolfe. Jetzt hat der einstige Mitbegründer des „New Journalism“ ein | |
dünnes Büchlein über zwei Feldforscher veröffentlicht: Alfred Russel | |
Wallace und Daniel L. Everett. Die kennt man nicht, wohl aber Charles | |
Darwin und Noam Chomsky, zwei Celebrities aus der „Upperclass“, die die | |
anderen beiden – „Underdogs“ – verdrängt haben, obwohl deren | |
„wissenschaftliche Leistung“ ihnen mindestens ebenbürtig war. Das muss sich | |
ändern – so Tom Wolfe in seinem Pamphlet. | |
Über Darwin und Wallace hatte bereits der Evolutionsbiologe Matthias | |
Glaubrecht in seinem Buch „Am Ende des Archipels“ (2012) detektivisch | |
herausgearbeitet, dass Letzterem wohl die Urheberschaft an der | |
Evolutionstheorie zustehe. Bereits 1855 hatte Wallace auf dem Malaiischen | |
Archipel, wo er für englische Museen Tiere sammelte (1 Käfer = 1 Shilling) | |
einen Aufsatz geschrieben: „On the Law Which Has Regulated the Introduction | |
of New Species“. | |
Von einem Kollegen ermutigt hatte er daraufhin auf der Molukkeninsel Tenate | |
eine Theorie der Entwicklung der Arten verfasst. Diese hatte er an Darwin | |
geschickt, der dann 1859 sein Hauptwerk „On the Origin of Species“ („Über | |
die Entstehung der Arten“) veröffentlichte. Als Entschädigung verhalf | |
Darwin Wallace später zu einer Regierungspension, als der zu verarmen | |
drohte. | |
Bei dem Paar Chomsky/Everett geht es um eine global geltende Sprachtheorie. | |
Chomsky ging von einer angeborenen „Universalgrammatik“ aus, Everetts | |
Forschungen widersprachen dem. Er untersuchte die Sprache der Pirahãs am | |
Amazonas, der wesentliche Grammatikfunktionen fehlten. Mit dieser | |
Erkenntnis hat der ehemalige Missionar und Ethnologe Everett den obersten | |
Sprachtheoretiker der USA gewissermaßen entthront. | |
## Selbst die klügsten Affen denken nicht | |
Chomsky sieht das aber nicht so. Deswegen meinte Tom Wolfe, er müsse die | |
Position des verkannten Everett stärken. Sein halbes Buch kreist um die | |
Sprache: Wie sie entstand, und ob sie ein gravierendes | |
Unterscheidungsmerkmal zu den nichtmenschlichen Lebewesen ist? | |
Unglücklicherweise hat sich Wolfe dazu hinreißen lassen, eine eigene | |
Sprachtheorie zu entwickeln. Der zufolge ist „Sprache ein mnemonisches | |
System, das es dem Homo sapiens ermöglichte, die Herrschaft über die ganze | |
Welt zu übernehmen. | |
Sprache und nur die Sprache samt ihrer Mnemotechnik schafft ihm Erinnerung | |
im Moment des Erlebens. Selbst die klügsten Affen denken nicht, sie sind | |
darauf konditioniert, bestimmten Primärzwängen zu folgen.“ Für Wolfe ist | |
die Sprache das „Ur-Artefakt“, insofern der Mensch ohne sie kein einziges | |
anderes Artefakt erschaffen hätte. | |
Umgekehrt argumentierte Friedrich Engels 1896: „Arbeit zuerst, nach und | |
dann mit ihr die Sprache – das sind die beiden wesentlichsten Antriebe, | |
unter deren Einfluß das Gehirn eines Affen in das bei aller Ähnlichkeit | |
weit größere und vollkommnere eines Menschen allmählich übergegangen ist.“ | |
Wolfe dagegen: „Zu sagen, dass die Tiere sich in Menschen entwickelt haben, | |
ist das Selbe, als würde man die Meinung vertreten, dass ein Stück | |
Carrara-Marmor zu Michelangelos ‚David‘ evolutionierte.“ | |
In seiner Schrift über die „Abstammung des Menschen“ hatte Darwin | |
postuliert: Die Sprache entwickelte sich aus dem Vogelgesang, so dass die | |
Anfänge der menschlichen Sprache dann auch zunächst Gesänge waren, | |
vielleicht sogar nachgeahmte. Mir ist die Theorie des französischen | |
Eisenbahnkommissars Jean-Pierre Brisset die Annehmbarste: Der zufolge hat | |
unsere Sprache sich aus dem Quaken der Frösche entwickelt. „Die Frösche, | |
sie sprechen eine Sprache“, schreibt Brisset, „die Zahl der Grammatiken ist | |
unendlich.“ | |
20 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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